Textatelier
BLOG vom: 13.07.2009

Birrwil–Beinwil a. See: Im Wasser stehen, am Wasser gehen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die Zahl der Ausflügler ist am Westufer des Hallwilersees bescheidener als gegenüber am Ostufer, aber die Fische, vor allem Felchen (Ballen), sind häufiger. Am 06.07.2009, als ich im ruhigeren Westen, zwischen Birrwil und Beinwil am See AG, zu einem Spaziergang ansetzte, war die Fischerei noch in Warteposition. Die Berufsfischer seien in den Ferien, sagte mir ein passionierter Sportfischer im Pensionierungsalter, mit dem ich an der Schifflände in Birrwil über das sprach, was sich im Wasser tut. Der Zyklus in der Fischfauna habe sich des kalten Frühlings wegen um etwa 1 Monat hinausgezögert, und zudem sei das Hallwilerseewasser so sauber, dass die Fische kaum noch Nahrung fänden; das limitiere ihren Bestand.
 
Das Wasser war tatsächlich rein, ohne jeden Makel wie ein frisch und sorgfältig gereinigter Spiegel. Es liess im seichten Uferbereich unter einem bewegten, glitzernden Wellenmuster jeden Stein, jedes Sandkorn erkennen. Am Seegrund wäre der Zustand weniger erfreulich; den aber sieht man nicht. Zwar gibt es weiter im See draussen noch das Plankton, das den Felchenschwärmen als Nahrung dient. Die Fischchen stehen davor an, warten sozusagen, bis es ihnen in den Mund schwimmt, brauchen sich kaum zu bewegen und schwimmen schon gar nicht in Netze. Wenn uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, gehen wir auch nicht auf Vogeljagd. „Die Fische stehen im Wasser“, sagte mein Gesprächspartner, der sich noch an Zeiten erinnerte, als Metzgereiabfälle in den See gekippt wurden, um die sich vor allem die Raubfische zum Festmahl versammelten, schnell zu einer stattlichen Grösse heranwuchsen und Nachwuchs produzierten, dass es eine Freude war. Der Felchennachwuchs sei manchmal so gross gewesen, dass die braunen Schwärme an der Oberfläche weit draussen im See von blossem Auge gesehen werden konnten. Das klang wie ein Plädoyer für mehr Gewässerverschmutzung der herkömmlichen Art (und nicht etwa für mehr Phosphateintrag aus der Landwirtschaft). Man habe jeweils beim Fliegenfischen nur die Angel ins Wasser werfen müssen, und schon habe es gezappelt. Fischerlatein? Der Mann machte einen Vertrauen erweckenden Eindruck, ist Mitglied eines Sportfischervereins und weiss, wovon er redet.
 
Das Hallwilerseeschiff „Fortuna“ legte während unserer Geschichtslektion hinter üppig lila und kräftig rot blühenden Gartenhortensien (Hydrangea macrophylla) und dunkelroten Rosensträuchern an. Auf dem Oberdeck und im windgeschützten Heck genossen viele entspannte Passagiere den schönen, glücklichen Tag, grüssten zuwinkend. Und der Kapitän spasste von der Kommandobrücke herab mit meinem Hobbyfischer – man kannte sich – und steuerte das gepflegte Schiff bald seeaufwärts, ein verebbendes Kielwasser hinter sich zurücklassend.
 
Unter mächtigen Bäumen am Ufer
Ich startete zum Spaziergang nach Beinwil am See, in gleicher Richtung wie die „Fortuna“, um meiner Beinmuskulatur Gutes zu tun. Der Naturweg ist breit, oft durch Baumriesen (Buchen, Linden, Eichen) beschattet und verläuft mehr oder weniger nahe am Wasser, Buckeligkeiten sind rar. Manch ein Durchblick auf die andere Seeseite nach Meisterschwanden und weitere Gebiete des verträumten Lindenbergs öffnet sich. Kleine Wellen, die vom Ufer zurückgegeben wurden, boten jenes beruhigende, vertraute Geräusch, das an frühere Aufenthalte an Seeufern denken liess. Die Laichkräuter und Schwimmblattpflanzen wie das Ährige Tausendblatt, einige Gelbe Teichrosen und der Wasserknöterich wiegten sich sanft zum abgehackten Gesang der Teichrohrsänger („tscharr“), die ihre Unterkunft zwischen Schilfhalmen haben. Auch eine zutrauliche Amsel kreuzte meinen Weg, sang mir aber nichts vor. Wegen des schwarzen Rocks war ihr zu warm dazu.
 
Zuerst erlebt man den Birrwiler Hafen mit den vertäuten und den mit himmelblauen und grauen Blachen (Planen) abgedeckten Segelbooten und ortet hinter einem Gitterzaun die Anlage zur Felchenaufzucht in Netzkäfigen. Neben einem wuchtigen Rundbehälter am Ufer gehört ein grosses Floss im See dazu, das nicht allein unzähligen Möwen als Aufenthaltsort dient. An diesem Schwimmkörper sind Netzkäfige mit Jungfelchen aufgehängt, die demnächst in die Freiheit entlassen werden dürften – die Fische und nicht die Käfige –; in der Regel ist das nach dem Schluss der Blüte der Burgunderblutalgen jeweils bereits im Juni möglich. Insgesamt gibt es am Hallwilersee 3 Brutanstalten, wo während der Laichzeit im Dezember reife Fische gestreift und die so gewonnenen Eier aufgezogen werden. Fischer sind verpflichtet, für Nachwuchs im Wasser und damit für Nachhaltigkeit zu sorgen. Es geht nicht um Kaviar.
 
Weiter im Wandertext: Einige Seehäuschen verteidigen angestammte Rechte, und ein altes Ruderboot weist auf die Vergänglichkeit des Menschenwerks hin. Eine mächtige, dürre Eiche mit abgebrochenen Ästen, die ebenfalls am Rande des Zerfalls, des Todes ist, wehrt sich mit einigen wenigen Austrieben, letzte Regungen im Überlebenskampf, den alle Geschöpfe einmal verlieren. Darunter joggte eine hübsche, freundliche junge Dame mit kupferfarbenem Haar in einem windschlüpfrigen Anzug in Grau, Blau, Weiss und Rot freundlich lächelnd vorbei, Zuversicht spendend. Sie schien einer Designerwerkstatt entsprungen zu sein.
 
Ein Moorgebiet mit Seggen und Schilf, an dem ich wenige Schritte später vorbei kam, hat seine Schuldigkeit noch längst nicht getan – die Natur braucht solche Raritäten weiterhin dringend. Die Feuchtzone reicht bis zu einem Entwässerungsgraben, an den sich landwirtschaftlich genutzte Wiesen und Getreideäcker (Weizen, Gerste, Mais) anschliessen.
 
Die Strecke vom Hafen Birrwil zur Schifflände Beinwil am See ist bloss etwa 2,5 km lang und in 40 Minuten spielend zu bewältigen. Sie führt an 2 unterschiedlichen Schwimmbädern vorbei: an einem grossräumigen, komfortablen in Beinwil am See und einem kleinen Bad hinter Betonwänden in Birrwil, das gratis benützt werden kann und über alle sanitarischen Einrichtungen verfügt – eine nette Geste der Öffentlichen Hand. 3 beherzte Knaben schwammen dort unter einem Floss aus verstrebten Blechfässern hindurch, verschwanden lange, tauchten wieder auf, genossen das Badeleben. Das ausgedehnte Strandbad in Beinwil verfügt über einen gepflegten Rasen, auf dem sich auch 2 Schwäne tummelten, und allen weiteren Komfort wie den Schatten mächtiger Linden. Ich begab mich in die Gartenwirtschaft des Seehotels Hallwil, löschte den Durst mit einem teilvergorenen Schlör-Apfelwein aus einer Flasche mit Bügelverschluss (5 dl, 5.50 CHF) und schaute zum blauen See hinaus.
 
Beinwil am See hat ebenfalls einen Hafen, und das Gebiet bei der Schifflände ist ein beliebter Ausflugsort, auch für Feinschmecker. Auf dem grossen, gebührenpflichtigen Parkplatz war zu erkennen, dass es vor allem Aargauer sind, die hierher kommen; auch einige LU-Nummern und eine SO-Nummer waren auszumachen. Die Japaner und Chinesen haben das noch nicht entdeckt.
 
Vom Durst befreit, pilgerte ich nach Birrwil zurück, zuerst über eine Landwirtschaftsstrasse, an der der Bauer das „Lagern beidseits der Strasse verboten“ plakativ verboten hat, dann wieder dem Ufer entlang. Einige Stockenten haben mich weitgehend ignoriert, und sie fanden es nicht einmal für nötig, vor mir zu fliehen. Sie mögen erkannt haben, dass ich ähnliche Eigenschaften wie sie habe, also kurze Wanderungen bevorzuge (standortstreue Standvögel), anpassungsfähig bin und oft einen weissen Latz trage, obschon bei den Enten kein Hemd vor Saucenspritzern geschützt werden muss. Dafür ist meiner abnehmbar.
 
Und offensichtlich haben wir alle für kürzere oder längere Zeit die gleiche Gegend ausgesucht: Keine ausgesprochene Erlebnislandschaft für erlebnisorientierte Besucher, sondern eine Landschaft zum Leben. Auf höherem, beschaulichem Niveau.
 
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