Textatelier
BLOG vom: 25.06.2011

Schaufenster – Ausblicke, Einblicke: Eine Betrachtung

 
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Nicht nur die Schaufenster der Läden – auch die meisten Fenster sind eigentlich Schaufenster, für Augen bestimmt. Unsere Augen schweifen aus dem Zimmer, verlassen das Zimmer, selbst im Hinterhof an eine fensterlose Mauer prallend. Das ist ungemütlich. Im Hotel „Helvetia“ in Nizza, konnte ich eine solche kahle Mauer fast berühren. Bei mir zuhause habe ich Glück: Mir tut sich eine grüne Landschaft auf, jedes Mal, wenn ich gedankenversunken durchs Fenster blicke. Die Tannenwipfel am Gartenende wippen heute heftig vom Wind bewegt; Vögel turnen im Geäst der Stechpalme ganz nahe vor meinem Fenster. Sie ist von weissen Kletterrosen durchwoben, die Wattebäuschchen gleichen.
 
Fenster gibt es überall: im Haus, Flugzeug, Zug und Auto, sogar im PC (Windows). Ohne Fenster wäre das Leben trist. Es gibt auch vergitterte Fenster, etwa im Gefängnis, oder vom Kunstschlosser gefertigte im Parterre alter Patrizierhäuser. Diebe bleiben draussen.
 
Fenster können auch schräg in der Mansarde eingebaut sein. Oberlichtfenster sind eine weitere Fensterart. In England gibt es noch viele wackelige und ratternde Schiebefenster, die klemmen, wenn man sie hochziehen will. Sie sind Windfallen. Hinter einem solchen Fenster lebte ich einige Jahre im Boarding House in South Kensington (London).
 
Mein Vater hatte jedes Jahr viel Mühe, um vor Winterbeginn die Vorfenster einzuhängen. Heute sind die Fenster doppelt oder dreifach versiegelt. Leider lassen sich heute in Büros und anderswo immer weniger Fenster öffnen. Diese Räume sind vollklimatisiert.
 
Fenster erlauben mehr Ausblicke als Einblicke. Bewohner bekleiden das nackte Fensterglas gern mit Gardinen, Storen oder Vorhängen. Mein Schreibtisch steht vor dem Fenster, auch der Esstisch in der Küche, die Sessel im Wohnzimmer oder das Bett im Schlafzimmer. Unser Haus ist ringsum von vielen Fenstern eingerahmt. Sie erwischen das Morgenlicht, die Mittagshelle und die Abenddämmerung. Das Licht in allen seinen Spielarten erhellt die Seele und erfrischt den Geist.
 
Aber lassen wir uns nicht vom Licht blenden! Das Leben ist gewiss nicht immer ein Schleck (ein Honiglecken). Dunkle Wolken bauschen sich auf. Unsere Stimmung ist getrübt. Sorgen rempeln uns an, die sich bei Sonnenschein nicht an uns heranwagten. So ist unser kapriziöses nördliches Klima: Die Landschaft ist bald stocktrocken, bald überflutet. Alle Extreme sind mir zuwider. Aber das stört die Fenster nicht, es sei denn, ein kräftiger Windstoss treffe den offenen Fensterflügel und zerschmettere das Glas. Scherben bringen Glück.
*
Überall gibt es betagte Leute, die hinter Gardinen ihre Nachbarn belauern. Ihr Leben ist verödet. Eugen und seine Frau Eugenie, (so taufte ich sie), gafften stundenlang ins Freie, auf dem mit Kissen gepolsterten Fenstersims gelagert. Nichts entging ihnen. Ich fühlte mich ständig überwacht, wie ich, damals in Seebach (Zürich) wohnend, abends meine Wohnung betrat. Was bewog mich, ihnen hin und wieder ein Ständchen auf meiner Geige zu spielen? Nach meiner Darbietung verbeugte ich mich und erwartete Beifall.
 
Auch ich bin ein Gaffer; nur lasse ich mir das nicht anmerken. Gern sitze ich hinter einem Tischchen in der Glasveranda eines Bistros in Saint-Germain (Paris) und lasse die Welt draussen an mir vorbeiziehen. Wie kann man Leute beschreiben, wenn man sie nicht dabei beobachtet, wie sie ihren Geschäften nachgehen? Ich halte einige Eindrücke in meinem Notizblock fest. Habe ich meinen Aperitif getrunken, lasse ich mich im Menschenstrom zum Treffpunkt mit meiner Frau treiben. Der Tisch fürs Abendessen ist reserviert – wiederum genau beim Fenster … Nachher bummeln wir ins Hotel zurück und bleiben da und dort vor den Auslagen in Schaufenstern stehen.
 
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