Textatelier
BLOG vom: 11.01.2011

„Von der Arbeit wird man eher bucklig als reich"

Autor: Ernst Bohren, Teufenthal AG/CH
 
„Ich komme von einem 17-Stunden-Tag“, sagte der vielbeschäftigte Manager. Es war der Soziologe Dr. Thomas Held, der vom 01.01.2001 bis zum 30.10.2010 „Avenir Suisse“, die „Denkfabrik" von Schweizer Grossunternehmen, geleitet hatte. Donnerwetter! 17 Stunden auf Trab und noch immer frisch und kregel für ein anspruchsvolles Interview beim Tages-Anzeiger.
 
Halten wir unsere Bewunderung in Grenzen; gehen wir lieber der Frage nach, was denn um alles in der Welt diese Helden der Arbeit in ihren 12- bis 17-Stunden-Tagen leisten. Arbeiten werden sie wohl kaum, denn von der Arbeit wird man nur bucklig, wie das im Titel zitierte russische Sprichwort glaubhaft versichert. Das haben die Autoren Peter Noll und Hans Rudolf Bachmann auch so gesehen und in ihrem Werk „Der kleine Machiavelli“ das Tun und Lassen des obersten Kaders schonungslos und recht amüsant ausgebreitet. Ein kurzer Auszug aus dem Kapitel „Die Legenden von der Arbeit und von der Verantwortung“ gefällig?
 
„Dass ein Topmanager nicht arbeitet, ist durchaus normal und begründet keinerlei Vorwurf, denn je höher jemand in der Machthierarchie steht, desto mehr hat er nur noch dafür zu sorgen, dass die anderen arbeiten, und deren Arbeit zu kontrollieren. (…) Natürlich ist das Kontrollieren auch eine Beschäftigung, sie aber Arbeit zu nennen, bei welchem Wort man doch etwa an die Tätigkeit eines Handwerkers, Anwalts oder Arztes denkt, ist mindestens nicht ganz exakt, wenn nicht gar irreführend. Trotzdem sprechen alle Topmanager dauernd von ihrer Arbeitsüberlastung. Natürlich schlafen sie nicht in ihren Büros; sie kommen sogar meistens schon vor acht Uhr ins Geschäft, gehen allerdings sehr oft um halb zehn wieder weg, gleichgültig wohin, bleiben aber immer erreichbar …“
 
Wir haben schon begriffen: Es geht nicht primär um das Arbeiten an sich, sondern um die Leistung. „Wer viel leistet, soll viel erhalten, wer wenig leistet, soll wenig bekommen“, sagte einst Josef (Joe) Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, als die öffentliche Diskussion um die unanständigen Gehälter den Siedepunkt erreichte. Was aber ist denn Leistung? Was leisten denn die Grossverdiener wirklich – für ihr Unternehmen, für die Wirtschaft? Haben etwa die Finanz-Koryphäen die Finanzkrise vorausgesehen? Sie haben sie mit ihrer Gier nach immer noch mehr Gewinn selbst heraufbeschworen und dabei ganze Volkswirtschaften ins Elend schlittern lassen. Wenn das Business läuft wie geschmiert (wozu sie als Schönwetterkapitäne in den wenigsten Fällen allzu viel beigetragen haben), schreiben sie sich den Erfolg ungeniert auf ihre eigene Fahne, wenn es hingegen schief läuft, sind natürlich die schlechten Rahmenbedingen dafür verantwortlich.
 
Diese selbst ernannten „Leistungsträger“ stellen ihre sogenannten Erfolge ins beste Licht und kneifen, wenn ihnen das Ding aus dem Ruder läuft. Sie brüsten sich andauernd mit ihren sogenannten Mehr-als-12-Stunden-Tagen. Dabei rechnen sie einfach ihre gesamte Performance als Arbeitszeit (Reisen, Essen, Golfen, persönliche Image- und Körperpflege und auch die übrige Freizeit unter Ihresgleichen sowie alle Auftritte in der Öffentlichkeit). Performance ist übrigens auch so ein tolles Wort für jegliche Art von Bedeutungsverschleierung: Zum Begriff Performance bietet The Penguin, English Dictionary eine ganze Reihe Auswahlmöglichkeiten an: carrying out of an action; performing of a play, music, etc.; entertainment; achievement; feat. Also so ziemlich alles, von der Schaustellerei bis hin zur Heldentat.
 
Was richtige Arbeit überhaupt heisst, davon hat diese ganz besondere Spezies noch nie eine Ahnung gehabt. Mein Vater dagegen schon: Er hat gut 36 Jahre lang als Handlanger hart auf dem Bau gearbeitet, bis er im Februar 1954 in einer ungesicherten Baugrube von den abrutschenden Kiesmassen verschüttet und getötet wurde. Wenn die Arbeit auf dem Bau getan war, war für ihn noch lange nicht Feierabend. Wie viele einfache Bauarbeiter aus seiner Generation, hatte er sich auf einem gepachteten Grundstück eine kleine Existenz als „Rucksackbauer“ aufgebaut, aus deren Erträgen er in den kargen 40er- und 50er-Jahren den Speisezettel seiner fünfköpfigen Familie aufbesserte. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, seine Nebenarbeit oder gar den Arbeitsweg als Arbeit im eigentlichen Sinn zu bezeichnen. Aber sein Arbeitstag war mindestens 12 Stunden lang – im Sommer durften es auch ein paar Stunden länger sein.
 
Die Russen liegen schon richtig: Arbeit macht nicht reich. Um nochmals Joe Ackermann zu bemühen: „Mein Gehalt ist nicht zu begründen“, sagte einst der Leistungsträger im „Baumwallgespräch“ mit Stern-Chefredaktor Andreas Petzold zu seinem Millionengehalt.
 
Das mit meinem Vater ist ja jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert her. Mittlerweile habe ich in über 50 Jahren Berufsarbeit in der Kommunikationsbranche die ganze Entwicklung im grafischen Gewerbe mitgemacht; die erste Hälfte in der Technik (damals noch im Bleisatz), die letzten 30 Jahre schreibend im Journalismus und später als sogenannter Öffentlichkeitsarbeiter. Heute geniesse ich meine geistige Unabhängigkeit, betreibe lustvoll Weiterbildung und halte mich mit den aktuellen Medien auf dem Laufenden.
 
Im nächsten Blog werde ich zum Thema Arbeit noch etwas weiter denken. Vielleicht unter dem Titel „Macht Arbeit wirklich immer für alle Spass?“
 
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Quelle: Peter Noll, Hans Rudolf Bachmann: „Der kleine Machiavelli. Handbuch der Macht für den alltäglichen Gebrauch“ aus der Serie Piper. Zum gleichen Thema hat Martin Suter seine Kolumnen Business Class geschrieben – Geschichten, in denen die Nichtstuer aus der Teppichetage schonungslos dargestellt werden.
 
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