Textatelier
BLOG vom: 05.03.2017

Gedanken über moderne Kommunikationswege

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


In meiner Kindheit gab es zu Hause kein Telefon. Musste ein dringendes Telefongespräch geführt werden, ging man auf die Strasse und suchte sich ein Telefonhäuschen. Wichtig war es, genügend Kleingeld zu haben, um den Automaten damit zu füttern. Ein Ortsgespräch kostete 20 Pfennig.

Irgendwann bekam einer der Nachbarn ein Telefon. Je nach dem, wie eng man mit ihm stand, konnte man schon einmal für ein kurzes Gespräch zu ihm gehen. Er liess sich das Gespräch bezahlen, schliesslich war selten genug Geld vorhanden.

Wir Kinder liefen 2 oder 3 km zur Schule und wieder zurück. Meine Schwester setzte sich auf den Rücksitz des Fahrrades eines Schulfreundes und fuhr mit ihm die Strasse hinunter. Dann stürzten die beiden und lagen auf der Strasse. Der Unfallwagen wurde angerufen und sie wurden im Krankenhaus verarztet. Die Mutter erfuhr erst Stunden später davon, als sie mit vergipstem Arm in der Schlinge wieder nach Hause kam.

Überhaupt, ging ein Familienmitglied auf die Reise, meistens um Verwandte zu besuchen, wussten die anderen oft tagelang nicht, ob es glücklich angekommen war, ob alles in Ordnung war. Man musste „Gottvertrauen“ haben, dass alles gut ablief.

Nur wenn überhaupt keine Nachricht kam, weder per Brief, noch per Anruf (an die Nachbarn) machte man sich ein wenig Sorgen. Aber sie waren meistens unbegründet.

Nach und nach gab es immer mehr Telefone in Privathaushaltungen. Unterwegs suchte man eben eine Wirtschaft oder ein Telefonhäuschen auf, wenn es notwendig war.

Als ich mit 21 Jahren die elterliche Wohnung verliess, um selbstständig zu wohnen, liess ich oft wochenlang nichts von mir hören. „Keine Nachricht ist eine gute Nachricht“, sagte ich mir, „falls etwas passiert ist, hören sie es früh genug.“

Ich begann in den 1970er Jahren im Aussendienst zu arbeiten. Auf meinen Fahrten musste ich telefonisch Besuchstermine machen oder mit meinem Vorgesetzten sprechen. Manchmal gab es kilometerweit kein Telefonhäuschen. Und wenn ich eins gefunden hatte, war es besetzt. „Man halte sich kurz!“ oder so ähnlich, stand darin, um den „Klatschtanten“ mitzuteilen, dass andere auch das Recht hatten, das Telefon zu benützen, es war öffentlich.

Dann wurde alles anders. Das erste Mobiltelefon kam auf den Markt. Anfangs war es noch zu teuer für jedermann. Es wurde „Handy“ genannt“, denn englische Bezeichnungen gerieten in Mode, und damit wurde ein Gerät bezeichnet, das man mit der Hand zum Ohr führte. Die Übersetzung lautet auch richtig: „Bei der Hand haben.“

Damit änderte sich das Leben. Ein Handybesitzer ist fast überall erreichbar, wo auch immer er sich auf der Welt befindet, wenn auch die Gespräche aus dem oder ins Ausland ziemlich ins Geld gingen. Nicht immer gab es „ein Netz“, also keine Funkverbindung, was als Entschuldigung akzeptiert werden musste.

Es begann die Zeit der Kontrolle, „erzählten“ doch die Hintergrundgeräusche oft, wo sich der Angerufene gerade befand. „Ich höre doch, dass du in einer Kneipe bist und säufst“, eine gängige Anklage der zu Hause auf ihren Ehemann wartenden Frau.

Von jetzt an wurde unterschieden zwischen „Festnetz“ und „Mobilnetz“. Das Festnetz oder der Festanschluss im Haus war eine Verbindung über ein Kabel, das andere war „drahtlos“. Da kam es darauf an, den billigsten Anbieter für seine Bedürfnisse zu bekommen.

Irgendwann kam die „Flatrate“ auf, in meinem englisch/deutschen Wörterbuch von 2004 taucht der Begriff noch nicht auf, da war „flatscreen“ für Flachbildschirm die neueste Erfindung. Ab dann kann man eben telefonieren, so lange man will, und das für einen Gesamtpreis im Monat.

Waren die Kommunikationsmöglichkeiten vor 50 Jahren noch sehr beschränkt und begnügten sich auf das persönliche Gespräch, dem Gespräch am Telefon, dem Postverkehr per Postkarte oder Brief und dem Telegramm oder als „neuester Schrei“, vor allem im Geschäftsleben, dem Fax, vervielfältigen sich die Angebote und Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten zunehmend.

Was gibt es da nicht alles heute? Wir müssen unterscheiden zwischen den Möglichkeiten, bei denen man einen Anhang mit verschicken kann oder nicht. Bei der SMS („short massage service“) war das noch nicht so ohne Weiteres möglich, anfänglich bei der Email („elektronische Post“) auch nicht, aber die Angebote wurden Zug um Zug immer mehr erweitert. Das Handy wurde nicht nur zum Telefonieren benutzt, sondern immer mehr auch dazu Botschaften aller Art zu versenden. Es wurde zum Smartphone, zum „klugen Telefon“. Auf welchen Kommunikationswegen der Benutzer heutzutage kontaktiert wird, ist im Grunde offen. Per SMS, MMS, Email, über ein soziales Netzwerk wie Facebook oder Twitter, und über What’s up („was gibt’s?“), vermutlich habe ich noch die eine oder andere Form vergessen.

Wird deshalb mehr kommuniziert? Das ist die Frage! Viele der Botschaften und Kommunikationsinhalte sind Allerweltsaussagen, selten tiefsinnig.

Meine Frau bekommt zahllose What’s Up-Nachrichten pro Tag, oft kleine Filmchen, die ihre Kommunikationspartnerinnen im Internet, etwa auf Youtube, gefunden haben und die oft lustig sind, Babys, die Akrobatik treiben, ein Papagei, der 30 Tierstimmen nachmachen kann oder was sich irgendjemand so einfallen liess.
Manchmal sind es Textnachrichten, manchmal gesprochene kurze Neuigkeiten, oft mit Ton.

Was früher kaum denkbar war, die Kommunikationswege ermöglichen Kontakte rund um den Globus in Bruchteilen von Sekunden. Dauerte noch vor wenigen Jahrzehnten die Nachrichtenübermittlung noch Tage, so ist das heute „in Echtzeit“ möglich. Viele, oft genug auch auf Missverständnissen beruhende Konflikte in früheren Zeiten, die dann zu Kriegen geführt hatten, könnte man heute durch einen „Klick“ beseitigen oder auflösen. Gleichzeitig sind heute Einflussnahmen und Manipulationen möglich, die früher undenkbar gewesen waren.

Wie geht es weiter? Der Zusammenbruch des Internets wurde schon prophezeit.
Ich kann daran nicht glauben. Diese Errungenschaft will heutzutage kaum noch jemand missen.

Schon Kinder benutzen Smartphones und Handys und bewegen sich so auf verschiedenen Kommunikationswegen. Eine Mutter, die sich Sorgen macht, warum ihr Kind noch nicht zu Hause ist, wird schnell Informationen darüber bekommen können; könnte sogar, wenn sie das wollte, jeden Schritt und Tritt ihres Kindes genau verfolgen. Ob das überbehütete Kind von heute glücklicher ist als wir damals, kann ich mir nicht vorstellen.

Was ich schön finde, dass es zu einem Nebeneinander der Kommunikationswege gekommen ist. Es werden immer noch Briefe geschrieben und es wird immer noch einfach telefoniert, neben den anderen Techniken. Man kann wählen, welchen Weg man beschreiten will und ich hoffe, dass wird noch lange so bleiben.

 


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