Textatelier
BLOG vom: 23.06.2011

Belchenhaus: Die mühsame Suche nach der alten Chronik

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Vor einiger Zeit bereitete ich ein Blog über die abenteuerliche Suche nach der Belchenchronik vor. Aber es geschah etwas Unerwartetes. Bei einer Meldung im Schreibprogramm drückte ich auf eine falsche Taste, und schon war der Text weg. Er blieb unauffindbar. Aber nun habe ich mich wieder erholt und mich aufgerafft, die Geschichte über die Belchenchronik aus der Erinnerung abzurufen und den Lesern darzubieten.
 
Auch Goethe war da
Der Wanderer, der den wohl schönsten Berg des Schwarzwalds (1414  m. ü. M.) erklommen hat, gerät ins Schwärmen. Von hier oben hat man nämlich einen fantastischen Blick auf die übrigen Schwarzwaldberge, die Alpen, den Jura und die Vogesen. Viele Prominente, die hier oben weilten, waren euphorisiert. Sogar Johann Wolfgang von Goethe (1749−1832) geriet auf dem Gipfel des „Belenus“ in Begeisterung und liess sich zu folgendem Vers hinreissen: 
„Weit, hoch, herrlich der Blick/
Rings ins Leben hinein!/
Von Gebirg zu Gebirg/
Schwebt der ewige Geist/
Ewigen Lebens ahndungsvoll.“ 
Es ist für mich immer erstaunlich, wenn ich lese, wo Goethe in seinem Leben überall war. Er reiste ja immer in seiner Kutsche, die ich im Goethe-Museum in Weimar vor Jahren bewundern konnte, herum. Er war zweifellos ein reisefreudiger und wissbegieriger Mensch.
 
Auch der alemannische Mundartdichter Johann Peter Hebel (1760−1826) war ein Belchen-Verehrer. Er hatte den Belchen als Symbol der unberührten Schöpfung entdeckt. „Er gründete eine Männergesellschaft, die in der kulthaften Form des ,Belchinismus` über die materielle Welt triumphierte: ,Gott Proteus', hatte Sitz und Altar auf dem Gipfel des Belchen, während die ´niederen Geister' in den Tälern hausten“, schrieb Peter Krusche, Herausgeber des Büchleins „Der Belchen – damals!“
 
Heute können Besucher, die nicht gerne wandern wollen, die im Dezember 2001 eröffnete Belchenbahn benutzen. Die Bahn ist mit 8-sitzigen Expo-Skyliner-Kabinen ausgestattet. Von der Talstation ist die Bergstation am Belchenhaus innert von 5 Minuten zu erreichen. Der Höhenunterschied beträgt 263 m (Talstation: 1100 m ü. M., Bergstation: 1363 m ü. M.). Infos unter www.belchen-seilbahn.de
 
Unterhalb des Gipfels und in der Nähe der besagten Bergstation liegt das Belchenhaus. Dieses gehört zu den höchstgelegenen Gasthäusern in Südwestdeutschland. Die Südterrasse, die wir immer wieder aufsuchen, zählt zu den schönsten Wirtshausterrassen des Schwarzwalds. Wegen der Brandschutzbestimmungen wurde vor einigen Jahren der Hotelbetrieb eingestellt. Heute beherbergt das Belchenhaus nur noch ein Restaurant.
 
Keine leichte Suche
In einem von Felix Ruhl verfassten Artikel in der „Badischen Zeitung“ wurde über die Belchenchronik bereits berichtet. Die einzigartige Chronik, so wurde in der Publikation erwähnt, sei ein grossformatiger Foliant mit einem Deckel aus Baumrinde. Das erweckte meine Neugier. Ich wollte die Chronik einmal in Augenschein nehmen. Deshalb rief ich die damalige Restaurantchefin des Belchenhauses an. Dort gab man mir die Auskunft, die Chronik hätte die vorherige Wirtin mitgenommen. Es erfolgte ein Anruf bei der Wirtin. Sie sagte, die Chronik sei beim Auktionshaus Kaupp in Staufen versteigert worden. Den jetzigen Besitzer kenne sie nicht. Anruf beim Auktionshaus Kaupp: Ein Mitarbeiter antwortete, sie würden grundsätzlich keine Privatadressen herausgeben. Was tun? Ich wollte schon ein Fax schreiben mit der Bitte, man solle doch dieses Schreiben an den Privatkunden weiterleiten und ihn bitten, ob das Auktionshaus die Adresse herausrücken könne. Da fiel mir ein, man könnte doch die Stadtverwaltung Schönau – das Belchenhaus gehört zur Gemeinde Schönenberg und diese wiederum zum Gemeindebezirk Schönau – anrufen. Eine Frau hörte sich meine Bitte an und versprach, sie wolle sich erkundigen, wer die Chronik hat. Kurz darauf kam der erlösenden Anruf: „Von einem Kollegen erfuhr ich, wer die Chronik hat.“ Sie gab mir dann den Namen und die Telefonnummer bekannt.
 
Nach telefonischer Rücksprache war der jetzige Besitzer bereit, mir die wertvolle Chronik zu zeigen. Er wollte jedoch aus verständlichen Gründen nicht genannt werden. Bald darauf kam es zum Treffen, und ich konnte die Chronik durchsehen.
 
Ich dachte mir noch dies: Es ist ein Glück, dass eine Privatperson die Chronik ersteigert hat. Sie blieb in Schönau; denn sonst wäre sie nach Konstanz in ein Museum „verschwunden“.
 
Blick in die Chronik
Das Titelblatt der Chronik zeigt das 1866 erbaute einfache erste Belchenhaus. Das Geld für den Bau sammelten die umliegenden Gemeinden, der Schwarzwaldverein und der Schweizer Alpenclub (SAC, Sektion Basel). 1898 wurde ein steinerner Neubau mit 25 Gästezimmern mit 35 Betten und einen Saal für 150 Personen vor dem alten Bau errichtet. Im Jahre 1900 kamen bereits über 5000 Gäste auf den Belchen. Ab 1866 beginnen die Einträge, und sie enden mit dem 100-jährigen Bestehen des ursprünglichen Belchenhauses.
 
Etliche Prominente suchten das Belchenhaus auf. Am 20.05.1880 waren der Grossherzog Friedrich I. (1826−1907) von Baden und seine Gemahlin Luise geb. Prinzessin von Preussen (1838−1923) Gäste des Hauses. In der Chronik wurde dieses Ereignis auf einer Seite mit einem verschnörkelten Rahmen und Zierschrift festgehalten. Der Text lautete: „Zur Erinnerung an den Besuch Ihrer Königl. Hoheit auf dem Belchen am 20. Mai 1880.“ Dann folgte eine Eintragung in handschriftlicher Form mit den Unterschriften.
 
Am 05.10.1890 kehrten der junge Erbherzog Friedrich II. (1857−1928) und seine Gemahlin Hilda geb. von Nassau (1864−1952) ins Belchenhaus ein. Der Eintrag erfolgte auf einem wappengeschmückten Blatt. Die Unterschriften stammten vom herzoglichen Paar und dem Ordonnanzoffizier, Hauptmann Dürr.
 
Auch Prinz Max von Baden (1867−1929), der letzte Kanzler des Kaiserreiches, war hier oben. Am 02.09.1962 erfolgte der Besuch des ehemaligen Staatpräsidenten von Madagaskar, Philibert Tsiranana (1912−1978).
 
Interessant sind weitere besondere Einträge. So wurde am 28.09.1926 Gutsbesitzer Julius Hauser aus Krozingen (heute Bad Krozingen) für seine 128. Besteigung des Belchens geehrt.
 
Interessant sind die Speisen, die zu Ehren der 50-jährigen Belchen-Besteigung des Fabrikanten Philipp Sonntag aus Waldkirch aufgetischt wurden (es wurde die damalige Schreibweise beibehalten!):
 
Mittagessen im Belchenhaus
Am 14. Oktober 1906
Zu Ehren der 50-jährigen Belchenbesteigung des Herrn Fabrikanten Philipp Sonntag aus Waldkirch
 
Caviarbrötchen
Klare Neapolitaner Suppe
*
Forelle blau
Kartoffeln, Butter
*
Junge Feldhühner, Schäufele
Sauerkraut, Erbsenbrei
*
Gänseleberpastete
*
Hasenbraten und
Salat, Compot
*
Prince Pückler
*
Nachtisch
 
Es war also für die damalige Zeit ein feudales Essen, das sich nur wenige Leute leisten konnten. Es war „bestimmt keine einfache Hüttenmahlzeit! Wem liefe da nicht auch heute noch das Wasser im Munde zusammen“, schrieb treffend Peter Krusche.
 
Anmerkung: Die Suche nach der Belchenchronik liegt schon einige Jahre zurück. Details schrieb ich auf und archivierte diese. Da bezüglich Alter des Belchenhauses Unklarheiten bestanden – es gab in Publikationen verschiedene Zahlenangaben – rief ich das Restaurant Belchenhaus im Mai 2011 an. Es meldete sich die Bedienung „Hannelore“. Sie hörte sich meinen Wunsch an und sagte, sie wolle in dem Bändchen „Der Belchen – damals!“ nachsehen. Sie hatte das Büchlein rasch zur Hand und las mir dann einige Passagen vor. Mein Interesse bezüglich des Alters des Hauses war gestillt. Daraufhin besorgte ich mir über den Internetbuchhandel den kleinen Bildband. Dieser erwies sich als exzellente Quelle für meine zusätzlichen Recherchen.
 
Internet
 
Literatur
Krusche, Peter: „Der Belchen – damals!“ Bilder und Geschichten aus vergangener Zeit, Verlag Peter Krusche, Bad Krozingen 1994.
 
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