Textatelier
BLOG vom: 23.09.2013

Einschulung, Lehrkräfte: Unterschiede früher und heute

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am 14.09.2013 fand die Einschulung meiner Enkelin Melina statt. Sie war sehr aufgeregt, zumal sie noch nicht wusste, wie das Klassenzimmer aussieht und wie umgänglich die Klassenlehrerin sein würde. Aber bald beruhigte sie sich. Das Zimmer war hell und geräumig und hatte Platz für 24 Schüler und Schülerinnen. Alle Tische waren mit einem bunten Namensschild versehen. Die Lehrerin war sehr freundlich und sympathisch. Das fanden nicht nur die Eltern, der Opa und die Oma, sondern auch Melina.
 
Vorher waren Lieder von den Zweitklässlern vorgetragen, die Lehrer und die neuen Schulkinder vorgestellt worden.
 
Ich kann mich noch gut an die Einschulung von meinem Enkel Manuele in Tegernau D erinnern. Dort standen die Zweit- oder Drittklässler Spalier, streckten ihre Hände in die Höhe und fassten sich mit dem jeweiligen Gegenüber an. Die neuen Schüler mussten hindurchschreiten. Diesen Brauch fand ich besonders schön.
 
Dabei erinnerte ich mich an meine Einschulung in Buchdorf (Bayern). Die Einschulung ging ohne Trara über die Bühne. Meine Mutter war überzeugt, dass ich eine Krawatte um den Hals binden musste und einen Anzug zu tragen hatte . Tränen flossen. Ich wollte nicht als geschniegelter Bursche in die Schule laufen. Da wir als Heimatvertriebene aus dem Sudetenland nicht viel Geld hatten, wurde auf eine Schultüte verzichtet. Ich weiss heute nicht mehr, ob die reichen Bauernkinder des Dorfs eine Schultüte hatten.
 
Meine Schwester Ursula, die 2 Jahre später in dieselbe Schule aufgenommen wurde, musste eine Haartolle tragen und auf saubere Fingernägel achten. Die Schuhe waren blitzblank poliert. Darauf wurde besonders bei den Flüchtlingen geachtet. Bei der Schulspeisung drängten sich die dicken Bauernkinder vor, um Speisen zu ergattern. Wie mir meine Schwester in einer E-Mail schrieb, fertigte unsere Mutter einen Anzug aus einem alten Wollmantel für mich an. Auch meine Schwester erhielt Selbstgeschneidertes. Die Mutter war sehr erfinderisch, sie nähte aus einem Vorhang ein Kleid mit weissem Kragen.
 
Und was erlebte Walter Hess? In einer E-Mail teilte er mir auf Anfrage das Folgende mit:
 
„Damals war ich etwas scheu, und das Einbinden in eine solch grosse Gruppe bereitete mir Sorgen, fast Angst. Ich hätte lieber meiner Mutter beim Nähen zugesehen und mich allein mit Buchstaben und Zahlen beschäftigt. Ich habe solche ausgeschnitten, vor allem von Abreisskalendern und aus dem Gelben Heftli, auf Karton aufgeklebt und ausgeschnitten. Doch dann hatte Fräulein Holbein in Lichtensteig SG, meine erste und ausserordentlich strenge Lehrerin, das Sagen. Das Stillsitzen und Aufpassen schien mir etwas langweilig – die Klasse kam nicht so recht voran. Für disziplinarische Massnahmen wurde zu viel Zeit vertrödelt. Ich gewöhnte mich bald daran. Schulbücher las ich immer im Voraus durch ... und dann staunten die Lehrkräfte, fragten sich, woher ich nur all das Wissen hätte ...“
 
Rita Lorenzetti-Hess berichtete in einem Blog vom 24.09.2012 („Reminiszenzen: Eintritt in Kindergarten und Primarschule“) über Primos Schuleintritt und auch von der Enkelin, die letztes Jahr in Paris in die 1. Klasse eintrat.
 
Wenn Lehrer wütend wurden
In unserem Schülerleben hatten wir nicht so nette Lehrerinnen oder Lehrer. Sie wurden leicht wütend, wenn wir uns nicht gebührlich benahmen. In meinem Blog vom 28.09.2012 („Schülerleben 1: Stink-Käse, Lachverbot und Hosespannis“) erwähnte ich solche negativen Ausbrüche. Hier nochmals einige Geschichten:
 
G. Richard Bernardy teilte mir in einer E-Mail am 21.09.2012 dies mit: „Stockschläge waren noch erlaubt. Es gab Stockschläge auf die Hände, die man geöffnet nach vorne strecken musste. Irgendwann kam jemand auf die Idee, den Rohrstock mit einer Zwiebel einzureiben. Nach 3 ,Anwendungen’ brach der Stock entzwei.“
 
Weitere diverse Erlebnisse mit „Tatzen“ (Schläge auf die Handinnenfläche) und „Hosespannis“ (= Schläge auf dem Hosenboden): Der gestrenge Lehrer oder die Lehrerin in der Grundschule verteilten an ungehörige Schüler (meistens waren es Schüler, die Mädchen waren eher brav) diese Stockschläge auf eine Handinnenfläche oder dem Hosenboden. Manche sorgten vor und verstecken ein Kissen auf dem Po. Dann taten die Rutenschläge nicht mehr weh.
 
Einer aus meiner Klasse kam auf die Idee, die Weidenrute, die der Lehrer in einem offenen Spind im Flur deponiert hatte, anzuschneiden. Dann wurde es ernst. Ein Schüler war ungebührlich. Der Lehrer wutentbrannt, holte die Rute und begann die erste Tatze zu schlagen. Die Rute sauste auf die Handfläche des Delinquenten. Der Stock brach entzwei, der Lehrer wurde noch wütender. Er konnte sich nicht beruhigen. „Wer war das?“ brüllte er herum. Als sich keiner meldete, mussten wir eine Strafarbeit schreiben.
 
Als ich mich einmal mit einem Schüler, der neben mir sass, unterhielt, holte mich die gestrenge Lehrerin nach vorne und haute mir 2 oder 3 Rutenschläge (Tatzen) auf die Hand. Da ich demonstrieren wollte, dass ein Indianer keinen Schmerz zeigt, ging ich pfeifend zurück auf meinen Platz. Da schrie die Lehrerin: „Komm sofort nach vorne. Du wirst mir nimmer pfeifen.“ Ich gehorchte dem Befehl und wanderte langsam in Richtung Pult. Dann bekam ich noch einige Tatzen auf die andere Hand. Die Folge waren rote Striemen, die sich auf der Hand abzeichneten. Von Schmerzen übermannt, konnte ich nicht mehr pfeifen und lachen.
 
Diese Vorkommnisse ereigneten sich in den 1950er-Jahren. Ich bin überzeugt, dass jeder Ältere ähnliche Erlebnisse erzählen kann. Von einer Frau aus meinem Bekanntenkreis hörte ich, dass die Tatzen auch in ihrer Schule im Badischen üblich waren. Sie rieb jedoch vorher ihre Hände mit einer aufgeschnittenen Zwiebel ein. Die Hand schwoll mächtig an und sie bekam dann weniger Schläge.
 
Sprüche über schlagkräftige Lehrer
Es gibt etliche Geschichten und Grabinschriften über schlagkräftige Lehrer (nach Eberhard Puntsch).
 
Auf dem Grabe eines Lehrers: „Ein treues Vaterherz und 2 nimmermüde Hände haben zu schlagen aufgehört.“
 
Auf dem Grab des Schullehrers Kugler, Winterthur:
 
„Hier schläft nach langer Arbeit sanft genug,
der Schüler, Orgel, Weib und Kinder schlug.“
 
Spruch in einer früheren Hamburger Schule:
 
„Hier übt man edle Jugend
in Gottesfurcht und Tugend.
Ein wenig Knüppelei
ist auch dabei.“
 
Ein nasser Schwamm
Ich kann mich noch gut an einen Streich erinnern, den wir einem Lehrer spielen wollten. Wir drückten einen nassen Schwamm auf der Sitzfläche seines Stuhles aus. Wir warteten gebannt auf den Lehrer. Er kam ins Klassenzimmer, ging zum Pult und setzte sich einfach nicht. Hatte er etwas bemerkt? Auf jeden Fall konnten wir ihn nicht bewegen, sich zu setzen. Der Streich ging in die Hose (oder eben nicht).
 
Das probierten Oberprimanerinnen ebenfalls aus. Der Pädagoge entdeckt den Anschlag. Bevor er sich niederliess, fragte er: „Wer von Ihnen hat auf meinem Stuhl gesessen?“
 
Zum Schluss noch etwas Witziges:
 
„In deinem Alter“, sprach der Vater, „war George Washington Klassenerster!“ ‒
„Und in deinem“, erwiderte der fixe Sohn, „Präsident.“
 
Zum Glück gehören die handgreiflichen Strafen von Lehrern der Vergangenheit an. Wir wollen hoffen, dass es unseren Enkelkindern besser ergeht. Auf jeden Fall wünschen wir ihnen Glück, Zufriedenheit und Aufmerksamkeit im heutigen Schulleben.
 
Rita Lorenzetti-Hess wünschte meinem Grosskind eine glückliche Schulzeit mit verständigen Lehrerpersönlichkeiten, die noch etwas Ganzheitliches vermitteln wollen.
 
Literatur
Puntsch, Eberhard: „Witze, Fabeln, Anekdoten“, Handbuch, Moderne Verlags-GmbH, München 1968.
„Grosses Zitatenbuch“, Compact Verlag, München 1986 (ohne Autorenangabe).
 
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