Textatelier
BLOG vom: 20.09.2015

Selbstverschuldet aus dem Haus geschlossen

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London

 

Diesen Text werde ich Lily nicht vorlesen. Immer wieder muss ich ihr versichern, dass ich den Hausschlüssel in der Tasche habe, bevor ich das Haus verlasse. Ich wusste, dass sie erst am Abend zurück sein wird. “Und vergiss die Schlüssel nicht”, ermahnte sie mich.

Gegen 11 Uhr verliess ich munter und fidel das Haus. Ich wollte beim “Hanswurst” in Wimbledon eine Bratwurst* kaufen. Erst bei der Bushaltestelle bemerkte ich, dass ich den Hausschlüssel vergessen hatte. Was tun? Es begann zu regnen. Rosemary, unsere Nachbarin – sie bewahrt unseren Ersatzschlüssel –, kam mir in den Sinn. Aber Rosemary war abwesend ...

Zum Glück war das Tor für die Autozufahrt nur angelehnt. Erleichtert stellte ich fest, dass das Küchenfenster nicht verschlossen war. Früher hätte ich mich auf den Fenstersims aufschwingen können. Meine Versuche scheiterten altersbedingt. Die Leiter hinter dem Schuppen fiel mir ein. Ich schleppte sie mühsam durchs Gestrüpp zur Hauswand. Der Regen hatte sich inzwischen verstärkt. Das Fenster liess sich nur einen Spalt weit öffnen. Könnte ich mich durch diese Lücke zwängen?

Auf der Leiter zog ich mein linkes Bein hoch und fand Fusshalt im Geschirrbecken. Dabei hatte ich den Wasserhahn aktiviert. Das Wasser sprudelte mir übers Bein. Schräglings kämpfte ich mich etappenweise voran und hatte Schwierigkeiten, mein rechtes Bein nachzuziehen. Es galt, eine Kopflandung auf dem Küchenboden zu verhindern. Krampfhaft suchten meine Hände Halt am Rand des Beckens. Bange Frage: Wird es mein Körpergewicht aushalten?

Meine Fensterakrobatik hatte die Alarmanlage ausgelöst. Ausser Schnauf geriet ich in Panik und musste mir eine Verschnaufpause gönnen. Das beruhigte die Alarmanlage keineswegs. Ich bin zum Einbrecher im eigenen Haus geworden!

Ich sass im Becken und liess meine Beine baumeln. Mit einem kräftigen Ruck gewann ich schliesslich den Boden unter mir. Wie schaltet man die Alarmanlage aus? Ich sprang zum Ausgang. Nach einigen falschen Tastendrücke tippte ich unseren Code in den Schalter. Der Alarm war endlich gelöscht.

Jetzt galt es, den Dreck meiner Fussspuren zu tilgen. Nach einer guten Viertelstunde war alles gesäubert. Ich hatte meine Kaffeepause verdient. Der Regen hatte nachgelassen. Nein, auf meine *Bratwurst wollte ich nicht verzichten. Ich hatte sie verdient. Nie wieder werde ich die Hausschlüssel vergessen, schwor ich mir.



 


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