Textatelier
BLOG vom: 06.05.2016

Kartoffelpest: Hungersnot (Famine), Entvölkerung Irlands

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 


Kartoffelfäule
 

Die Kartoffel, die im 16. Jahrhundert von Südamerika nach Europa kam, hatte es zunächst schwer, in der für sie neuen Welt Fuss zu fassen. Zeitweise galt die Kartoffel als ungesund. Man macht sie für die Ausbildung einer Rachitis, Skrofulose oder Lepra verantwortlich.
Friedrich Nicolai schrieb 1785 über seine Eindrücke von einer Reise nach Bayern. Er entrüstete sich, dass die Bauern zwar reichlich Kartoffeln zur Verfügung hatten, diese jedoch nicht selbst ässen, sondern den Schweinen verfütterten.
Die Kartoffel war einst Speise der Armen. Erst als 1771 eine katastrophale Getreidemissernte eintrat und eine Hungersnot durch die Knolle abgewendet wurde, lobte man sie hoch und plötzlich wussten sie sogar die Reichen zu schätzen.
In England war dies lange Zeit anders. Die kartoffelessenden Iren wurden von den reichlich Fleisch futternden Engländern als minderwertige Menschen eingestuft.
 
1845 ging eine Welle der Erregung durch das kartoffelanbauende Europa. Überall wurde die Kartoffel von einer sonderbaren Krankheit befallen. Die Kartoffelpest oder Kartoffelfäule, wie sie genannt wurde, brachte für Millionen Menschen Hunger und Not.
Besonders zu leiden hatte das arme, von politischen Unruhen gebeutelte irische Volk. Die Folge war die weitgehende Entvölkerung Irlands durch Tod (1 Million) oder Auswanderung (1,5 bis 2 Millionen). Die Grosse Hungersnot (engl. Great Famine oder Irish potato famine; irisch An Gorta Mor) erstreckte sich zwischen 1845 und 1852, als Folge mehrerer ausgelöster Missernten.

Der Hunger wurde noch verschärft durch die Ausbeutung der Engländer. Irland war nämlich Nettoexporteur für Nahrungsmittel. John Mitchel formulierte 1861 dies so:
„The Almighty, indeed, sent the potato blight, but the English created the Famine.“
(“Der Allmächtige sandte die Kartoffelfäule, aber die Engländer schufen die Hungersnot.”)
Nach den Hungerkatastrophen begannen die Unabhängigkeitsbestrebungen. 1921 führten diese zur Unabhängigkeit der Republik Irland mit Ausnahme der Provinz Uster.

Fieberhafte Erregersuche
Eine fieberhafte Suche nach dem Erreger setzte allerorts ein. Über 70 Theorien wurden aufgestellt. Erst der geniale Forscher Anton de Bary brachte Aufklärung:
Er entdeckte als Verursacher einen Pilz. Marie Anne Libert (1782-1865) beschrieb erstmals den Pilz als Ursache der Kraut- und Braunfäule.

Der Pilz (Phytophthora infestans) entwickelt sich mit Vorliebe bei feuchtwarmer Witterung. Das Blattwerk der Kartoffel wird fleckig. An der Blattunterseite bildet sich ein weisser Pilzrasen. Mit Hilfe einer Lupe sieht man die Sporangienträger des Kartoffelpilzes aus einer Spaltöffnung des Blattes hervortreten. Die Sporangien fallen nach der Reife ab. Hält die feuchte Witterung an, dann entlassen die Sporangien bewegliche Schwärmer, die auf neuen Blättern Keimschläuche bilden. Der Pilz kann durch diese Art der Verbreitung in wenigen Tagen ganze Felder befallen. Das Kraut wird schwarz und stirbt ab, die Knollen wachsen nicht mehr weiter. Der Pilz kann jedoch auch die Knolle selbst befallen. Er verursacht die „Trockenfäule“ im Innern der Knolle.
Auch Viren können die Kartoffel schädigen. Nennen möchte ich hier nur die Blattrollkrankheit, die Ernteausfälle bis zu 80 % bringen kann. Der Erreger ist das Blattrollvirus, das von Blattläusen übertragen wird.

Die Kartoffelfäule bekämpfte man früher mit Kupferkalkbrühe, später setzten sich der Anbau resistenter Sorten und die Verwendung gesunden, virusfreien Pflanzgutes durch. In der Regel kommen Fungizide zur Anwendung. Das ist problematisch, weil schon Resistenzen des Pilzes gegen Fungizide beobachtet wurden.

Alternative Methoden
Beim ökologischen Kartoffelbau dürfen keine Fungizide eingesetzt werden. Man geht andere Wege, indem man bestimmte Pflanzenstärkungsmittel und Pflanzenextrakte verwendet.  Erfolgreich waren Extrakte aus Rhabarber und Kanadischer Goldrute. Bärbel Schöber-Butin berichtete in ihrem Werk „Die Kraut- und Braunfäule der Kartoffel und ihr Erreger“, dass die Anwendung der erwähnten biologischen Produkte  den Befall vermindere. Zum Teil erreichen sie 95% der Wirkung konventioneller Fungizide.

„Ein völlig neuer Ansatz ist die Immunisierung durch chemische oder biotische Induktoren. Als chemische Induktoren werden z. B. Salicylsäure oder Aminosäuren eingesetzt, als biotische Induktoren Viren oder andere Phytophthora-Arten (es gibt ca. 60 verschiedene Arten). Die Pflanze erwirbt dadurch eine systematisch induzierte Resistenz, die den Befall durch Phytophthora infestans reduzieren kann“, schreibt die erwähnte Autorin.

Der Pflanzenschädling ist trotz moderner Fungizide immer noch virulent. Forscher an der North Carolina State University entwickelten ein genetisches Testverfahren zum Nachweis des Schädlings. Anhand von in botanischen Archiven gefundenen Kartoffelpflanzen aus den Jahren 1845 bis 1847 konnten die Wissenschaftler einen Abschnitt der Erbinformation des Schädlings mit 100 Basenpaaren entschlüsseln. „Mit Hilfe dieses Schlüssels hoffen die Forscher nicht nur die Entstehungs- und Ausbreitungsgeschichte des Schädlings rekonstruieren zu können, sondern darüber hinaus einen Ansatz zu seiner gezielten Bekämpfung zu finden“, wie unter www.spiegel.de unter dem Stichwort „Kartoffelpest“ nachzulesen ist.

 

Internet
www.pub.jki.bund.de
https://de.wikipedia.org (Stichwort: „Große Hungersnot in Irland“)
www.spiegel.de (Genetik: Spur der Kartoffelpest)

Literatur
Scholz, Heinz: „Erlebte Natur, Pflanzenkrankheiten, 2. Teil“, „Chrüteregge“, 04/1983.
Schöber-Butin, Bärbel: „Die Kraut- und Braunfäule der Kartoffel und ihr Erreger Phytophthora infestans“, Heft 384, Herausgeber: Bilogische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Berlin und Braunschweig 2001.
Nachzulesen unter www.pub.jki.bund.de

 

 

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