Textatelier
BLOG vom: 03.03.2012

Höchste Zeit: Abstecher nach Paris – mit viel Vaterrolle

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Diesmal war unser Aufenthalt in Paris zeitlich knapp bemessen – zwischen Freitagabend (24.02.2012) und Sonntagnachmittag (26.02.2012). Unsere Söhne waren diesmal mit dabei, denn wir widmeten den grössten Teil der Zeit meinem „Schwiegerbruder" (Schwager) Eric and seiner Frau Fari (Tante), die Schwester meiner Frau. Sie leben schon seit vielen Jahren in Brasilien und besuchen hin und wieder ihr Appartement in der Nähe der Place Victor Hugo. Es gab viel zu erzählen und zu lachen, ausgiebig von Wein benetzt und leckerem Essen begleitet.
*
Dennoch fand ich Zeit zu verschiedenen Streifzügen. Die grünen Kästen mit Büchern und anderem Druckwerk entlang der Seine-Ufer waren um diese Jahreszeit noch geschlossen. Von der Métro-Station Odeon ging ich gemächlich zur Rue Danton und wollte dort gewisse Materialien zum Restaurieren von Büchern kaufen. Das Geschäft war am Samstag geschlossen. So ging ich weiter Richtung „La Mairie“ („Hôtel de Ville“, Stadthaus) der Rue de Rivoli entlang. Dieses wuchtige, lang gestreckte Gebäude wurde am Ende des 19. Jahrhunderts erneuert und mit vielen Plastiken der Prominenz in Nischen, von namhaften Bildhauern geschaffen, geschmückt, worunter solche von Auguste Rodin. Auf dem Vorplatz liefen Leute Schlittschuh.
 
„Papa“, sprach mich unverhofft ein junger Kerl an, „haben Sie 20 Centimes für mich?“ Das verstimmte mich arg. Noch nie zuvor hatte mich ein Fremder mit „Papa“ angesprochen! Ich zog meine Schulterblätter hoch und enteilte ihm mit gefederten Schritten zu meinem Ziel auf der anderen Strassenseite – das grösste Pariser Einkaufszentrum für Bastler. Das ist ein langer Weg gewesen, bloss um 2 „Gomme de Mie“ (Knetgummi) und einen Satz von „attaches triangulaires“ (3-eckige Hacken) für Bilderrahmen zu besorgen.
 
Mein nächstes Ziel war der Louvre des Antiquaires, ebenfalls an der Rue de Rivoli. Viele Läden in Paris öffnen spät – um 11 Uhr morgens. Die meisten Galerien für exklusive Antiquitäten waren an diesem Samstag noch geschlossen. Kaum ein Besucher war in Sicht. Ausserdem sind Instandstellungsarbeiten im Gang. Schade, dass ich diesmal auf den „Marché aux Puces“ (Flohmarkt) bei der Porte de Clignancourt verzichten musste. Auch der „Palais Royal“ war menschenleer. Vor 2 oder 3 Jahren gab es dort noch viele Fachgeschäfte, die alles Mögliche von Zwirn bis Medaillen feilboten. Diese sind inzwischen teuren Modeboutiquen gewichen – ein Thema, das mich keineswegs fesselt.
 
Trotz des ausgiebigen Abendessens am Freitagabend meldete sich sachte der Hunger. Wenigstens eine Omelette mit Käse und Schinken wollte ich mit einem Glas Wein genehmigen.
 
Man vergisst leicht, wie eng der Platz für Gäste in den Bistros bemessen ist. Rasch wurden für eine Schar aus Italien 5 kreisrunde Tischchen aneinander geschoben. Ich musste mein Glas Wein halten, mitsamt dem Teller. Auf den Kaffee nachher verzichtete ich diesmal. Meine Laune verbesserte sich augenblicklich: Auf dem Vorplatz hatte sich ein Streichorchester aus jungen Musikanten aufgestellt und spielte mit Hingabe bekannte Stücke aus dem Barock-Repertoire.
 
Ich schaute auf die Uhr: höchste Zeit! Ich wollte Lily und meine Söhne nicht warten lassen. Unterwegs zum Hotel bemerkte ich eine alte, gekrümmte Frau, die sich mit ihren Plastiktaschen vor einer Telefonkabine niederliess. Ich reichte ihr eine Handvoll Kleingeld. Diese alte Frau sprach mich in tadellosem Englisch an und wünschte mir einen angenehmen Aufenthalt in Paris. Es wimmelt in Paris von Bettlern, genau wie auch in London. Man muss vor ihnen auf der Hut sein. Bettelt jemand um eine Zigarette, kann es leicht geschehen, dass einem das Päckchen Zigaretten entrissen wird. Auch das Portemonnaie sollte man vor ihnen nicht öffnen. Solche Strolche scharen sich vor dem „Gare du Nord“ und dem „Gare de l’Est“. Bewaffnete Polizisten patrouillieren dort ganztags zu zweit oder zu dritt.
 
Lily blieb im Hotel zurück, während ich und meine Söhne durch den ‚Faubourg St. Denis’ (siehe Blog: 01.10.2010: Paris (3): 10. Arrondissement – Faubourg Saint Denis ) flanierten. Sie sind geschäftlich oft in Paris, aber – ungleich mir – fehlt ihnen die Zeit zu Streifzügen. Der Arbeitsdruck hat sich seit meiner Zeit gewaltig verstärkt.
 
Nachher kam es zur dicht gedrängten Métrofahrt zur Place Victor Hugo, mit vielen Haltestellen dazwischen. Ich fahre gern in der Untergrundbahn. Selbst zwischen Menschen eingezwängt, kommen meine Augen nicht zu kurz. Ein betagter Mann, mit Taschen beladen, sass auf einem Klappsessel und sprach vernehmlich ein kunterbuntes Kauderwelsch von italienisch und französisch ins Handy. Er war wohl wie wir zu einem Abendessen mit der Familie bestellt. Er verstaute mit zufriedenem Ausdruck sein Handy in der Manteltasche. Der Klappsessel neben ihm wurde frei. Dort konnte sich Lily setzen. Schmunzelnd schob der Mann seine Tasche zur Seite. Unsere Blicke begegneten sich, und ich dankte ihm auf italienisch für sein Entgegenkommen. Sein Lächeln verbreiterte sich, und er nickte mir zu. Bei der nächsten Haltestelle erhob er sich, und ich konnte mich setzen. Der alte Mann jedoch stieg nicht aus. Er hatte mir seinen Platz überlassen … So wurde ich ausgerechnet von einem alten Mann wie ein Papa behandelt! Bei der nächsten Haltestelle stieg er aus. Ich schickte ihm einen Gruss nach. Er drehte sich um und winkte uns zu.
 
Etwas anekdotisch bereichert, schilderte ich meine Begegnung mit dem alten Mann. „Er wird wohl jetzt seine ‚Spaghetti Bolognese’ geniessen“, meinte ich. Fari trug die Vorspeise auf, als wir uns an einen festlich gerichteten Tisch setzten. Eric, ein Weinkenner, schenkte uns ein, zuerst einen Weisswein zum geschmackvoll zubereiteten Salat mit Lachs und Seefrüchten garniert, gefolgt von erlesenem Rotwein zum Hauptgericht.
 
Ausser Lily waren wir alle etwas beschwipst, als wir kurz vor Mitternacht ins Taxi stiegen. Das geschieht selten: Die Ampeln leuchteten durchwegs grün auf der ganzen Rückfahrt. „Vous connaissez votre Paris“, lobte ich den Taxifahrer. „Il le faut!“ versicherte er mir und überholte mit einem kunstvollen Dreh einen Bus.
 
Höchste Zeit, um ins Bett zu kommen.
 
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