Textatelier
BLOG vom: 03.12.2014

Kleinkaliberschiessen und gute Seele, vom Papst gesucht

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Wenn ich als Deutschdozent die Zeitung lese, fällt mir oft auf, mit wie vielen Metaphern, Symbolen und Redewendungen und anderen rhetorischen Figuren die Artikel geschrieben sind.
 
Heute, ein Tag am Ende des Novembers 2014, nehme ich mir die Tageszeitung vor, die in Nordrhein-Westfalen D mit einer Auflage von über 300 000 Exemplaren führend ist: die „Rheinische Post“.
 
Der Papst besuchte das europäische Parlament in Strassburg. Ihm verpasste der Redakteur den Titel „Europapa“, verknüpfte also „Europa“ mit der Form für Vater, „Papa“, das kirchenlateinische Wort für „Papst“.
 
Das ist noch nachvollziehbar. Aber wie ist die Überschrift „CDU geht auf Nummer sicher“ zu verstehen? Der Artikel handelt sowohl vom Kampf gegen Wohnungseinbrüche als auch über ein härteres Vorgehen gegen Islamisten.
 
Auf Nummer sicher gehen“ müsste, so lese ich im Internet, nicht „gehen“, sondern „sitzen“ heissen, denn der Verbrecher sitzt im Gefängnis in einer nummerierten Zelle; von ihm kann kein Risiko mehr ausgehen. Die englische Entsprechung ist hinsichtlich der Risiken der Hedgefonds interessant: „to hedge one's bets“. „Hedge“ bedeutet „absichern“. Die CDU will also die Risiken verringern. Geht sie dafür ins Gefängnis?
 
Auf der nächsten Seite fällt unter dem Begriff „Analyse“ die Überschrift „Juncker schiesst mit kleinem Kaliber“ ins Auge. Dieser Artikel ist voller Metaphern. Der EU-Kommissionschef will, ohne neue Schulden zu machen, einen Investitionsfond „auflegen“, wobei nicht das ‚Handauflegen’ im religiösen Sinne gemeint ist.
 
Da ist von „frischem Geld“ die Rede, um „die Wirtschaft anzukurbeln“ („Drehen sie noch an der Kurbel oder sind sie nicht mehr frisch?“).
 
Es soll „Geld mobilisiert“ werden (soll das Geld Automobil fahren?), und es wird „im Klartext“ (also nicht im verwedelnden Trübtext!) gesprochen, denn „der Steuerzahler haftet als Erster“ (und als Letzter?) dafür, trotz „öffentlicher Hilfe“.
 
Experten sollen „auf der Basis der Wirtschaftlichkeit“ (wo finde ich die denn?) und nicht „entsprechend nationalen Begehrlichkeiten“ („Gestehe, was ist dein Begehr, Nation!“) entscheiden. „Verworfen“ werden vorher „ins Spiel gebrachte Ideen“, die die Bundeskanzlerin Angela Merkel „rundheraus ablehnt“. (Ist die Politik nur ein Spiel, in dem Ideen verworfen und abgelehnt werden?)
 
Die Bundesrepublik „in Gestalt von“ Finanzminister Wolfgang Schäuble (Sie erinnern sich, in Johann Wolfgang von Goethes Erlkönig heisst es:’..mich reizt deine schöne Gestalt, und bist du nicht willig…’) will das Grundkapital „aufstocken“ (nach dem Grundstock, kommt dann der erste Stock?), was andere Mitgliedsstaaten „nicht aus ihren klammen Haushalten abzweigen können.“ (Ist mein Haushalt auch klamm, weil ich gerade feuchte Wäsche an den Zweig gehängt habe?)
 
Eine Einzahlung in den Investitionsfond „könne dessen Hebelwirkung deutlich erhöhen.“ (Nach dem Hebel-Gesetz in der Physik wird zwischen einseitigem und zweiseitigem Hebel unterschieden, welcher wirkt denn hier?)
 
Der zuständige EU-Kommissar Jyrik Katainen ist überzeugt, dass der Fonds „mit einer signifikanten Feuerkraft“ (also doch nicht mit ‚kleinem Kaliber’?) starten wird.
 
Kritik kommt von den Linken, sie sprechen von „Juncker-Voodoo“. („Voodoo“ ist eine Religionsgemeinschaft, gehört Jean-Claude Juncker etwa dazu?)
 
Der CDU-Gruppenchef freut sich darüber, dass damit „privates Kapital angelockt“ werden soll. (Und richtet sich nicht nach der mütterlichen Warnung; „Wenn dich die bösen Buben locken, dann folge nicht“!)
 
Doch schon vor 21 Jahren „schnürte die EU ein Wachstumspaket“. Ein Paket wird geschnürt, aber was passiert, wenn es wächst? Also ist die Idee nicht neu, so der Artikelschreiber. Seiner Ansicht nach „schiesst Juncker mit kleinem Kaliber“. Ob er jemanden trifft, oder schiesst er in „Voodoo“-Manier mit Nadeln?
 
Die Überschriften auf der Seite „Nordrhein-Westfalen“ sind ebenso bemerkenswert. Das „Schulessen ist oft nicht ausgewogen“ heisst es, und ich frage mich, ob etwa die Waage nicht funktioniert.
 
In einer fett gedruckten Zwischenüberschrift wird behauptet, „dass viele Kinder heute Brokkoli nicht kennen, liegt oft am Elternhaus“, was unbestritten ist, denn viele Häuser haben keine Gärten, in denen das Gemüse wachsen könnte.
 
Fragwürdig ist auch die Überschrift „Bio-Ei bleibt trotz Stallpflicht Bio“, was soll es sonst denn werden, ein „Stall“?
 
Unten rechts steht noch ein Artikel mit der Überschrift „Polizist mit mutmasslich rechter Gesinnung suspendiert“. Darf man etwa keine „rechte Gesinnung“ mehr haben? Nach der buddhistischen Lehre ist die rechte Gesinnung der Entschluss zur Entsagung, zum Nichtschädigen und zur Enthaltung von Groll! Wer misst denn hier den Mut?
 
Auf der Seite „Politik“ lese ich „Der Papst sucht Europas gute Seele“. Auf der Website karriere-institut.net des Staufenbiel-Instituts lese ich, dass sie meist weiblich ist:
 
Relativ einfach lässt sie sich anhand von drei Merkmalen identifizieren. Erstens: Die gute Seele ist ständig bereit, jedem jederzeit gerne zuzuhören, besonders bei privaten und persönlichen Angelegenheiten. Zweitens erkennt man sie daran, dass sie ihr Umfeld gerne mit kulinarischen Höhepunkten oder fünferlei verschiedener Kuchen aus der eigenen Küche beglückt. Drittens: Die gute Seele hat einen nahezu unheimlichen Trieb zur Bemutterung ihres Umfeldes. Hausmittel bei Schnupfen? Trost bei Kummer? Tipps für den Haushalt? Gibt es alles bei ihr.“
 
Na, dann, soll er doch suchen! Und was macht er dann mit ihr, etwa sich bemuttern lassen?
 
Im Regionalteil sind Nachrichten aus der Stadt zu finden, die Hauptüberschrift lautet „Arschbombenkönig mit 6.80 Meter“. Diesen Begriff finden Sie garantiert nicht im Wörterbuch! Es geht darum, im Schwimmbad so vom Turm zu springen, dass man auf dem Hintern, auch „Allerwertester“ oder „Popo“ und grob umgangssprachlich „Arsch“ genannt, landet und das Wasser nach oben spritzen lässt. Aber ganz ohne Bombe, die wäre garantiert nicht erlaubt! Der Sieger wird zum König gekrönt, oder zum „Bombenkönig“?
 
Daneben gibt es einen Artikel mit dem Titel „Bald verschwinden die Papiercontainer“. Wohin wohl oder wer lässt sie das tun?
 
Auf der Rückseite wird über einen Gemeindereferenten der christlichen Pfarrei berichtet: „Der Mensch steht für ihn immer im Mittelpunkt“. Das ist bestimmt besonders erwähnenswert!
 
Für die „Lokale Wirtschaftsseite“ bleibt die Grenze „ein ärgerliches Hindernis“, und das trotz der Europäischen Gemeinschaft und einem Grenzübertritt ganz ohne Kontrollen. Ist ein Hindernis auch dann noch ein Hindernis, wenn es nicht mehr allzu sehr hindert und die Grenze nicht mehr ärgert?
 
Jeden Mittwoch erscheint neben der üblichen Zeitung noch ein Zusatzteil mit dem Namen „Mehr!“, und dort lese ich die Hauptüberschrift „Steuern auf Strick“. Was damit gemeint ist, erfahre ich erst durch intensives Lesen. Die Hobby-Strickerin, die ihre Strümpfe selbst verkaufen will, muss den Umsatz, sollte er höher als 17 500 Euro sein, versteuern. Aus der Überschrift war das allerdings nicht zu erraten.
 
Auf der allgemeinen Wirtschaftsseite wird behauptet: „Deutschland schrammt an Rezession vorbei“. „Ob das Land davon „eine Schramme“ bekommt und wenn ja, wo finde ich sie dann? Auf der duden.online-Website erfahre ich den Ursprung des Wortes: „mittelhochdeutsch schram(me) = lange Wunde; Riss, Felsspalte, eigentlich = (Ein)schnitt“.
 
Ich gehe sofort auf die Suche!!
 
Quelle
Rheinische Post, Düsseldorf, Mittwoch, den 26.11.2014.
  
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