Textatelier
BLOG vom: 10.01.2015

Bitte ein bisschen mehr Höflichkeit: „Bitte ein Brötchen!“

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Höflichkeit ist eine Zier, denn weiter kommt man ohne ihr“, lernten wir schon in unserer Jugendzeit. Später erfuhr ich einen ganz anderen Spruch, der so lautete: „Höflichkeit ist die Blüte der Menschlichkeit. Wer nicht höflich genug ist, ist auch nicht menschlich.“ Denn laut Arthur Schopenhauer „mildert die Höflichkeit die Stösse des Lebens.“ Höflichkeit, das habe ich immer erfahren, erfüllt uns mit Freude und gibt uns positive Erlebnisse. Dass sich Höflichkeit auszahlt, konnte ich bereits in einem Glanzpunkte-Artikel darlegen.
 
Am 10.12.2014 wurde unter der Rubrik „Unterm Strich“ in der „Badischen Zeitung“ ein Kommentar über die heutige Höflichkeit in Deutschland abgedruckt. Der Autor stellte die Frage in den Raum, ob die Deutschen mit der Höflichkeit ihre Probleme hätten. Dazu ein Beispiel: Kommt ein Kunde in eine Bäckerei und sagt bestimmend: „Eine Bretzel!“ oder „Drei Vollkornbrötchen“. Der Autor fragt sich, ob hier nicht etwas fehle. Nun er meinte das „Bitte“ oder das „Danke“. Oft hört man leider nur einen Kommandoton.
 
Wenn ich an einer Fleischtheke stehe und beispielsweise „1 Pfund Kalbfleisch“ verlange, vergesse ich, „bitte“ zu sagen. Wenn ich nämlich mehrere Produkte verlange, käme ich aus dem Bittesagen nicht mehr heraus. Dafür bedanke ich mich herzlich, sobald ich die Portion ausgehändigt bekomme. Meine Ansicht ist, dass man es mit der Höflichkeit nicht übertreiben sollte.
 
Nach der oben erwähnten Publikation hielt sich eine Doktorin aus Freiburg i. Br. nicht mehr zurück. Sie betonte, dass endlich einmal Worte zur deutschen (oft fehlenden) Höflichkeit gesagt werden müssten. „Geht jemand vor mir durch eine Tür, dann dreht sich diese Person selten um und hält die Tür für nachfolgende Leute offen. Mir ist so manches Mal die Tür fast ins Gesicht geschlagen. Umgekehrt, wenn ich die Tür für jemand offen halte, bekomme ich selten ein ‚Danke’ zurück.“ Sie betonte noch, dass diese Worte und rücksichtsvolle Gesten das tägliche Leben ein wenig angenehmer machen. Nach ihren Auslandsaufenthalten fielen ihr die Unhöflichkeiten in Deutschland besonders auf.
 
Herr H. aus Bad Krozingen ging in einem Leserbrief am 03.01.2015 in der „Badischen Zeitung“ auch auf den Bericht über die Höflichkeit ein. Er schrieb: „Im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen unterscheiden wir im Deutschen zwischen Menschen und Leuten. Menschen verfügen über die 3 ‚H’: Herz, Hirn und Humor. Leuten jedoch fehlt mindestens eine dieser 3 Charaktereigenschaften.“
 
Meine persönlichen Erfahrungen
Kürzlich wollte ich am Kontoauszugsdrucker meine Bankbewegungen ausfindig machen. Vor mir stand eine ältere Dame und begutachtete ihre ausgedruckten Belege. Ich sagte zu ihr: „Könnten Sie bitte mich ranlassen?“ (nicht an die Frau, sondern an den Drucker). Dann entwickelte sich ein freundliches Gespräch über ihre Enkel, die über Weihnachten bei ihr zu Besuch waren. Vorher empfand ich die Frau als etwas mürrisch. Sie war wohl so sehr in ihren Auszügen vertieft, dass sie keine Lust zur Freundlichkeit hatte. Nach den ersten höflichen Worten – ich frage sie, ob noch genügend Geld auf unsern Konten sei – kam das erwähnte Gespräch zustande.
 
An einem Morgen nach Weihnachten waren die Strassen und Gehwege etwas vereist. Trotzdem wagte ich den Gang zum Einkaufsmarkt Hieber in Schopfheim-Fahrnau D. Da kam mir ein etwas verwildert aussehender Mann entgegen. Als er bei mir war, warnte er mich mit den folgenden Worten: „Passen Sie auf, es kommt eine vereiste Stelle.“ Er sagte das in einem höflichen Ton. Dann bedankte ich mich sehr herzlich für diesen Tipp.
 
An einem Tag im Dezember 2014 wartete ich im Hof der Grundschule in Fahrnau auf meine Enkelin. Es war schon kurz nach 12 Uhr. Da tauchte ein Schüler aus der 1. Klasse auf und rief mir entgegen: „Einen schönen Mittag wünsche ich.“ Da war ich ganz schön perplex und dachte, das sei ein höfliches und gut erzogenes Bürschchen.
 
Kurz vor Weihnachten wollte ich noch ein Päckchen auf der Post aufgeben. Ich packte dieses in eine Tasche und wartete geduldig in einer langen Menschenschlange vor dem Schalter. Kurz bevor ich diesen erreichte, zog ich am Päckchen, das sich in der Tasche verhakte. Da kam ein jüngere Frau zu mir und sagte: „Darf ich Ihnen helfen?“ Ich lehnte die Hilfe aber ab, da ich im Augenblick des Hilfsangebots das Hindernis beseitigte. Ich bedankte mich bei ihr. Dieses Erlebnis hat mich sehr erfreut, und ich dachte, es gebe also doch noch freundliche und hilfsbereite Menschen.
 
Dies waren positive Erlebnisse. Es gibt natürlich auch hier „Muffelköpfe“, die einem manchmal im Supermarkt mit ihrem Einkaufswagen in die Hacken fahren und sich nicht entschuldigen. Wiederum andere nörgeln herum, wenn es ihnen vor der Supermarktkasse nicht schnell genug geht. Von einem hörte ich einmal: „Schon wieder an der falschen Kasse angestellt. Das dauert wieder lange.“
 
Aber solche negativen Charaktereigenschaften sind zum Glück nicht bei vielen ausgeprägt.
 
US-Comicfiguren und ein Hausmeister
In den USA wird schon das Folgende den Comicfiguren in den Mund gelegt: „Say please and thank you, these are words you need to know“ (Sag´bitte und danke, diese Wörter musst du kennen). Ob das letztendlich hilft? Ich habe da meine Zweifel.
 
Ein Hausmeister einer Stuttgarter Walddorfschule kam auf eine andere Idee. In einer neuen Preisliste für den Pausenverkauf war zu lesen: „Brötchen! Ein Euro – Ein Brötchen bitte 0,70 Euro“. Der Mann hat einen Sinn für Humor. Die Konsumenten kaufen seitdem die billigen Brötchen mit dem „Bitte“. Wenn es um den Geldbeutel geht…
 
Höflichkeiten in der Schweiz?
Ich fragte unsere Bloggerin Rita Lorenzetti-Hess aus Zürich, wie es mit der Höflichkeit in der Schweiz aussehe. Sie schrieb mir die folgenden Zeilen:
 
„Freundlichkeit kann angeboren oder in der Kindheit erlebt worden sein.
 
Höflichkeit verstehe ich als angelerntes, rücksichtsvolles und hilfsbereites Verhalten. Beide gehören zusammen.
 
Ob wir in Zürich alle hilfsbereit sind, kann ich nicht bewerten. Ich erlebe aber öfters, dass mir junge Menschen den Platz im Tram oder Bus anbieten, weil ich nicht mehr jung bin. Da ist es dann angebracht, dass ich mich bedanke.
 
Das Grüssen auf der Strasse gehört auch zur Höflichkeit. Hier im Quartier Zürich-Altstetten sei es eine alte Tradition, wurde uns beim Umzug erklärt. Sofort erkannte ich, dass ich mich hier selber sehr schnell zu Hause fühlte, weil ich gegrüsst wurde. Und sofort machte ich mir diese Tradition auch zu eigen.
 
Ich stellte fest, dass Menschen aus fernen Ländern zuerst scheu auf einen Gruss reagierten und dann bald von sich aus auch grüssten. Da und dort gab dann auch ein Wort das andere.
 
Als ich Letizia zu diesem Thema befragte, wies sie sofort auf das Sprichwort hin ‚Wiä mer in Wald ine rüeft, so tönts zrugg.’ (Wie man in den Wald hinein ruft, so tönt es zurück.) Sie hat Erfahrung, spricht gern mit den Kunden am Marktstand in Zürich-Wipkingen. Sie weist aber auch darauf hin, dass sie anfänglich vom Verhalten der Kundschaft aus Deutschland irritiert worden sei. Wenn Kunden im Befehlston zu ihr sagen: Ich bekomme 10 Eier, dann ist das kein freundliches Geschäft, sondern ein Befehl. Und damit haben wir unsere Mühe. Nicht nur die Familie Lorenzetti, sondern viele Schweizer. Nach unserem Naturell verhindern Befehle ein freundliches Miteinander. Sie lassen keinen Spass zu. Und jetzt bitte ich die Leserinnen und Leser um Verständnis unserer Eigenheit. Man sagt ja auch, die Seele der Schweizer sei sensibel.
 
Im Dezember stand ich einmal an einem Verkaufstand einer Bäckerei. Es bediente eine mürrisch erscheinende Frau. Jedes Wort schien sie zu belasten. Die Kundin vor mir, eine gepflegte Dame, sprach mich darauf an. Sie sprach laut, dass es die Verkäuferin hören musste: ‚Immer diese Unfreundlichkeit!’ rief sie vor sich hin. Als dann ich von ihr bedient wurde, schien es, sie strenge sich extrem an, freundlich zu wirken.
 
Ja ich dachte, diese Person sei überfordert, obwohl sie gründlich und perfekt arbeitete. Da die Dame aber ebenso unfreundlich vor sich hin sprach, die Verkäuferin sei immer so unfreundlich, fiel mir ein, dass es eine Veranlagung sein könnte. Während wir noch ein paar Schritte nebeneinander einher gingen, sagte ich, wenn ein Mensch in der Kindheit nie lustig sein durfte, nie einen Dank oder ein Lob kennen gelernt habe, dann sei es gewiss unmöglich, freundlich und selbstsicher zu sprechen.“
 
Ein kleines Fazit
Ein bisschen mehr Höflichkeit, ein Bitte oder Danke sind in unserer hektischen und materiell eingestellten Welt angebracht. Es ist phänomenal, dass Höflichkeit und Freundlichkeit sogar den Starrsinn besiegen können.− Nehmen wir eine alte chinesische Volksweisheit mit auf den Weg, die lautet: „Vermöchten wir alle für einen einzigen Tag höflich zu sein: Die Feindschaft unter den Menschen würde sich in Liebe verwandeln.“
 
Oder ein anderes Sprichwort, diesmal von Ludwig Börne: „Höflichkeit ist Staatspapier des Herzens, das oft umso grössere Zinsen trägt, je unsicherer das Kapital ist.“
 
Das ganz am Anfang dieses Blogs erwähnte Zitat sollte man nicht beherzigen. Höflichkeit bringt uns allen etwas, nämlich Freude, Zufriedenheit und manchmal sogar ein erbauliches Gespräch. Wir sollten nicht verzagen, wenn wir bei unhöflichen Menschen keinen angenehmen Widerhall erfahren.
 
Johann Peter Hebel führte in seinen „Denkwürdigkeiten aus dem Morgenland“ eine Episode auf, bei der einer gefragt wurde, woher er seine feinen und wohlgefälligen Sitten gelernt habe. Er sagte: „Bei lauter unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat.“
Dies war ein guter Rat.
 
 
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