Textatelier
BLOG vom: 14.03.2013

Heirat, Erleuchtung und Milchtrinken mit Pushkar-Pass

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein/D, zurzeit in Rajasthan, Indien
 
Pushkar ist ein kleiner, malerischer Ort ziemlich genau mitten in Rajasthan (Indien). Er beherbergt den einzigen Brahma-Tempel Indiens. Dieser ist im November das Ziel Tausender Pilger. Sie übernachten auf einer riesigen Grasfläche vor der Stadt und in den vielen Hotels. Auf dem Pushkar-Festival gibt es auch einen riesigen Viehmarkt, Kamelwettrennen und eine Kirmes. Mein Fahrer sagte, dann würden die Preise für alles explodieren, und eine Hotelübernachtung koste dann das 10-Fache. Ich war im März 2013 dort.
 
Es ist am Tag schon recht warm; die Saison neigt sich ihrem Ende zu. Im Ort gibt es Hunderte von kleinen Läden, viele Imbiss- und Getränkebuden, die um die Gunst der vielen westlichen und japanischen Touristen buhlen, die täglich in die Stadt kommen. Aber auch gläubige Inder kommen. Neben dem Brahma-Tempel sind noch 3 weitere, ausserdem ein Ashram, eine Moschee und ein See. Den Weg am Ufer zur Stadt hin, der mit Marmor ausgelegt ist, darf man aus religiösen Gründen nur barfuss oder in Socken laufen. Zum Sonnenuntergang sitzt ein Trommler in einem der kleinen Pavillons, trommelt und verabschiedet die Wärmespenderin.
 
In der Basarstrasse ist reger Betrieb. Immer wieder kommen Anhänger des Brahma und betteln um Geld. Lässt man sich auf eine Aufforderung ein, eine Blüte zu nehmen, wird man im Tempel mehr oder weniger gezwungen, viel Geld, und das können schon mal 50 Dollars sein, für eine kleine Zeremonie zu spenden. Dabei gehen die Mönche ganz raffiniert vor, werden laut und aggressiv, wenn jemand nicht zahlen will. Ebenso gibt es Frauen, die die Touristen begrüssen und die Hand geben wollen. Das ist in Indien unter Fremden ganz ungewohnt, und so weiss ich, dass ich nicht auf den Handschlag eingehen soll. Die Personen, die gespendet haben, bekommen am rechten Arm, direkt oberhalb der Hand, ein rot-gelbes Band umgebunden; dadurch wissen die Mönche, dass sie nicht noch einmal anzusprechen sind. Ausserhalb des Orts in Rajasthan nennt man dieses Band den „Pushkar-Passport“. Ich habe in Bikaner von dem Freund meines Freundes vorsichtshalber bereits eins bekommen und trage es hier.
 
Eine ganze Anzahl von Touristen laufen im Stil der Hippies herum, Rasterhaare, leger gekleidet wie in den 1970er-Jahren die Anhänger der Bewegung. Viele westliche Motorradfahrer fahren in der Gegend umher. Gleichzeitig sind die Preise in den Imbissstuben für Touristen gemacht und viel höher als dort, wo nur Einheimische essen und trinken. Besonders des Abends sind die touristischen Gastbetriebe recht gut besucht.
 
Ich verweile hier etwas länger als in den anderen Orten meiner Rundfahrt. Trotz der häufigen Aufforderung, Geld zu spenden oder auszugeben, ist die Stimmung entspannt. Es wird auch schon einmal gescherzt. So bezeichnete man mich als „long man“ (ich bin 1.88 m lang) oder „white man“ (ich werde wegen meiner Vitiligo nicht braun), ich falle also auf. Viele Kinder betteln, andere wollen einen Westler sehen und fragen gleich um 10 Rupien; denn alle Touristen aus dem Westen oder aus Japan werden als reich angesehen. Ich erschrecke die bettelnden Kinder dadurch, indem ich die Forderung erwidere und von den Kindern scherzhalber Geld verlange ...
 
In ganz Indien, besonders aber in Orten wie diesen, ist es üblich, dass man von allen Seiten, ob von Verkäufern, Restaurantbediensteten oder auch Privatleuten unentwegt gefragt wird, woher man komme. Ich sage dann immer „Germany“, bin aber sicher, dass die wenigsten überhaupt wissen, wo das Land liegt und keinerlei Vorstellung davon haben. Es ist einfach eine Frage, um Kontakte zu beginnen und vielleicht den Passant ins Geschäft zu locken. Eine andere Masche ist „Hello my friend, how are you?“ Diese Frage beantworte ich mit „Fine, and how are you?“ und gehe einfach weiter. Es ist nicht immer einfach, zu unterscheiden, ob die Ansprache eine Geschäftsmasche ist oder ob ein wirkliches Interesse besteht.
 
Ein Tag in der Stadt
Ich wache im Hotel auf, ziehe mich an und gehe ins Restaurant zum Frühstück. Es gibt ein kleines Buffet mit westlichen Cerealien wie Cornflakes, Müsli, Toast, immer die gleiche rötlich-künstliche Marmelade, Milch, Kaffee oder Chai. Im Fernseher an der Wand läuft ein Bollywood-Film, wie immer mit Tanz, Partnersuche, Anmache und sexuellen Anspielungen.
 
Ich verziehe mein Gesicht, und der Kellner fragt mich, ob ich diese Filme möge, was ich verneine. Er erklärt, junge Leute seien davon angetan. Inzwischen gibt es auch auf dem Land in den Dörfern Elektrizität und Fernsehen. Ich fragte, was für einen Einfluss diese auf die indischen Traditionen haben, angesichts der arrangierten Ehen und der schwachen Stellung der Frau, besonders auf dem Land. Man sehe das als keine Realität an, wurde mir gesagt; ich zweifle. Ich frage, ob die Eltern des Kellners diese Filme und die Musik mögen. Er verneint ganz resolut. Ich bin wahrscheinlich älter als sie.
 
Danach laufe ich in den Ort. Er ist etwa 2 km vom Hotel entfernt. Von dort aus ist es 1 weiterer Kilometer zu einem steilen Berg, auf dem es einen Hindutempel gibt. Es ist noch nicht allzu warm. Ich will hinaufsteigen. Am Anfang sind es Marmor- und Steinstufen, dann nur noch solche aus grobem Stein. Es ist sehr steil und anstrengend. Unterwegs spreche ich ein junges indisches Paar an. Sie sind verheiratet, und der junge Ehemann betont stolz „aus Liebe, nicht arrangiert“. Letzteres wird durch die Eltern vollzogen, wobei sich das Paar vor der Hochzeit meistens nicht sieht oder auch kennt. Der Mann erzählt, dass sein Vater damit nicht einverstanden war, er deshalb die Familie und das Heimatdorf verlassen habe und in die Stadt gezogen sei, wo er sein Einkommen als Fahrer verdiene. Dass der Vater damit nicht einverstanden war, ist verständlich. Schliesslich entgeht seiner Familie die Mitgift, die von den Eltern der Braut aufgebracht werden muss und die nicht selten ein Jahresfamilieneinkommen betragen kann. Liebesheiraten sind auf dem Lande noch ziemlich selten, kommen aber vor.
 
Ich erreiche nach einigen Verschnaufpausen die Spitze des Bergs mit dem Tempel. Den Altarraum darf ich als Nichtgläubiger nicht betreten, aber ich darf mich aussen aufhalten, wie immer ohne Fussbekleidung. Der Blick hinunter ins Tal und auf die Stadt und die Berge ringsherum ist überwältigend.
 
Am Rande spielen 2 Inder Schach. Ich schaue mir die Züge an, nach der Beendigung des Spiels werde ich aufgefordert, gegen den Gewinner zu spielen. Ich habe schon viele Jahre nicht mehr gespielt und merke, dass mein Gegner routiniert ist. Ich versuche, mich tapfer zu schlagen, verliere aber nach einer knappen Stunde. Es war ein schönes Spiel, ich beglückwünsche meinen Gegner, der stolz davonläuft. Zwischendurch kommt immer wieder ein Inder und verteilt Kandiszucker und andere runde Süssigkeiten.
 
Ich laufe wieder nach unten, treffe ein Paar aus Frankreich. Beim Abstieg sprechen wir den uns entgegen kommenden indischen Frauen Mut zu, bald hätten sie es geschafft. Sie freuen sich darüber, stöhnen aber ein wenig und atmen schwer. Wir 3 Westler gehen gemeinsam indisch essen und probieren gegenseitig die Speisen der anderen.
 
Ich schlendere zum Hotel zurück, trinke unterwegs noch einen Chai. Im Hotel ruhe ich mich ein wenig aus und beschliesse, eine paar Runden in dem für indische Verhältnisse ausserordentlich sauberen Wasser des Pools schwimmen zu gehen. Danach rede ich noch mit meinem Fahrer, ruhe mich wieder ein wenig aus und gehe wieder in den Ort.
 
Dort suche ich mir eine Bude und esse Samosa, eine Pastete, die mit etwas scharfer Sosse gewürzt wird.
 
Ein indischer Verkäufer spricht mich an, und wir diskutieren über Glaubensinhalte. Er hatte bei einem Guru aus einem benachbarten Teilstaat eine Erleuchtung und Eingabe, danach einen Laden eröffnet und ist sehr zufrieden. Man komme verändert von ihm zurück und wisse, wie man seinen Lebensweg zu gehen hat.
 
Ich verspreche, mich über den Guru im Internet zu erkundigen und verabschiede mich. (Ich muss zugeben, den Namen bald darauf vergessen zu haben.) Ich habe Durst und komme an einer Bude vorbei, in der Milch in grossen Schalen gekocht wird. Ich bestelle mir einen Becher. Auf die Milch kommt noch etwas Dickliches, Schmandartiges mit Vanille. Sie schmeckt etwas süsslich und hervorragend. Nach vielen Reisen in Indien erlebe ich es zum ersten Mal, dass die Bevölkerung Milch trinkt oder in Plastikbeuteln mit nach Haus mitnimmt. Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass, wie ich gelesen habe, Asiaten Laktose nicht verdauen können. Das ist hier aber absolut unzutreffend.
 
Ich komme an einem kleinen Friseur vorbei. Meist sind es enge kleine Geschäfte mit 3 Stühlen vor Spiegeln und eine Wartebank. Der Inhaber kann einige Worte Englisch und erkundigt sich, woher ich komme, fragt, wie ich meinen Haarschnitt haben will, betont, dass mein bisheriger Friseur in Deutschland schlecht, weil ungleichmässig lang, geschnitten habe. Er arbeite gewissenhaft; er betont das, denn eine solche Arbeit mache zufrieden und stolz. Er schneidet vor allem mit einer elektrischen Maschine und wenig mit der Schere. Ich lasse mich rasieren. Für mich sieht die neue Frisur etwas ungewohnt aus, bin aber zufrieden und zahle 100 Rupien, etwa 1,40 Euro.
 
Die Milch hat den Durst nicht ganz gelöscht, und ich entdecke im Halbdunkeln noch einen Zuckerrohrsaft-Verkäufer. Er wirft extra für mich den kleinen Dieselmotor wieder an, schiebt eine Zuckerrohrstange so lange durch die Walze, bis sie zerfasert ist. Er siebt den Becher durch ein Tuch, gibt etwas Zucker hinein. Es schmeckt wunderbar und löscht auch meinen Durst.
 
Dann wandere ich im Dunkeln zurück zum Hotel. Vor der Tür sitzen 2 junge Frauen aus Schweden, die sich mit ihrem indischen Fahrer unterhalten. Ich plaudere noch ein wenig. Die Damen wollen weiter nach Agra zum Taj Mahal. Ich nicht, ich will mir das Denkmal der Liebe zu einer Frau für ein nächstes Mal aufbewahren und es zusammen mit meiner eigenen Frau besuchen. Jetzt ist es Zeit, noch ein wenig zu schreiben und dann schlafen zu gehen.
 
 
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