Textatelier
BLOG vom: 28.11.2015

Reaktionen auf Blogs (159): Terrorismus

Reaktion auf Blogs über Terrorismus
16.11.2015: Ismael Omar Mostefai – ein Gesicht des Terrors

Die allgegenwärtige Gefahr durch den islamfaschistischen Terrorismus ist ernstzunehmen, nicht aber die erbärmlichen Figuren sich in die Luft sprengender Hirnloser selbst. Wer so denkt (und schreibt) wie Sie, wertet diese eigentlich armseligen selbsternannten "Gotteskrieger" nur unsinnigerweise auf und hat den Kampf gegen diese Killer bereits verloren gegeben.

Das, was sie in infolge unsauberer Recherche (auf weitere Einzelnachweise muss ich aus Platzgründen verzichten) als „Veränderung innerhalb unserer Zivilisation wahrnehmen“, ist nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Das Einzige, was sich stets ändert, ist die Ideologie, in einer Bandbreite zwischen säkularem Rassismus, chiliastischem Utopismus (wozu ich Marxismus-Leninismus-Stalinismus-Maoismus zähle) und religiösem Wahn. Die verhaltenspsychologischen Grundmuster aber sind immer die gleichen.

Der Typus des faschisierenden Underdog oder, mit Bezug auf Bertolt Brecht, das Arturo Ui-Phänomen repräsentiert alles andere als einen „neuen Typus“. Wenn man, was ihnen offensichtlich schwerfällt, einmal die historische Brille aufsetzt, so wird man, in Ergänzung zu den lächerlichen pseudoreligiösen Wahnvorstellungen, an die diese salafistischen Monster glauben (ein paar Dutzend Jungfrauen im Paradies für den toten Dschihadisten, der, um ein Bonmot des von mir geschätzten Dieter Nuhr zu verwenden, weil körperlich völlig zerstört, mit den Mädels eigentlich gar nichts mehr anfangen kann), zahlreiche Beispiele in der jüngeren Geschichte finden, die das klassische Muster Bildungsferne-Arbeitslosigkeit-fehlende Anerkennung und Selbstwertgefühl-gescheiterte Integration –Kleinkriminalität und die daraus folgende Zielperspektive: Faschisierung/Radikalisierung bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit beinhalten.

Natürlich fallen historische Vergleiche meistens schief und unstatthaft aus, aber der arbeitslose, ungebildete deutsche petit-bourgeoise Nobody des Jahres 1933, der sein „Loser-Image“ durch Eintritt in SA oder SS abgelegt zu haben glaubte und zum Massenmörder an der Ostfront mutierte, hat, rein psychologisch betrachtet, das gleiche Recht zu Ihrer Kategorie der „Europäer neuen Typs“ zu gehören wie die Abaaouds und Mostefais. Auch er hat unschuldige Menschen, die einer anderen Religion angehörten, kaltblütig und für die Betroffenen unerwartet, ermordet. Der war ja bereits in ein herrschendes System eingebunden, werden Sie einwenden. Aber der IS ist ein herrschendes System, sogar mit eigenem "Staatsgebiet".

Oder: wie wäre es mit den südamerikanischen Guerilleros oder den palästinensischen Flugzeugentführern (über Lockhead sind mehr Menschen getötet worden als jetzt in Paris)? Das, was diese Beispiele vom IS-Terrorismus unterscheidet, ist lediglich eine auf etwas höherer Bildung begründete Ideologie, aber nichts, was zu einer Schlussfolgerung im Sinne Innovation oder eines völlig neuen Phänomens führen könnte. Solange "konventionell" (mit Sprengstoff und Kalaschnikows) getötet wird, hat sich nicht einmal die Waffentechnik geändert. Und Selbstmordattentäter gab es bereits unter den russischen Narodniki, die ihren eigenen Tod billigend in Kauf genommen haben, um den verhassten Zaren Aleksandr II zu töten.

Die Nazis haben den Salafisten immerhin voraus, um in Ihrer Terminologie zu bleiben, „in Europa bereits eine Kulturrevolution und einen globalen Krieg“ nicht nur angestrebt, sondern auch durchgesetzt zu haben, was die arabischstämmigen Schulabbrecher aus der Pariser banlieu niemals auf die Reihe bekommen werden.

Auf lange Sicht betrachtet, geht von dem in Deutschland derzeit stärker werdenden Neofaschismus (AfD, Pegida etc.) die größere Gefahr aus. Gerade deshalb bin ich auf die von Frau Merkel durchgesetzten offenen Grenzen stolz. Übrigens auch dann noch, wenn unter der Million Kriegsflüchtlinge aus Syrien sich eine Handvoll Terroristen eingeschmuggelt haben sollten. Das unterscheidet zumindest eine knappe Mehrheit der deutschen Staatsbürger derzeit von den Schweizern!

Als Literaturempfehlung möchte ich Ihnen einen Denker des Mittelalters nahelegen, bei dem Sie - wenn auch im christlichen Kontext - bereits all die falschen Heilserwartungen Ihrer "Neutypler" vorgedacht finden: Joachim von Fiore "Das Reich des Heiligen Geistes"

Dr. H.L. Wessling M.A.

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Danke für diesen Blog-Beitrag. Mit Joachim von Fiore befasste ich mich zum ersten Mal 1963 bei der Papstwahl von Paul VI., erwähne ihn seither regelmässig im Zusammenhang mit der europäischen Mystik. Das Entscheidende am apokalyptischen System ist die Naherwartung des grossen Umschlags zum Reich Gottes, was theologisch zu verstehen ist, auch aus der gnostischen und islamischen Mystik. Mit der SA hat es wenig zu tun.

Leider sind meine Forschungen über Horst Wessel, die Schweizer SA-Leute Silvio Conti, Leonardo Conti sowie das interessante Thema des 30. Juni 1934 noch nicht publikationsreif, kann Ihnen nur sagen, dass Ihnen mit dem blossen Schimpfwort Islamfaschismus Grundbegriffe fehlen; die jungen Leute aus Brüssel und aus den Pariser Vorstädten sind nun mal keine Nationalsozialisten und Faschisten, die ganz andere soziale und geistige Bedingungen hatten, übrigens gar nicht so wenige von letzteren mit einem Studium wie Sie und ich und durchaus westlich „progressiv“ denkend. Leonardo Conti aus Lugano zum Beispiel kämpfte für Abtreibung und Euthanasie, gegen das Rauchen und gegen mit dem Katholizismus und anderen Religionen verbundene Vorurteile zum Beispiel die Abtreibung und die Frauenemanzipation betreffend. Der Fanatismus des Nationalsozialismus bestand aus der modernen Vorstellung, die Menschheit von einem „Schädling“ reinigen zu wollen. Es handelte sich in diesem Sinne um eine Art Abfallprodukt der Aufklärung. Mit dem Islamismus können und dürfen Sie das nicht verwechseln. Auch Auschwitz, worüber das letzte Wort noch nicht gesagt ist, kann so wenig wie der sowjetische Gulag mit dem Islamismus verwechselt werden, war viel systematischer und technischer. Ein ungern eingestandener Ausdruck der europäischen Moderne. Das mit diesem Thema öffentlich vermittelte Allerweltswissen ist aber mit Sicherheit ungenügend. Es empfiehlt sich, bei solchen Themen wie auch bei  Islamismus, Katholizismus und allgemein bei Religionskritik nichts verbreiten, was man nicht selber überprüft hat. Dies forderte übrigens auch Descartes.

Bei Ihrer Terminologie fehlen meines Erachtens klare Begriffe mit mehr Genauigkeit als was Sie aus dem läppisch gutgemeinten oder dann instrumentalisierten „Antifaschismus“ der deutschen Gegenwart mitbekommen zu haben scheinen: was es zur Analyse brauchen würde mit den geistigen und im Falle der Islamisten volkskundlich-religiösen Hintergründen. Wer seinen Gegner bloss Faschist nennt, trägt nichts zum Verständnis bei, das scheint mir ein spezifisch innerdeutsches psychisches Problem zu sein, hängt wohl mit der Weigerung zusammen, den Nationalsozialismus so nüchtern zu analysieren, wie es bei jeder modernen Ideologie und Sozialreligion (Eric Voegelin) nötig wäre. Habe 6 Biographien über Himmler gelesen und dessen unheimliches, aber keineswegs irrationales Interesse für die Hexenprozesse wahrgenommen, seinen humanistischen Bildungshintergrund als Sohn eines Gymnasiallehrers wie ich selber einer war, auch dass er zum Beispiel den Schweizer katholischen pädophilen Autor Heinrich Federer kritisch gelesen hat; solche Leute können Sie so wenig wie Röhm oder Conti oder Horst Wessel mit den Leuten vergleichen, die etwa in Brüssels Vorstadt aufgewachsen sind, auch nicht mit den Assassinen des Mittelalters. Himmler war ein moderner Mensch, ich könnte ihn mir heute durchaus als Krankenhausdirektor oder Vorsteher eines Umweltamtes vorstellen. Hermann Goering schrieb um 1934 eine ziemlich progressive Abhandlung über Tierschutz, wie ich sie auf diesem Niveau bei einem Islamisten bis anhin noch nicht zur Kenntnis genommen habe. Er war beim Nürnberger Prozess seinen Anklägern geistig ebenbürtig, was ich freilich nicht mit einem Werturteil verwechselt haben möchte. In Vergleich etwa zu Putin aber war Goering klar korrupter und es fehlte ihm absolut die Fähigkeit zu historischer Analyse a la Putin auf der Westerplatte 2009. Falls von diesem Politiker eine Gefahr ausgeht, so liegt sie – gegenüber westlichen Politikern – in strategischer und analytischer Überlegenheit. Wie Marx und Engels, auf die er sich zwar nicht beruft, war und ist Putin ein Gegner des individuellen Terrors und insofern im Kampf gegen denselben ein potentieller Verbündeter.

Wie die Islamisten waren viele Leute von SA und SS in den seltensten Fällen gehirngestört. Als Deutsche auf der Grundlage eines damals beeindruckenden Schulwesens konnten sie ihre Intelligenz durchaus entfalten und waren nicht mal in jedem Fall moralisch besonders verdorben. Vgl. später der linke Weltverbesserer und spätere deutsche Aussenminister, der in der Art der SA-Saalschutzkämpfer auch mal auf einen am Boden liegenden Polizisten eingetrampelt hat. Einen ehemaligen Schweizer Frontisten, der in jenem Alter sich ähnlich verhielt wie Fischer, allerdings nie gegen einen Polizisten, kannte ich noch persönlich. Der Mann wurde später in den Aargauer Verfassungsrat gewählt und stimmte der Aufnahme eines Menschenrechtskataloges in die Verfassung zu. Auch Joschka Fischer hat sich in die vernünftige Richtung weiterentwickelt. Dabei sollten wir über Ideologen nicht zu harte Werturteile fällen. Wichtig bleibt, generell nicht auf sie hereinzufallen und keine Meinung zu vertreten, bloss weil sie aus ideologischen Gründen nahe liegt. Ich wiederhole jedoch, dass der terroristische Spezialfall bei den verschiedenen ideologischen Richtungen der Neuzeit im Promillebereich liegt. Das ist jedoch gefährlich genug. Objektiv würden 100 000 islamische Einwanderer beim Terroristenquotienten ein geringeres Risiko darstellen als 10 Millionen Einwanderer. Ich muss das so wenig beweisen wie die Tatsache, dass die Unfallgefahr auf der Strasse bei 20 Stundenkilometern etwas geringer ist als bei 200 Stundenkilometern. Ich sage auch nicht, dass nur von einer einzigen religiösen Denomination eine Gefahr ausgehen muss. Objektiv richtet aber derzeit etwa die katholische Inquisition nur noch einen Schaden an, der mit demjenigen, der von der Scharia ausgeht, im Promillebereich liegt. Natürlich sollte man den Terrorismus, den extremen Spezialfall des Fanatismus, auch nicht überschätzen.

Ich würde die Terroristen aber noch weniger unterschätzen, wenigstens die Strategen unter ihnen. Im Gegensatz vielleicht zu Ihnen kannte ich einige Leute, wie meinen langjährigen Gesprächspartner Achmed Huber aus Bern, die nun mal den 11. September 2011 als politischen Erfolg angesehen haben und sich über diesen „Erfolg“ ihrer Sache gefreut haben. Mit einem solchen Mann konnte man im übrigen vernünftig über islamische Mystik diskutieren, mich von ihm über den Blutfriedhof von Teheran orientieren lassen und seine interessanten Gespräche mit Saddam Hussein, den er ebenso gut einschätzen konnte wie es Herr Tilgner tat. Huber hat sich als ehemaliges, allerdings ausgeschlossenes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei nie als Faschist verstanden, auch nicht als Nationalsozialist, sehr wohl jedoch als Islamist. Die Frage bei diesen Richtungen ist ja, wie Ernst Jünger hervorzuheben pflegte, das ganz andere Verhältnis zum Tod. Ich habe dies im 11. Kapitel über „Parapsychiatrie“ im Zusammenhang mit dem gesuchten Martyrium dargestellt, in meiner Darstellung der Lehre von Paracelsus, in „Paracelsus, Arzt und Prophet“, 6. Auflage, Zürich 2013. Das, was Sie beim Terrorismus und seinen ideologischen Hintergründen wegen dem Faschismus-Gebräu Ihrer unausgegorenen Theorie nicht verstehen wollen, skizzierte Hermann Lübbe in seiner Abhandlung „Freiheit und Terror“. Er ging davon aus, dass Hegel das Phänomen des Terrorismus recht gut dargestellt und verstanden hat, was jedoch trotzdem ausschliesst, dass Terroristen bewusst nach Hegel handeln. Aber es geht bei ideologisch motivierten Selbstmordattentaten in einigen signifikanten Fällen darum, den Willen des Weltgeistes bzw. den Willen Gottes in einer totalen Identitätserfahrung zu vollziehen. Ähnliches wurde auch bei christlichen Mördersekten festgestellt, wie von Paracelsus im Jahre 1531 schon erfasst. Wenn Sie aber, was analytisch erst noch falsch ist, im Zusammenhang mit Paris mit SA und Faschismus kommen, versuchen Sie ein psychisch und historisch noch nicht bewältigtes deutsches Problem zur Isolation des Bösen zu bewältigen und auf den neuen Typus der Täter zu übertragen. Zum Fundamentalismus äusserte ich mich dem 1989 beim Zürcher Institut für politologische Zeitfragen in der Publikation „Fundamentalismus – Eine neue Bedrohung.“ Ich habe dort u.a. Ahmed Huber zitiert und längere Gespräche mit ihm geführt. Er kannte einige Organisatoren des späteren islamischen Terrors, hätte diesen aber nie selber praktiziert. Er hatte aber die Lehrbücher von John Most und anderen ebenfalls gelesen und wir haben das gemeinsam miteinander analysiert, nur dass ich den Terror selber als Problemlösungskonzept ausgeschlossen hätte. Ich wollte ja verstehen und darüber schreiben.

Pirmin Meier


Literatur: Ua. Alfred Andersch: Der Vater eines Mörders. (Über Himmlers Vater)

 
 
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