Textatelier
BLOG vom: 26.10.2010

Corporate Identity 2: Ein guter Name ist der beste Bürge

Autor: Ernst Bohren, Teufenthal AG/CH
 
Corporate Identity ist nicht nur eine Sache von Unternehmen und Körperschaften, auch  für jeden einzelnen Menschen ist Corporate Identity der tägliche Begleiter. Es geht dabei in der Hauptsache um das Selbstverständnis, das Sich-selber-treu-sein in Bezug auf das, was und wir tun und wie wir es tun. Und natürlich, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Eine Mehrzahl der arbeitenden Menschen definiert sich noch immer über ihre Arbeit. Nichtarbeitende Menschen identifizieren sich in der Regel eher mit dem, was sie haben, als mit dem, was sie sind. Höhergestellte Amts- und Würdenträger pflegen ein ganz spezielles Selbstverständnis zu ihren vollbrachten, mehr oder weniger gelungenen, Werken. Die aktuelle Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard würde demzufolge … ja was würde sie? – Doch verlassen wir die Bretter des politischen Cabarets, kehren wir zurück in die Arbeitswelt der richtigen Lebens.
 
Vor langer Zeit hatte ich als journalistischer Mitarbeiter der ehemaligen Fachzeitschrift „autotechnik“ Gelegenheit, die Mitarbeiter der damals noch produzierenden Firma „Maag-Zahnräder“ in Zürich zu besuchen. Zu jener Zeit wurden in den Werkhallen des Unternehmens noch keine Musicals aufgeführt, sondern echte Zulieferprodukte für die Autoindustrie hergestellt (was heutzutage in Billiglohnländer wie China oder sonst wohin vergeben wird – die Globalisierung lässt grüssen). Damals also sprach ich mit einem Arbeiter (er war leicht behindert und daher in ein spezielles Arbeitsprogramm integriert). Dieser Arbeiter erklärte mir voller Stolz seine Aufgabe: Wie er dafür verantwortlich sei, dass der durch die Stanzung an einem Werkstück entstandene Grat gewissenhaft mit der Feile geglättet und dadurch für den Einbau in eine grössere Funktionseinheit tauglich gemacht werde. Dieser Mann war zufrieden mit seiner Arbeit, die er Tag für Tag ausführte. Und er war im Reinen mit sich selbst.
 
Corporate Identity heisst im Endeffekt, sich durch sein Tun und Sein einen guten Namen schaffen und sich diesen auch zu erhalten. Zum Thema des „guten Namens“ schrieb vor gut 150 Jahren der Pfarrer von Lützelflüh, Albert Bitzius, besser bekannt unter seinem Pseudonym Jeremias Gotthelf, Bemerkenswertes und Bedenkenswertes, das heute noch seine Gültigkeit hat oder haben sollte. Im 3. Kapitel seines Romans „Ueli der Knecht“ liest der Bodenbauer seinem Knecht Ueli die Leviten, denn Ueli hatte am Sonntag wieder einmal so recht in schlechter Gesellschaft „gehudelt“. Aber weil sein Meister wohl sah, dass bei Ueli noch nicht Hopfen und Malz verloren war, nahm er ihn am Morgen danach auf dem Stallbänklein väterlich ins Gebet. Er erzählte ihm, wie sein Pfarrer in der Unterweisung das Dienen ausgelegt hat und wie man sich einen guten Namen schafft:
 
„…So, wie man durch sein Tun sich inwendig eine Gewohnheit bereite, habe der Pfarrer gesagt, so mache man sich auswendig einen Namen. An diesem Namen, an dem Ruf, der Geltung unter den Menschen, arbeite ein jeder von Kindsbeinen an bis zum Grabe, jede kleine Ausübung, ja jedes einzelne Wort trage zu diesem Namen bei. Dieser Name öffnet oder versperrt uns Herzen, macht uns wert oder unwert, gesucht oder verstossen. Wie gering ein Mensch sein mag, so hat er doch einen Namen; auch ihn betrachten die Augen seiner Mitmenschen und urteilen, was er ihnen wert sei. So macht auch jedes Knechtlein und jedes Jungfräulein an seinem Namen unwillkürlich, und nach diesem Namen kriegen sie Lohn, dieser Name bricht ihnen Bahn oder verschliesst sie ihnen. Da kann eins lange reden und über frühere Meisterleute schimpfen, es macht damit seinen Namen nicht gut, sein Tun hat ihn längst gemacht. Ein solcher Name werde stundenweit bekannt, man könne nicht begreifen wie. Es sei eine wunderbare Sache um diesen Namen, und doch beachten ihn die Menschen viel zu wenig, und namentlich die, welchen er das zweite Gut sei, mit dem sie, verbunden mit der inwendigen Gewohnheit, ein drittes, ein gutes Auskommen in der Welt, Vermögen, ein viertes, den Himmel und seine Schätze, erwerben wollten. Er frage nun, wie ein elender Tropf einer sei, wenn er schlechte Gewohnheiten habe, einen schlechten Namen und um Himmel und Erde komme!
 
…Wenn nun so ein Dienstbote immer besser arbeite, immer treuer und geschickter sei, so sei das sein Eigentum, und das könne niemand von ihm nehmen, und dazu besässe er einen guten Namen, die Leute hätten ihn gerne, vertrauten ihm viel an, und die Welt stehe ihm offen. Er möchte vornehmen, was er wollte, so fände er gute Leute, die ihm hülfen, weil sein guter Name der beste Bürge für ihn sei. Man solle doch nur achten, welche Dienstboten man rühme, die treuen oder die untreuen, solle sich achten, welche unter ihnen zu Eigentum und Ansehen kämen ...“
 
Natürlich lässt Gotthelf den Bodenbauer, wie es für seine Zeit passte, noch ein paar Strecken weiter reden ‒ vom Dienen, vom lieben Gott und davon dass die Diensten auch Freude haben sollten an den Sachen des Meisters. Ich denke aber, die beiden Textauszüge sollten ausreichend illustrieren, was der Moralist aus dem Emmental mit dem Wert eines guten Namens gemeint hat.
 
Einige der Wertbegriffe dieser pfarrherrlichen Epistel aus dem vorletzten Jahrhundert gäben Stoff für ausführliche Betrachtungen: Wie stellen wir uns heute zum Dienen, zur Treue, zur Ehrlichkeit, zum Einsatzwillen und so weiter? Werte, die vorab in den letzten Jahrzehnten einem deutlichen Wandel unterworfen waren. Werte aber auch, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder zu vehementen gesellschaftlichen Konflikten und ideologischen Auseinandersetzungen führten. Die Analogie zu Gotthelfs Roman zeigt, dass Identität oder das Selbstverständnis eines Individuums durchaus nichts Neues ist. Aber auch, dass sich die Erkenntnisse über das individuelle Selbstverständnis ohne weiteres auf die Identität von Körperschaften (Unternehmen, Verband, Staat) übertragen lassen.
 
Identität macht fassbar
Ausgangspunkt für einen „guten Namen“ ist die Identität („... wie man durch sein Tun sich inwendig eine Gewohnheit bereite“). Also das Selbstverständnis, das Sich-selber-kennen, das Sich-selber-treu-sein. Identität macht fassbar, begreifbar, denken wir zum Beispiel an die Identitätskarte. Wer sich zu erkennen gibt, wer seiner Haltung treu bleibt, wird für seine Umwelt ein sicherer Wert, ein Partner, auf den man zählen kann. Er macht sich einen Namen („... so mache man sich auswendig einen Namen.“), der seinen Vorstellungen, seinem Selbstverständnis entspricht. Der Gotthelf’sche „Name“ lässt sich in der Fachterminologie als „Image“ oder, anders ausgedrückt, als Fremdbild übersetzen.
 
Wie der Name tönen soll
Der Klang des Namens widerspiegelt das, als was man empfunden, verstanden und gesehen wird. Und ein Weiteres deckt sich durchaus mit den Aussagen aus dem Emmental: Jeder hat einen Namen, macht sich einen Namen. Gleichgültig,ob man für den Klang des Namens etwas tut oder nicht, er tönt auf jeden Fall. Die Frage ist nur: wie?
 
Das Ziel der Corporate Identity – und das gilt auch für jedes einzelne Individuum – ist es, eine möglichst grosse Übereinstimmung zwischen dem gewünschten (Identity) und dem wahrgenommenen Klang (Image) zu erreichen. Der Klang eines Namens wird durch das Verhalten geprägt: „... jede kleine Ausübung, ja jedes einzelne Wort trage zu dem Namen bei.“ Diese Feststellung führt als Fazit dieses Beitrags zur Definition des Begriffs Corporate Identity:
 
Corporate Identity ist die Einheit und Übereinstimmung von Erscheinung, Worten und Taten eines Unternehmens (einer Körperschaft) mit seinem formulierten Selbstverständnis.
 
Bleibt noch die Frage im Raum stehen, wer denn die Ziele der Corporate Identity gradliniger erreichen kann: die Privatperson im Arbeitsprozess, die Klein- und Mittelunternehmen oder die nationalen und multinationalen Konzerne? Für den Einzelnen dürfte der Weg zum guten Namen einfacher sein, solange er sich an die verkürzte Vorgabe von Gotthelf hält: „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“. Bei den Grossunternehmen wird die Übereinstimmung von Erscheinung, Worten und Taten etwas komplizierter, was sich in der Praxis eher negativ auf ihre Reputation auswirken dürfte. Oder was halten sie zum Beispiel von den Taten und Worten des Erdölkonzerns BP im Zusammenhang mit der dramatischen Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko?
 
Wie auch immer, auch ein ramponierter Name lässt sich mit einem zugkräftigen Erscheinungsbild wieder auf Hochglanz trimmen. In einem folgenden Beitrag soll der Begriff „Corporate Design“ angesprochen und diskutiert werden. Corporate Design ist der sichtbare Teil der Corporate Identity, das visuelle Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Körperschaft, aber auch der Einzelperson. Der Boulevard-Journalismus verwendet im letzten Fall dafür Ausdrücke wie „Outfit“, „Stil“ oder, wenn es gar zu hochgestochen klingen soll: „Human Design.“
 
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