Textatelier
BLOG vom: 04.07.2013

Kohlmeisen-Geburt: eine natürliche, private Familiensache

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Vor unserem Wohnzimmerfenster ist eine Terrasse. Darauf stehen eine Gartenbank, ein Tisch und 2 Stühle. Direkt dahinter wächst eine Birke und spendet bei Sonne Schatten. Neben der Terrassentür steht ein Schrank für allerlei Materialien, die bei der Gartenarbeit nützlich sind. Der Schrank ist offen. Ich hatte ein billiges Holzregal mit Holzlatten, die noch im Keller standen und von einem selbst gebauten Bett stammten, verkleidet. Dann wurden ein Brett dahinter und ein Flachdach oben drauf geschraubt. Alles hübsch wasserdicht angestrichen, und fertig war eine ansehnliche, nach vorn offene Ablagemöglichkeit.
 
Meine Frau hat Anfang März oben aufs Dach des Schranks einen Brutkasten für Meisen gestellt, aus Holz, versehen mit einem runden Loch und einem leicht überstehenden schrägen Dach.
 
Vor einigen Wochen beobachteten wir einige Kohlmeisen, die den Kasten begutachteten. Sie flogen immer wieder von der Birke auf das Dach des Gartenschranks und zurück, sahen sich um. Nach ein paar Tagen flogen sie ab und zu zum Eingangsloch des Brutkastens, schauten hinein und flogen schnell wieder weg. Die Fluchtmöglichkeiten waren ausreichend, das Schrankdach, die Äste der Birke und die grünen Sträucher und Bäume ein paar Meter dahinter. Darunter gibt es allerdings auch ein Baum, der ein Lieblingsplatz von Elstern geworden ist und der den Kohlmeisen nicht ganz behagte.
 
Es waren nicht die einzigen Vögel, die sich für den Brutplatz interessierten, auch andere Kohlmeisen erschienen und umflogen die Stelle.
 
Danach konnten wir durch Wohnzimmerfenster verfolgen, wie die Kohlmeisen (lange war es nicht klar, ob es nur ein einziger Vogel oder doch schon ein Paar war) mit dünnen Zweigen und Haaren im Schnabel ins Innere des Brutkastens flogen.
 
Etwa 2‒3 Wochen später war es wohl soweit. Nur noch eine Kohlmeise flog immer wieder zum Brutkasten und hatte kleine Raupen im Schnabel.
 
Wiederum nach einigen Tagen, ich weiss nicht mehr wie lange danach, wurde es hektisch.
 
Die beiden Kohlmeisen flogen abwechselnd zuerst zur Birke, beobachteten Schrank und Brutplatz, bis keine Elster mehr zu sehen war, setzten sich dann auf den Schrank, und nach einigen Minuten huschte der Vogel ins Loch. Immer hatten sie hellgrüne Spannerraupen im Schnabel. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder zum Vorschein und flogen rasch weg, um kurze Zeit später wieder mit neuer Nahrung zu erscheinen.
 
Einmal sah ich, wie die Kohlmeise mit der Nahrung im Schnabel wieder aus dem Brutkasten herauskam. Sie flog zur Birke und wartete ab. Dann erschien das andere Elternteil, das aus dem Loch herauskam. Zufällig waren wohl beide in den Kasten geflogen. Gefüttert wurde aber nur abwechselnd!
 
Nach einigen Tagen schlüpften die Eltern nicht mehr in den Kasten hinein, sondern entledigten sich der Nahrung direkt am Eingang und flogen wieder weg. Die Jungen waren jetzt gross genug, sich die Raupen selbst zu nehmen.
 
Nur wenn man sich vorsichtig dem Brutkasten näherte, konnte man das leise Piepsen der Vogelküken hören. Es war nicht festzustellen, wie viele Vogelbabys aufgezogen wurden.
 
Wir wollten die Vogelfamilie nicht stören, denn es wäre notwendig geworden, das Dach des Brutkastens aufzuschrauben, um die Frage zu beantworten.
 
So beobachteten wir eine ganze Zeit lang die aufopfernde Arbeit der Eltern, die Kleinen bis zur Flugfähigkeit durchzufüttern. Sie flogen pausenlos hin und her, immer die gleiche Nahrung im Schnabel. Bei einem der Vögel bekam ich den Eindruck, er sei abgemagert und habe nicht mehr die schöne runde Form eines Vogelkörpers.
 
Der Vorgang des Fütterns lief unwahrscheinlich flink ab, die Landung auf dem Schrankdach, ein kurzer, sichernder Rundblick, das Abladen der Nahrung, und schon flog der Vogel wieder davon, auf der Suche nach der nächsten Raupe.
 
Ich wollte durch das Wohnzimmerfenster Fotos machen. Aber jede Bewegung wurde genau registriert und die kleinste Annäherung, auch nur von innen zur geschlossenen Terrassentür hin, scheuchte die Vögel auf, und sie waren nicht mehr zu sehen.
 
Eine Morgens kamen sie nicht mehr, alles war still. Unten im Regal des Gartenschranks hatte meine Frau in einer Plastiktüte noch Körner von der Winterfütterung aufbewahrt und wunderte sich seit einiger Zeit, warum andere Meisen immer wieder in den Schrank hineinflogen, bis sie entdeckte, dass die Vögel die Tüte aufgepickt hatten, die Körner herausholten und noch im Regal die Schalen öffneten. Aber das war nicht unser Elternpaar, das waren andere.
 
Meine Frau besah sich von aussen den Brutkasten und entdeckte Katzenhaare. Jetzt befürchtete sie, dass eine Katze irgendwie eine Möglichkeit gefunden haben könnte, auf das Dach des Gartenschranks zu gelangen und die Vogelkinder direkt nach dem ersten Blick aus dem Loch zu fressen.
 
Nachdem den ganzen Tag über alles ruhig um den Brustkasten gewesen war, wollte sie doch wissen, was los war. Wir holten ihn herunter, und ich schraubte das Dach auf.
 
Die Vogelfamilie war ausgeflogen. Das Nest war schön am Boden des Brutkastens, mit allerlei Haaren von Kaninchen und wohl auch von einer Katze ausgepolstert. Reste von Eiern oder anderen Überbleibseln waren nicht zu finden. Die Wohnung wurde „stubenrein“ verlassen.
 
Wir werden es nie erfahren, wie viele junge Kohlmeisen das Licht der Welt erblickt haben und jetzt versuchen, das Leben zu meistern.
 
Hinweis auf einen Bericht zur Vogelfütterung unter „Glanzpunkte“ im Textatelier.com
 
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