Textatelier
BLOG vom: 30.06.2015

Vor der Reise nach Rumänien

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland

 

Ich unterrichte seit einigen Jahren per Videoschaltung Deutschlernende in Bukarest, der Hauptstadt von Rumänien, und Rumänen, die in Deutschland arbeiten. Das ist ein Grund, dieses mir unbekannte Land zu besuchen. Es gibt noch einen anderen.

Er hat etwas mit Integration zu tun. In Deutschland wird erwartet, dass sich Zugewanderte, die sich hier für längere Zeit oder auch für immer niederlassen, den deutschen Gepflogenheiten anpassen, die deutsche Sprache lernen und vieles mehr.

Das ist sinnvoll, denn ohne die Sprache zu verstehen, ist es nicht einfach, sich in der Fremde zu etablieren.

Umso überraschter war ich, als ich erfuhr, dass die Bereitschaft, sich in einem fremden Land zu integrieren, bei Deutschen in den vergangenen Jahrhunderten keineswegs so war.

In meiner Schulzeit wurde „die Ostsiedlung“ behandelt und aus dieser Zeit ist mir, obwohl sie schon einige Jahrzehnte hinter mir liegt, der Ruf der fremden Herrscher in Erinnerung, die die doch so fleissigen deutschen Bauern und Handwerker nach Osten holten, um dort Wald zu roden, Landwirtschaft zu treiben, Häuser zu bauen und was sonst noch so gefragt war. Wenn ich mich recht erinnere, hiess das Schulbuch „Nach Osten wollen wir zieh’n“ oder so ähnlich.

Vor einiger Zeit fiel mir ein „Atlas zur Geschichte der deutschen Ostsiedlung“, für die Schule gemacht, aus dem Jahr 1958, in die Hände. Das Buch beginnt mit dem Eingangskapitel „Landnahme und Wanderungen der Germanen bis zum Ende des 6. Jahrhunderts nach Christus“. Darin wird beschrieben, dass sich die Germanen, von ihrer Urheimat im heutigen Südschweden ausgehend, bis nach Osten zur Weichsel angesiedelt hatten. Die Slawen (Hunnen) lösten im 6.-8. Jahrhundert eine Abwanderung der Germanen aus den Ostgebieten aus.

Der Beginn der „bairischen Ostsiedlung“ durch die Bajuwaren in den Alpentälern etwa ab dem Jahre 550 war Jahrhunderte lang auch ein Kampf gegen das nach Westen drängende asiatische Reitervolk der Madjaren (Ungarn). Die Schlacht am Lechfeld im Jahre 955 unter Kaiser Otto I. sicherte endgültig an der Elbe-Saale-Linie die Grenze im Osten. Der Beginn der bäuerlichen deutschen Siedlungen wird ins 12. Jahrhundert gelegt.

„Die Siedlung hatte bis etwa 1200 eine Linie von Lübeck über die Spree-Havel-Mündung westlich Berlin bis Dresden erreicht, um das Jahr 1300 die Oder überschritten und fast ganz Schlesien (heutiges Polen) erschlossen. Sie vollzog sich als friedlicher Vorgang, teils zu vorhandenen slawischen Siedlungen, teils in Form von Neurodung. Die slawischen Bewohner der erschlossenen Gebiete nahmen allmählich die deutsche Sprache an. Nur in der Lausitz (heutiges Ostdeutschland) hat sich die slawische (sorbische) Sprache in Resten noch bis zur Gegenwart behauptet.“

Ich sehe mir eine Karte mit dem Titel „Die deutsche Siedlung im Karpatenraum vom 12.-14. Jahrhundert“ an. Ein Grossteil des heutigen Rumänien war damals Staatsgebiet von Ungarn.

Ich habe vor, in den nächsten 2 Wochen Siebenbürgen zu besuchen, nördlich der „Transilvanischen Alpen“, heutiger Name: „Karpaten“, gelegen, die damals die Grenze bildeten und sich durch das Land schlängeln. Der Karte nach begann die bäuerliche deutsche Besiedlung im 12. und 13. Jahrhundert. Die Städtenamen sind – neben den rumänischen – auch heute noch gebräuchlich: Hermannstadt, Mühlbach, Schäßburg, Elisabethstadt, Mediasch, Kronstadt. Sie will ich besuchen. Dieser Teil ist schraffiert gezeichnet und die Legende erläutert die Schraffur als „’Königsboden’ in Siebenbürgen und der Zips (Von den ungarischen Königen mit Vorrechten ausgestatteter deutscher Siedlungsboden)“, in dem unter anderem Wein angebaut wird. Heute wird von den deutschstämmigen Einwohnern von der „Sasch“ gesprochen.

Auf der Seite „Die neuzeitliche deutsche Siedlung im Donauraum“ zeigt an, dass Elisabethstadt „ihr deutsches Bürgertum frühzeitig verloren“ hat, und die anderen von mir genannten Städte „bis zur Gegenwart deutsches Bürgertum in erheblicher Zahl besitzen“. Diese Karte zeigt auch an, dass in Hermannstadt und KronstadtSchlachtorte und Festungen der Türken“ gegeben hat.

Die Karte „Entwicklung der Staatsgebiete Preussens und Österreichs“ beschreibt die „Ausweitung zur Donaumonarchie durch Rückgewinnung der von den Osmanen eroberten Gebiete und Ausgreifen nach Nordosten bis 1815“, zu der dann auch die Grafschaft Siebenbürgen gehörte.

Die letzte Karte zeigt an, dass die „Rumäniendeutschen“ vor 1939 die Zahl von 800Tausend erreicht hatten und nach 1955 noch bei 380Tausend lagen.

Wie oben erwähnt, stammt dieser Atlas aus dem Jahr 1958. Nicht viel später machte Ceausesco Rumänien zu einem stalinistischen Terrorgebiet, und das Land verarmte.  Die Zahl der Rumänendeutschen ist seitdem erheblich geschrumpft. Inzwischen gehört Rumänien zur Europäischen Union. 2014 wurde dennoch ein Deutschstämmiger zum Präsidenten gewählt, Klaus Johannis.

Nicht nur die deutschen Ortsnamen, auch der Hinweis auf die „Rumänendeutschen“ weisen darauf hin, dass sich diese nicht in Rumänien integriert haben, ja, mir wurde zugesichert, dass die bäuerliche Bevölkerung teilweise in Siebenbürgen nicht einmal die Landessprache gelernt hat.

Ich denke, es wird eine interessante Erfahrung werden, diese Reise!

Quelle: Atlas zur Geschichte der deutschen Ostsiedlung, bearbeitet von Dr. Wilfried Kallert et.al., Sonderdruck für den Hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung, Verlag Velhagen & Klasing, Bielefeld, Berlin, Hannover, 1958.

 

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