Textatelier
BLOG vom: 01.02.2005

WEF 2005: Schminke über Globalisierungspleiten

Autor: Walter Hess

Das World Economic Forum (WEF) ist so etwas wie eine Stammtischrunde der Globalisierer, die den Katzenjammer dessen, was sie angerichtet haben, wenigstens verbal zu verarbeiten suchen. Insgesamt wurden zu diesem Zwecke mehr als 220 Gesprächsrunden veranstaltet. Positiv ist immerhin zu vermerken, dass das Niveau in Davos dank der Abwesenheit des offiziellen Amerikas wenigstens nicht gesenkt wurde.

Es hat mich aber dennoch erschüttert, dass diese geballte Prominenz-Ladung ausser Hilfeversprechungen an Afrika nichts, aber auch gar nichts hervorgebracht hat, das als zukunftsweisende Idee Anlass zu Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben könnte. Gibt es denn keine grossen Geister mehr, oder bleiben diese solchen Veranstaltungen konsequent fern?

Da die Globalisierung im Dienste der mächtigen Konzerne steht und die Armut weltweit offensichtlich vergrössert, stand logischerweise die globale Armutsbekämpfung im Zentrum des Davoser Treffens, an dem gut 2000 Politiker, Wirtschaftsführer, Wissenschaftler, Kulturschaffende, Medienvertreter usf. teilgenommen haben. Eine Alibiübung. Denn niemand wagte sich zu den Ursachen vor, sondern man versuchte mit etwas Wohltätigkeit und Wohltätigkeitsgerede offene Wunden behelfsmässig zuzupflastern. Selbst die „NZZ“ resümierte am 31. Januar 2005, dass das Uno-Millenniums-Ziel, die Halbierung der Armut zwischen 2000 und 2015 nämlich, „vollends illusorisch zu werden droht“. Selbstverständlich wissen alle, dass sich Armut und Hunger beim eingeschlagenen neoliberalen Wirtschaftskurs, der das Qualitative ausser Acht lässt, noch vergrössern wird. Man wird dann im Tony-Blair-Stil gelegentlich eine Geste oder auch eine Hilfsaktion lancieren, um den üblichen Stil nicht ändern zu müssen und das Gesicht noch eine Zeitlang wahren zu können – mehr Getue als Taten. Manchmal geschieht das auch, um das ramponierte Ansehen etwas aufzupolieren; beim Irak-Krieg hat Blair ja nicht eben eine sehr selbstbewusste Falle gemacht.

Eines der spektakulärsten Ereignisse in Davos war der Auftritt des neuen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, der als „echter Held“ gefeiert wurde. Er will sein Land von den oligarchischen Strukturen und von der Korruption befreien. Ich habe (wenn ich mich in die ukrainische Lage versetze) sogar Verständnis dafür, dass er der EU beitreten und globalisieren will – der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) stehe an, sagte er auch noch. Er macht auf mich einen sehr integren und auch sympathischen Eindruck. Sein markantes Gesicht ist von einer Dioxinvergiftung, die ihm auf kriminelle Art zugefügt worden ist, gezeichnet. Er schlachtet diesen Anschlag auf sein Leben politisch keineswegs aus, wie das anderweitig mit erlittenem Elend häufig üblich ist. Eine starke Persönlichkeit mit Würde. Und sein graues, furchiges Gesicht wirkt auf mich wie ein Sinnbild für den Zustand von unserem Globus, dem – ebenfalls auf kriminelle Art und Weise – schwere Vergiftungen zugefügt worden sind und noch immer werden, gerade auch im Zeichen der Globalisierung mit ihrer rücksichtslosen Naturausbeutung, dem Ressourcenverschleiss sowie der Giftstoff- und Abfallproduktion, auf dass die Kassen stimmen.

Ein bezeichnendes Element für den Zustand der globalisierten Welt, die laut amerikanischen Zweckfeststellungen „sicherer“ geworden sein soll…, ist das gigantische Sicherheitsdispositiv, das rund um die WEF-Prominenz aufgebaut werden musste: Absperrungen, Luftraumüberwachung, Polizei, Militär, Scharfschützen, Kontrollen. Kontrollen. Die Schweizer Luftwaffe musste während der WEF-Dauer 6-mal intervenieren, um die Luftraumsperre über Davos durchzusetzen, wahrscheinlich wegen Navigationsfehlern der Piloten. Kriegsähnliche Zustände. Der Luftraum über Davos wurde für die Zeit des WEF in einem Radius von 46,3 Kilometer eingeschränkt.

Kaum ein Staatsmann kann sich heute noch frei bewegen, ob über den Wolken oder darunter – nur die Schweizer Politiker erfreuen sich noch eines gewissen freien Auslaufs, dieser überall erstrebenswerten Freilandhaltung. Der zunehmende Terrorismus, die Unsicherheiten in jeder Beziehung, der katastrophale Klimawandel, auf den in Davos der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore aufmerksam machte, die Naturzerstörungen durch die globalisierungstaugliche Mammutlandwirtschaft und ein desolater Zustand bei der Medienberichterstattung bzw. ‑unterhaltung, die an Infantilität kaum noch zu überbieten ist, wären Anlass genug, einige grundlegende Verhaltensänderungen anzustreben und entsprechende Massnahmen wenigstens zu diskutieren.

Der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski sagte im Rahmen einer Medienschelte am WEF: „Heute gelten nur noch Skandale als News.“ Nun, an Skandalen besteht kein Mangel; da kann man heutzutage aus dem Vollen schöpfen. Allerdings sind es nur die relativ nebensächlichen Skandale wie Fussballschiedsrichter-Missetaten, die hochgespielt werden, die die Welt bewegen sowie Aufsehen erregen – und nicht etwa jene, die der Einheitswelt ans Lebendige gehen.

Ablenkung ist zwingend, wenn man wesentliche Missstände verdrängen und nicht beseitigen will. Schwamm drüber. Die Absperrungen in Davos sind wieder abgebaut. Kümmern wir uns Abende lang um den nächsten Musicstar.

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