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BLOG vom: 12.10.2016

Andrzej Wajda - Meister aus Polen

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Andrzej Wajda, geboren am 6. März 1926 in Suwalki (Polen), verstorben am 9. Oktober 2016 in seiner Hauptstadt Warschau, war ein polnischer Theater-Regisseur und bedeutender Filmemacher, der es zu einem „Ehren-Oscar“ brachte für sein Lebenswerk. Ein „richtiger“ Oscar jedoch, als international bedeutendste Auszeichnung für einen einzelnen Film, blieb ihm vorenthalten.

In vieler Hinsicht ist Wajdas filmisches Gesamtwerk ein Bekenntnis zu Polen, dessen Katholizismus er mit Filmen wie „Karfreitag“ (1972) und die „Die Karwoche“ (1995) nicht dokumentiert, sondern erzählt hat. Als National-Epen, wenngleich nicht unkritisch, können Filme wie „Das Massaker von Katyn“ (2007) über das schlimmste (sowjetische) Kriegsverbrechen am polnischen Volk gelten sowie der biographische Film über Lech Walesa (2013), den ich bis jetzt leider nicht gesehen habe. Ich bin gespannt, ob der Autor aus seiner einstigen Nähe - Wajda war mal Parlamentsabgeordneter von Solidarnosc - nachträglich die richtige Distanz zu gestalten verstand. Bis zum Beweis des Gegenteils ist anzunehmen, dass es ihm gelungen ist.

Typisch für den kritischen Patrioten Wajda scheint zu sein, dass er im Unfrieden mit seiner Regierung verstorben ist. Ein Indiz dafür, dass er bis zum letzten Augenblick seines Lebens menschlich und politisch zurechnungsfähig geblieben ist. Diese Bemerkung soll keine Parteinahme sein. Ein Kulturschaffender vom Format Wajdas kann und darf nie einfach ein Repräsentant einer Regierung und eines Systems bleiben, so wie er das zu kommunistischer Zeit meines Wissens nicht gewesen ist. Für die Karriere waren einige Zugeständnisse so oder so unvermeidlich; man vergleiche Wajda mit Slawomir Mrozek, dem grossen, wiewohl charakterlich sehr fragwürdigen polnischen Dramatiker, dessen dramatische Werke Wajda in Polen mehrfach inszeniert hat. In www.portal-der-erinnerung.de versuchte ich Mrozek zu würdigen.

Dass Wajda vom Theater zum Film gekommen ist, bildet eine Gemeinsamkeit mit dem grossen Schweden Ingmar Bergman, dessen Gesamtformat sowohl als Theatermann wie auch als Filmemacher Wajda wohl nicht ganz erreichen konnte. Dafür waren die kulturpolitischen und auch technischen Voraussetzungen im Polen der kommunistischen Zeit nicht gegeben. Zu schweigen von der geistigen Freiheit, von der Bergman in einem der freiesten Länder der Welt wie wohl fast kein zweiter grosser Kulturschaffender Europas Gebrauch gemacht hat.

Als berühmtester Film von Wajda wird wohl „Danton“ (1983) in Erinnerung bleiben, den ich im Atelier-Kino Reinach (Kanton Aargau) mit einer Schulklasse angesehen habe, nach vorheriger Lektüre des Dramas „Dantons Tod“ von Georg Büchner. Bei Wajda handelte es sich um eine literarisch-biographische Darstellung des französischen Revolutionärs von Neuenburger Abstammung in seinem Spannungsverhältnis mit dem jakobinischen Dogmatiker Robespierre, der in diesem Film zum Teil Züge eines kommunistischen Inquisitors annimmt. Dass Robespierre in einer Szene gegen Schluss von einem Knaben die Menschenrechtserklärung vorgelesen bekommt, beruht möglicherweise auf einem Missverständnis von Robespierres Auffassung von Menschenrechten, die der „Unbestechliche“ als Tugend-Terrorist keineswegs im gutmenschlichen Sinne ausgelegt hat. Auch nicht gerade so, wie Rousseau aus Genfer Tradition die Menschenrechte verstand. Insofern ist eine Belehrbarkeit des Revolutionärs auszuschliessen. Faszinierend bleibt die Gegenüberstellung der Charaktere zweier Revolutionäre, von denen der eine die Partei des „Lebens“ charakterisiert, der andere die Prinzipien. (Die Kritik an den reinen Prinzipien der Aufklärung, mögen sie selbst von Kant formuliert sein, hat der Schweizer Schriftsteller E.Y. Meyer in seinem Roman „Im Trubschachen“ dargetan; Meyers 70. Geburtstag war am 11. Oktober 2016 fällig. Es darf auch mal würdigend auf einen Lebenden hingewiesen werden.)

Über alles gesehen vermag Wajdas Historienfilm nicht ganz an „Dantons Tod“, das grandiose Drama von Georg Büchner anzuschliessen. Was bleibt, ist der von Gerard Depardieu unvergesslich verkörperte ausschweifende Charakter von Danton und natürlich die einprägsame filmische Präsentation der Guillotine. Eine von Dr.med. Ignace Philippe Guillotin (er starb im Bett) vorgeschlagene Hinrichtungsmethode im Namen der Humanität, welche dann zum Beispiel von den Luzerner Konservativen nach 1841 wieder abgeschafft, durch das Schwert ersetzt,  erst nach 1879 in der Schweiz wieder eingeführt wurde. „Danton“ bleibt aber ein eindrücklicher Historienfilm, der Möglichkeiten und Grenzen des Filmemachers Wajda profiliert aufzeigt.

Aus meiner persönlichen Schweizer Sicht liegt die historische Bedeutung Wajdas in seiner Zusammenarbeit mit Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) in den frühen Siebzigerjahren. Am Zürcher Schauspielhaus inszenierte Wajda 1970 Dürrenmatts Theaterwerke „Play Strindberg“ und 1973 „Der Mitmacher“. Trotz einzelner Verrisse durch die Kritik, die durchfiel, liegt unterdessen am Tage, dass Friedrich Dürrenmatt nun mal einer der bedeutendsten Autoren der Schweizer und der deutschen Theatergeschichte war, dies zu einer Zeit des grossen Regie-Theaters, zu dessen bedeutendsten Repräsentanten Andrjej Wajda zählte. Wajda war fürwahr ein grosser Europäer. In Deutschland erhielt er den Silbernen und den Goldenen Bären der Berlinale, das Bundesverdienstkreuz und den Alfred-Bauer-Preis, und zwar 1996, 2001, 2006 und 2009. Die Behauptung, der Pole sei in Deutschland entdeckt worden, lässt sich angesichts der späten Ehrungen nicht aufrechterhalten. Der für die Karriere möglicherweise am stärksten ins Gewicht fallende Preis für Wajda wird wohl der Sonderpreis der Jury der Internationalen Filmfestspiele Cannes 1957 gewesen sein. Es ist heute fast unvorstellbar, wie bedeutend Cannes in jenem Jahrzehnt nicht nur für Grace Kelly, Alfred Hitchcock und Brigitte Bardot war, sondern auch für einen damals noch unbekannten jungen Polen namens Andrzej Wajda. Seine bekanntesten Altersgenossen fuhren in jenem Jahr die Tour de France. Wie auch immer: Andrzej Wajda erinnert daran, dass Europa ein Kulturkontinent ist. Wajda bleibt auch ein Beispiel dafür, dass ein grosser Kulturschaffender in der Regel als Repräsentant seiner Nation in die Geschichte eingeht.

 
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