Textatelier
BLOG vom: 13.03.2010

Hochdorf LU: Von Träumen und Schäumen aus der Braui

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
„Was ich schätze, sind Köche mit Bodenhaftung. Zupackende Macher, die wissen, was sie tun, was Genuss, was Natur ist, und die sich darum kümmern, wie ‚ihre’ Rindviecher gehalten werden“, schrieb Martin Jenni im Vorwort zum Buch „werner tobler. cuisinier“ (AT Verlag, Baden 2009). Und was er suchte, fand er eben bei jenem Werner Tobler im Restaurant Braui in CH-6280 Hochdorf LU (www.restaurantbraui.ch).
 
Solche Hinweise spare ich mir jeweils für besondere Gelegenheiten auf. Etwa wenn die häusliche Küche zusammen mit dem entsprechenden Personal, bestehend zum Beispiel aus einer Hausfrau alter Schule, eine Phase der Ruhe verdient hat, zum Beispiel am jährlichen Hochzeitsgedenktag oder so. Und so fuhren denn Eva und ich am 09.03.2010 bei einer steifen Bise (Biswind) durchs Aargauer Seetal am Hallwilersee vorbei und in den Kanton Luzern hinein bis Hochdorf, wo eine riesige Ziegelei das Ortsbild beherrscht, abgesehen von der Hochdorfer Pfalz, dem Kirchenbezirk. Die imposante Gebäudegruppe in unschuldigem Weiss steht auf einer länglichen Terrasse, mit der sich Lindenberg verabschiedet. Wir versorgten den Prius, der sämtliche Bremsbrefehle selbst auf teilweise schneeverwehten Strassen einwandfrei ausgeführt hatte, im Braui-Parkhaus, das die 1. Stunde gratis anbietet, worauf noch zurückzukommen sein wird.
 
Barocke Fülle
Der eisige Wind schien uns zu durchdringen, als wir die ausladende Freitreppe vom Dorf zur Kirche emporstiegen, auf der schlierenartige Salzspuren vom vorangegangenen Kampf gegen den Schnee erzählten. Die Kirche ist dem heilig gesprochenen Martin von Tours gewidmet, der zusammen mit dem Tausalz auch die Reisenden beschützt, auf dass sie nicht zu früh im Beinhaus (1576) mit der Marienkapelle im Obergeschoss landen; dieses befindet sich gleich links von der breiten Freitreppe. In Franz Xaver, dem 2. Schutzpatron der Hochdorfer Kirche, hat er einen Konkurrenten erhalten.
 
Auf der rechten Seite der Treppe grüsst das spätgotische Pfarrhaus mit dem Stufengiebel (1535), und dahinter türmt sich die spätbarocke Kirche auf (1758), nach den Plänen von Jakob Singer (1718–1788) erbaut . Die schöne Holztür liess sich öffnen, und unversehens befanden wir uns inmitten einer barocken Welt mit Stuckmarmor-Altären, Malereien, Plastiken und 2 dominanten Kronleuchterreihen zwischen Erde und Himmel an, waren von einer Ansammlung von Heiliggesprochenen und Engeln, darunter auch kämpferischen Erzengeln mit erhobenem Schwert, über denen der Heilige Geist schwebt, Kreuzwegstationen usf. umgeben. Zahlreiche Beichtstühle warten auf reumütige arme Sünder. Auch die Decke ist üppig bemalt; ums Hauptgemälde ranken sich Szenen von den 4 Evangelisten. Die eleganten Rokoko-Stukkaturen sind grandios, sprechen mich immer mehr an als Bibelszenen.
 
Das Brasserie-Menu in der Braui
Wir kehren zum Braui-Areal zurück, das so heisst, weil sich dort einst eine Brauerei der Bierherstellung widmete. Das war in der Zeit zwischen 1860 und 1991. In den letzten 3 Jahren (1988/91) war sie von der Firma Feldschlösschen annektiert, die sie dann liquidierte. Die Gemeinde Hochdorf erwarb das Areal und erstellte darauf ein Kulturzentrum. Dieses umfasst einen Saaltrakt und einen zweigeschossigen Flügelbau, in welchem das Restaurant Braui sowie die Bibliothek untergebracht sind. Der flache, grau-blaue Trakt wirkt äusserlich eher kühl, und obschon wir eher Wärme suchten, wagten wir uns in diesen Zweckbau, zumal ich 2 Plätze reserviert hatte. Die Geschäfts- und Lebenspartnerin des Kochs, Uschi Frapolli, empfing uns in dem geräumigem, von einer gepflegten Sachlichkeit und dennoch behaglichen Lokal freundlich, liess uns bei der Tischauswahl freie Wahl, erkundigte sich nach unseren Wünschen. „Eine Flädlisuppe“, spasste ich, und die nette Dame im eleganten Hosenanzug und der schnörkellosen Aufmachung ging sofort darauf ein. Das sei etwas sehr Gutes, und ob dies denn alles sei?
 
Wir liessen uns die Speisekarte bringen und fanden an einen 4-Gang-Menu „Brasserie“ mit Variationsmöglichkeiten der einzelnen Gänge sofort Gefallen, vergassen die Flädlisuppe.
 
Ausserhalb des Speisekartenprogramms wurde in einem kleinen Schälchen etwas warmer Siedefleischsalat mit nur einer Spur Essig aufgetragen, bereits ein Hinweis auf die gute Qualität der hier verwendeten, ausgesuchten regionalen Zutaten, deren Herkunft auf der Speiskarte deklariert ist.
 
Die Vorspeise bestand aus mariniertem, saft- und kraftvollen, ebenfalls schön warmem Wollschweinfleisch mit Oliven und einem herrlich frischen Wintersalat, luftig angerichtet, mit der Sauce nicht umgebracht, sondern fein untermauert. Nur die sonnengetrockneten Tomaten, auf der Speisekarte angekündigt, hatten sich aus dem Winternebel gemacht. Die Lücke füllte ein österreichischer Grüner Veltliner (2008) „Kies“ (= auf Kiesböden gewachsen) aus dem Weingut Kurt Angerer in Lengenfeld/Kamptal aus – fruchtig, leicht rauchig, mineralisch.
 
Eine Köstlichkeit: Die Steinpilzsuppe mit glasierten Marroni. Die beiden Aromen verschmolzen im rahmigen Umfeld zu einer Ehe von vollkommener Harmonie, wie es sie sonst wahrscheinlich nur in Märchen gibt.
 
Die nachfolgenden Rindswürfel, auf Steinpilzrisotto und von einer Portweinsauce eskortiert, waren zum Teil zu stark angebraten, etwas zäh, immerhin von markantem Geschmack. Der Risotto und die Sauce verdienen die Bestnote. Der rote „La Ponce“ (2007) aus der Côte du Rhône aus der Domaine des Escaravailles mit seinen 15 Volumenprozenten wetteiferte damit. Er setzt sich aus 40 % Roussanne, 40 % Marsanne and 20 % Clairette/Grenache Blanc zusammen, vereinigt die Düfte eines ganzen Früchteladens, eine Fülle.
 
Eva ihrerseits arbeitete sich durch zarte Eglifilets hindurch und zeigte sich auch von den Safran-Tagliatelle mit weissem Tomatenschaum sehr angetan. Der passende Wein dazu: der fein strukturierte, gehaltvolle weisse Viré Clessé von Huet Laurent aus Clessé im Burgund. Das Bier spielte in diesem Menu keine Rolle.
 
Auf dem Tisch standen feines Salz (Fleur de Sel) und feuchter, grob gemahlener Grappa-Pfeffer (durch das etwa 3 Tage lange Quellen im Grappa wird er mild und bekömmlich), getreu Werner Toblers Tagebucheintrag: „Ungewürztes Essen halte ich für degeneriert. Man bekommt es vorzugsweise im Flugzeug und bei fast allen Kettenrestaurants. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner des (nicht vorhandenen) Geschmacks.“
 
Obschon der 1963 geborene Cuisinier an jenem Abend ausser Hause war, begeisterten uns auch die Nachspeisen: Entweder die lauwarmen Marroniküchlein mit Marroni-Kirschglacé und Vanilleschaum oder ein junger Brillat Savarin (ein Kuhmilchfrischkäse aus Frankreich) zu einem hausgemachten, saftigen Früchtebrot, dessen Zutaten möglichst unzerkleinert beigemischt waren und das trotzdem seinen Zusammenhalt nicht verloren hat. Zu alledem war der süsse Montbazillac 2005 von Sylvie und Manuel Killias eine zweckmässige Begleitung.
 
Bilanz beim Verdauen
Das Menu mit 3 Gläsern Wein kostet pro Person 79 CHF, ist folglich preiswert, auch in dieser Beziehung attraktiv. Die 15 GaultMillau-Punkte dürften noch etwas aufgerundet werden.
*
Das Parkhaus liegt nur wenige Schritte vom Restaurant entfernt. Ich schob meine Karte ein und erfuhr die Kosten: 3.50 CHF. Günstig. Weil ich zu wenig Kleingeld bei mir trug, führte ich eine 20-Franken-Note ein, die der Automat gierig schluckte und deren Wert er richtig erkannte. Er versprach ein Retourgeld von 16.50 CHF. In der blechernen Münz-Auffangwanne schepperte es. Doch kamen nur 11.50 CHF heraus, 1 Fünfliber fehlte. Wie erklärt man einem Automaten, dass er einen übers Ohr gehauen hat? Eva schob ein 20-Rappen-Stück nach, um die Auswurfvorrichtung durchzuputzen. Die Münze kam allein wieder zum Vorschein. Die 5 CHF wurde nicht herausgerückt.
 
Ich erinnerte mich bei diesem Finanzdesaster ans barock verspielte Deckengemälde im Chor der Martins-Kirche: Das Ewige Licht hängt an einem Seil, und dieses endet in der Faust des Teufels. Vielleicht hatte der Kerl auch beim Parkhaus-Automaten seine Klauen im Spiel. Nach meiner Ankunft in der Hölle, die in meinem fortgeschrittenen Alter nicht mehr allzu weit entfernt sein dürfte, werde ich mit ihm darüber ein ernstes Wort sprechen.
 
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