Textatelier
BLOG vom: 31.10.2014

Nachdenkliche Absonderungen aus dem stillen Häuschen

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
 
Alles, was mit Ausscheidungen zu tun hat, wird in der Regel in die Schandecke abgedrängt, unbesehen davon, dass eine funktionable Verdauung so wichtig wie ihre Vorgängerin, die Ernährung, ist. Und damit zusammenhängt. Es ist angenehm, sich mit Frischprodukten oder meisterhaft Zubereitetem lustvoll zu sättigen. Und es ist eine befreiende Erleichterung, wenn man den Nahrungsbrei, aus dem lebensnotwendige Stoffe herausgeholt worden sind, wieder loswerden kann.
 
Besonders schön hat der irische Schriftsteller James Joyce in seinem „Ulysses“ eine Toilettenszene seines lesenden Hauptdarstellers Leopold Bloom ausformuliert: „In Ruhe las er, seinen Drang noch unterdrückend, die erste Spalte und begann, schon nachgebend, doch mit Widerstreben noch, die zweite. Auf ihrer Mitte angelangt, gab er seinen letzten Widerstand auf und erlaubte seinen Eingeweiden, sich zu erleichtern, ganz so gemächlich, wie er las, und immer noch geduldig lesend, die leichte Verstopfung von gestern ganz verschwunden.“ Solche Ergüsse können nur in nachdenklichen Minuten im Toilettenhäuschen geboren werden, und deshalb spricht man in Malaysia für die Orte des kurzen Verweilens denn auch von einem „thinking man’s room“.
 
Lob des gesunden Darms
Man kennt die Redensart, die dem Volksmund entsprungen ist, dass die Gesundheit des Menschen im Darm verborgen sei. Wenn der Darm träge und gar entzündet ist, wird heute sogar an eine Fäkalientransplantation gedacht, damit gesunde Bakterien neue Impulse geben, über die 2013 in der Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ unter dem Titel „Duodenal Infusion of Donor Feces for Recurrent Clostridium difficile“ erscheinen ist (das Duodenum ist der Zwölffingerdarm, das Clostridium difficile ein Einweiss, das oft nach Antibiotika-Behandlungen Durchfall auslöst); Dr. med. Simon Feldhaus vom Zentrum für Komplementärmedizin in Baar ZG hat darüber berichtet.
 
Der Bedeutung der Darmfunktion entsprechend, hat im Rahmen der zivilisatorischen Errungenschaften auch die Toilette an Zuwendung und Ansehen gewonnen. Der einst abseitige Abort hat von seiner Peinlichkeit verloren. Die hohe Klosett-Bedeutung fällt einem vor allem auf Langstreckenflügen oder bei Eisenbahnfahrten auf, wenn ganze Menschentrauben vor den Türen herumhängen, die mit Männchen oder Weibchen geschmückt sind, wobei es immer Leute gibt, die das stille Örtchen nicht so verlassen, wie sie es angetroffen haben. Das längere Unterdrücken des Erleichterungsprozesses ist eine schmerzhafte Übung. Man wäre dann mit einem Donnerbalken oder einem Plumpsklo zufrieden. Dabei gilt die Hocke (in tiefer Kniebeuge mit Gewichtsverlagerung auf die Fussspitzen) als ideale Haltung, auch aus der Sicht der Wirbelsäule. In dieser Position wird ein Druck auf den Bauch ausgeübt, was eine Entstauung der Bauchorgane bewirkt (einschliesslich ein Zusammendrücken der Därme).
 
Verirrtes Abwasser
Die Sache mit dem anfallenden Kot und dem Spülwasser ist heute dank Kläranlagen bestens gelöst; einst landete alles in Stadtgräben mit den entsprechenden Geruchsintensitäten. Der Inhalt von Nachtschüsseln wurde einfach aus dem Fenster gekippt. Paris galt als die stinkendste Stadt; die Damen reagierten mit hohen Schuhen und Parfüms darauf.
 
Ich erlebe ähnliche, allerdings parfümlose Zustände im Moment (Herbst 2014) gerade, weil eine oberhalb unseres Hauses und des Nachbarhauses wohnhafte Nachbarin sich seit Wochen weigert, die defekte Abwasserleitung, die ihr grosses Haus verlässt, reparieren zu lassen, so dass die graue, stinkende Sauce nahe an unserem und 2 Wohnhäusern friedfertiger, duldsamer Nachbarn vorbei in die Tiefe fliesst. Die unkooperative, arrogante Dame, die keinen Sinn für die Bedürfnisse normaler Menschen hat, muss durch die Gemeindebehörde gezwungen werden, ihren Pflichten nachzukommen, obschon sich das allein schon aus einem anständigen Verhalten heraus ergeben müsste. Einen Rückfall zum Immer-der-Nase-nach-Gruselkabinett brauchen wir nicht.
 
Das zum Himmel stinkende Verhalten der Frau G. ist tatsächlich Art Rückkehr zu den Zuständen des Mittelalters, und es verdient die überstrapazierten Flüche aus der Fäkalsprache: Scheiss, Shit. Es erfüllt zwar in gewissem Sinne eine 1388 von König Richard II. erlassene Verordnung, wonach das „Geschäft einen Steinwurf weit zu verrichten sei“ – jedenfalls taucht ihr Dreck ungefähr so weit von ihr entfernt an die Oberfläche auf; sie bleibt unbehelligt. Den Schaden haben in tieferen Lagen angesiedelte Nachbarn. Noch nicht vollzogen hat die Frau die Vorschrift Richards II., wonach „Ärgernis erregende Gegenstände, Flüssigkeiten, Mist, tierische Innereien oder anderer Unrat“ ordentlich zu entfernen seien. Und man muss dem französischen Schriftsteller Roland Topor (1938‒1997) recht geben, der sein berühmtes Scheissstück „Leonardo hat’s gewusst“ so abgeschlossen hat: „Die meisten Menschen hinterlassen nichts als Fäkalien.“
 
Toiletten-Kultur
Kulturgeschichte hat immer auch mit Exkrementen zu tun; wahrscheinlich kann man am Umgang mit ihnen von Grund auf lernen, was Kultur ist. Die ältesten Kaueraborte mit Fussplatten fand man in Babylonien über den Wasserläufen des Euphrat, eine ehemalige Hochkultur, die in den letzten Jahren unter US-Bomben begraben wurde. Hier 2 Buchtips zum Thema: John Gregory Bourkes „Buch des Unrats“ (1891) und „Die gelehrte Geschichte der Scheisse“ von Dominique Laporte (1978).
 
Wer dieser Thematik auf den Grund geht, erfährt, dass das Klosett (Klo) 1596 durch den Engländer Sir John Harington erfunden und dann laufend perfektioniert wurde. Allmählich fand man zu verbesserten hygienischen Zuständen auf breiterer Front. Der französische Dichter und Arzt François Rabelais schrieb in seinem Werk „Pantagruel und Gargantua“ von der Notwendigkeit des „Arschwischs“, obschon es zu seiner Zeit noch kein dreilagiges, samtweiches Papier zu kaufen gab. Es waren wiederum die Engländer, die das Water closet einführten, oft kunstvoll verzierte Kettenspüler.
 
Im Islam, in dem Waschungen eine bedeutende Rolle spielen, gilt alles, was den Körper verlässt, als unrein, und diese Betrachtungsweise findet sich auch anderweitig – der Abort ist ein Unort. Man verschwendet keine Gedanken an ihn. In den Bauplänen für ein Priesterseminar im Vatikan hatte der Architekt angeblich vergessen, Toilettenanlagen einzuplanen. Johannes Paul XXIII. fiel das Versehen noch rechtzeitig auf.
 
Reinigungstechnik
Andere Religionen, andere Sitten: Nach dem Toilettengang benutzt ein Muslim manchmal kein Toilettenpapier, sondern reinigt seinen Intimbereich mit fliessendem Wasser und der linken Hand. Diese linke Hand gilt deshalb ebenfalls als unrein und wird weder zum Essen noch zur Begrüssung benutzt.
 
Tatsächlich ist eine ausreichende Hygiene im stillen Örtchen nur möglich, wenn genügend Wasser zur Verfügung steht, ansonsten der unersättlichen Welt der Mikroben ein gefundenes Fressen überlassen wird. Es kommt ja auch niemandem in den Sinn, sein Gesicht mit trockenem Toiletten- oder farbig bedrucktem Zeitungspapier zu reinigen. Werden die Kotresten nicht bis in die Afterfältchen hinein tadellos entfernt, kommt es lauf dem Mediziner Ignaz Hutter (im „St. Galler Tagblatt“ vom 30.11.2007) zu Hämorrhoiden, Ekzemen und Hautrissen (Analfissuren) am Darmausgang. Der Stuhlgang ist dann mit Schmerzen verbunden, und ein Juckreiz kann den nächtlichen Schlaf beeinträchtigen. Grosse Hämorrhoiden können einen dauerhaften Druck auf den Analkanal ausüben, der mit einem Stuhldrang vergleichbar ist. Juckende Ekzeme können das Kratzen provozieren und Blutungen auslösen. Und das nachfolgende Händewaschen scheint ebenfalls auch nicht über jeden Zweifel erhaben zu sein, wie Analysen von Handtüchern und Weihwasser in katholischen Kirchen beweisen.
 
Wäre die Ernährung zu 100 Prozent ideal, wäre eine Afterreinigung unnötig. Der Stuhl in Form von kompakten Würsten könnte einfach abgeklemmt werden, ohne Schmierspuren zu hinterlassen, wie verschiedene Tierarten beweisen. Aber davon sind wir weit entfernt.
 
Der Closomat
Als wir 1971/72 unser Einfamilienhaus bauen liessen, schenkten wir der Defäkation die gebührende Aufmerksamkeit. Der Konstrukteur Hans Maurer hatte ein Spül-WC namens Closmat bereits erfunden; die Firma war damals noch in Zollikerberg ZH domiziliert. Seine Erfolgsgeschichte begann er 1961 mit dem serienfähigen Typ „Standard“ (auch „Closomat 61“ genannt), von dem bis zum Jahr 1976 10 000 Einheiten verkauft wurden. Und einer von ihnen liess ich in unser Haus einbauen, ein währschaftes Standmodell, dessen Wasserreservoir sogar aus massivem Porzellan bestand, und das 2184 CHF kostete. Dieses Gerät, mit Ausnahme der Gummipuffer des Sitzrings kaum reparaturanfällig, versah seinen Dienst bis in den Sommer 2014, also während 43 Jahren, zu unserer vollkommenen Zufriedenheit; Analbeschwerden kennen wir nicht. Doch dann versagte die Dusche, die nicht mehr ausgefahren werden konnte. Ich versuchte mit Kalklösern, sie wieder in Ganz zu bringen, was nicht gelang. Kaputt.
 
Im August 2007 hatte ich gelesen, dass die Closomat AG aufgrund des verfrühten Markteintritts des mit hohen Kosten entwickelten Modells „Aquaris“ Insolvenz anmelden musste; man hatte zu viel ins neue Modell investiert, das die Marktreife noch nicht erreicht hatte. Doch gelang es dem Sohn des Erfinders, Peter Maurer, mit finanzieller Unterstützung durch einen englischen Partner, das Unternehmen wieder auf die Beine zu bringen, wodurch 25 Arbeitsplätze in Embrach ZH erhalten werden konnten.
 
Ich fuhr also im Sommer 2014 nach Embrach, um mir in einer kleinen Ausstellung ein Bild über das heutige Spül-WC-Angebot zu machen. Verkaufsleiterin Katja Hugenschmidt vermochte alle meine kritischen Fragen zu klären. Deshalb und auf dem Hintergrund unserer guten Closomat-Erfahrungen bestellte ich das Modell „Palma Vita“ für rund 6000 CHF, inklusive Montage. Wir erfuhren eine tadellose Abwicklung des Geschäfts. Und weil wegen eines störenden, zu nahen Wasseranschlusses eine Seite der Sockelwand beschädigt war, wurde diese problemlos ersetzt und eine neue Montagelösung gefunden. Ich freue mich, dass ich einer Schweizer Firma, die ein ausgezeichnetes Produkt entwickelt hat und sich alle Mühe gibt, etwas Sukkurs geben konnte.
 
Die Toilettenbenützung gehört zu unseren alltäglichen Verrichtungen, ohne dass sie angemessen thematisiert würde. Somit lag es nahe, hier wieder einmal Gegensteuer zu geben, Lücken zu füllen und unserer Leserschaft angenehme Aktionen der Erleichterung zu wünschen.
 
 
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