Textatelier
BLOG vom: 13.05.2018

Folgen des Konsums

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/D


Im Städtchen beobachtete ich eine Begebenheit mit einer jungen Familie. Der kleine, etwa 4-jährige Sohn hatte, wohl auf sein Drängeln und Quengeln hin, eine von diesen roll- und schiebbaren Röhren mit Zuckerperlen, aufgebaut auf einer Achse mit 2 Rädern, und versehen mit einem Griff zum Schieben oder Hinter-sich-herziehen aus Plastik bekommen und schon nach wenigen Metern keine Lust mehr, sich um sein neues Gefährt zu bemühen. Es war ihm lästig und Mama sollte es schieben und Papa sollte ihn, den Jungen, tragen, weil er plötzlich so müde geworden war. Da der Kleine das Ding nicht mehr wollte, besprachen die Eltern die Möglichkeit, es zurück zu bringen und gegen etwas anderes einzutauschen. Sie liefen dann wieder in die Richtung, aus der sie gekommen waren, der Junge getragen von seinem Vater, die Mutter, die das Plastikspielzeug trug. Ob sie ihr Vorhaben tatsächlich in die Tat umsetzten, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ist ein 4-jähriger schon alt genug, etwas daraus zu lernen? Etwa, dass Konsum nur ganz kurze Zeit Erfüllung bringt, aber dann nur Verdruss und Widerwillen? Dass Quengeln und Drängen zwar zum Nachgeben der Eltern und damit zum Kauf des gewünschten Objektes führt, aber nicht letztendlich zur Befriedigung auf längere Zeit?

Wir leben in einer ökonomischen Anbietersituation. Es werden so viele Exemplare einer Ware produziert, dass die Herstellungskosten pro Stück sinken und - in der Hoffnung auf möglichst hohem Absatz - der Verkaufspreis auch, unter Einbeziehung des Risikos, am Ende auf einem Teil der Ware sitzen zu bleiben. Um den Absatz weiter anzukurbeln, wird die Ware mit Rabatten und Preisnachlässen, die natürlich schon anfänglich in die Kalkulation mit eingeflossen sind, auf den Markt geworfen.

Es wird suggeriert, dass der Verbraucher konsumieren muss, sonst drohten Firmenzusammenbrüche und damit einhergehend Entlassungen und Arbeitslosigkeit. Immer und immer wieder muss die Wirtschaft angekurbelt werden, um den Inlandsumsatz zu erhöhen, teilweise mit lügnerischen Mitteln, aber die Verbraucher werden scheinbar von den Wirtschaftsverantwortlichen so eingeschätzt, dass sie auf alles hereinfallen. Nicht anders als die Abgeordneten, die von den Lobbyisten aus der Wirtschaft davon überzeugt werden, wie notwendig doch alles ist, was sie im Auftrag der Arbeitgeber
vertreten.

Auf jeden Fall soll Kauflust nicht nur suggeriert, nein, erzeugt werden. Einmal die Ware im Besitz des Verbrauchers, so wird versprochen, erfüllt sich nicht nur der Kaufwunsch, sondern stellt sich Glück und Zufriedenheit ein.

Das euphorische Gefühl, sollte es tatsächlich eingetreten sein, dauert aber nicht lange, und die dadurch entstandene Lücke wird wiederum durch Kaufanreize gefüllt und das Spiel beginnt von vorn.

Denjenigen, die davon weitestgehend ausgeschlossen sind, verbrieft man, unter der Armutsgrenze zu leben, im sogenannten Prekariat, und sie seien zu bedauern, weil sie von Almosen und unverkauften und -verkäuflichen Lebensmitteln zehren müssen. Sich nichts leisten zu können, ist die grösste Lebenslast, oftmals durch Neidgefühle auf die anderen, die nicht dieses Schicksal erleiden, verstärkt.

Denn pausenlos prasseln die Werbeversprechen, durch welche Medien auch immer, auf uns ein.

Für viele Menschen hängen Prestige, Ansehen und soziale Anerkennung durch festgelegten Konsum, der sich von der Massenproduktion abhebt, etwa bei der Kleidung, bei der Kosmetik, bei der Größe der Immobilie und des Autos eng zusammen.

Die Furcht, aus dem sozialen Umfeld ausgestossen zu werden, weil man eben nicht die Kleidung einer bestimmten Marke trägt, weil man nicht ein Auto bestimmter Hersteller fährt, ist gross.

Auf meinem ersten Zeugnisheft, in denen meine Noten jeweils halbjährlich eingetragen worden sind, stand der Reim:

Spare, lerne, leiste was, dann hast du, bist du, giltst du was!

Mit Abstrichen, etwa beim Sparen, da heutzutage vielfältige Kreditmöglichkeiten gewährt werden, Schulden zu machen also sehr vereinfacht wird, gilt dieser Reim in unserem Wirtschaftssystem noch immer.

Du hast eine so genannte brotlose Kunst studiert? Hast du eine geisteswissenschaftlich geprägte Bildung, kennst dich aus in Bereichen der Wissenschaften, die in der Wirtschaft nicht gefragt werden, interessierst dich für Inhalte, die man nicht in der Wirtschaft verwerten kann, dann giltst du nichts. Erst der Schein bestimmt das Sein!

Dabei müsste jeder erkennen, dass ein höheres Einkommen meist auch zu gesteigerten Ansprüchen führt, und um sie zu befriedigen wiederum zuerst einmal zu Unzufriedenheit, mehr Neid und sozialer Missgunst.

Dass es Völker geben soll, für die Konsum nicht alles bedeutet, wird mit Unglauben wahrgenommen. Denn die eigene Angst vor einem möglichen sozialen Abstieg wiegt schwer. Der Zugang zu Konsummöglichkeiten darf nie versperrt oder eingeschränkt werden. Denn das macht der Sinn des Lebens aus!

Sich für etwas einzusetzen, das unter anderem der eigenen Zufriedenheit und Persönlichkeitsentwicklung dient, steht für viele, die zuerst sich nach dem monetären Nutzen der Tätigkeit erkundigen, ausser Frage.

Bestimmt war es eine wertvolle Erfahrung, damals, als ich mich entschloss, von einem gut bezahlten Angestelltengehalt von einem zum nächsten Monat von kargen Bezügen des Bundesamtes für Ausbildungsförderung, kurz BaföG, zu leben, weil ich studieren wollte. Im Nachhinein erinnere ich mich nicht daran, dass sich bei mir das Gefühl eingestellt hat, ich vermisste etwas von dem, was vorher mit Geld erschwinglich war.

Besonders den Deutschen wird nachgesagt, sie lebten, um zu arbeiten. Menschen in Nationen, bei denen das nicht so ist, und die sagen, sie arbeiten um zu leben, gelten hierzulande als faul. Geht es ihnen schlecht, jedenfalls in der Einschätzung der Deutschen, haben sie selbst Schuld, denn: Wer nicht (genug) arbeitet und damit über seine Verhältnisse lebt, soll auch nicht mehr essen als ihm zusteht!

Diese Auffassung wird auch hierzulande auf Arbeitslose und Bettler, und immer öfter auch auf die ältere Generation, neuerdings auch auf Zuwanderer und Asylbewerber, die angeblich nur schmarotzen, angewandt. Denn diese Menschen leben, natürlich ungerechterweise, von dem, was der brave Arbeitnehmer erarbeitet hat, und wofür er Steuern zahlen muss.

Schliesslich malocht man in deren Auffassung oft genug nur deshalb, weil man dafür Geld bekommt und selten dort, wo die Arbeit Befriedigung bringt. Denn diese wird meistens niedrig bezahlt, beispielsweise in Pflege-und anderen Sozialberufen, in denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu auch noch oft genug bis zur Erschöpfung ausgebeutet werden. Nach der obigen Lebensauffassung werden Berufe angestrebt, die vor allem Geld bringen, Hauptsache Geld.

Denn damit lässt sich wiederum Status, Prestige und Ansehen erreichen, womit die Spirale fortgeführt wird, von Generation zu Generation.

Und unser 4-jähriger? Der weiss davon noch nichts. Er hat nur erkannt, dass Konsum, die Erfüllung eines Wunsches, auch Mühsal mit sich bringen kann. Schliesslich hatte er dieses Spielzeug über den Weg zu bewegen, obwohl er davon müde wird!

 


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