Textatelier
BLOG vom: 20.03.2009

Londoner Lebensmittelmesse: Was man uns vorsetzt

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Diese internationale Lebensmittel-Messe IFE findet alle 2 Jahre statt und begann dieses Jahr am Sonntag, 15. März 2009. Während 2 Tagen lief ich zwar keine „food miles“, doch viele „foot miles“ durch die Excel-Hallen und war froh, dass ich zwischenhinein eine Pause im Presse-Zentrum einschalten konnte. Ich habe rund 60 Aussteller aufgesucht, vorwiegend Hersteller von Fertiggerichten, Suppen, Saucen/Dressings aller Art, Kräutern und Gewürzen, Müesli (Müsli) und Riegeln. Wenn die Zeiten hart sind, muss man das Marketing sehr gezielt verdoppeln oder verdreifachen und als Berater viele Angebote präsentieren. 1200 Aussteller aus 45 Ländern waren an der IFE vertreten. Auch die Schweiz hatte dort ihren Pavillon.
 
Viele Kleinstfirmen haben sich in Nischenbereichen angesiedelt. Als ich unterwegs auf Bekannte stiess, wurde natürlich ein bisschen geplaudert. „Wissen Sie, dass Firma X gestern Konkurs angemeldet hat?“ Im Food-Service-Sektor (Restaurants, Hotels usw.) herrschte Flaute, weil die Leute weniger auswärts essen. An allen Ecken werden Kosten gespart. Die Leute essen mehr Zuhause, aber greifen im Zeitdruck weiterhin auf vorbereitete Produkte zurück, die im Nu zubereitet sind. Viele Aussteller bieten organische (biologische) Kost an, doch die Konsumenten kaufen wieder vermehrt billigere Alternativen.
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Hier wähle ich einige Beispiele merkwürdiger Nischenprodukte, die mir beim Streifzug aufgefallen sind:
 
Das verwandelte Hühnerei
Ich dachte, das Zubereiten von Eiergerichten koste weder Schweiss noch Zeit. „Eipro“, von der deutschen Firma Wiesenhof vertrieben, ist anderer Meinung und offeriert das „2-Minuten-Rührei“ aus dem Beutel und ein „Schlemmer-Rührei“, flüssig und pasteurisiert, „Eirollen“, gekocht und geschält, können wie Salami in Scheiben geschnitten werden. Ei, wie kann man nur!
 
„Royal Soy Kaviar“
Echter Kaviar, sei es Beluga, Osetra oder Sevruga,ist schandbar teuer. Der Hersteller aus Holland behauptet, dass der Surrogat-Kaviar dem echten ebenbürtig sei. Das, finde ich, sei schwer zu schlucken. Dieser „Royal Soy Kaviar“ ist 7 Tage haltbar und besteht aus Wasser, Soyaöl, Soya Eiweiss, Naturgummi, Meersalz, und „natürlichem Geschmacksstoff“ von Tang (seaweed) und natürlichen Farbstoffen. Alles zusammen ohne Cholesterin. Also her damit, wenn Gäste kommen, am bestem zusammen mit dem Wodka …
 
Wodka
Dieser Wodka passt zum „Royal Soy Kaviar“, nämlich der englische Kartoffel-Wodka, von der Chase Destillery Rosamound in Hertfordshire hergestellt. Wenn schon, ziehe ich den aus Weizen gebrannten vor, wiewohl ich annehme, dass die Zunge den Unterschied zwischen den 2 Sorten kaum merkt.
 
„Sizzling Shakes“
Diese Gewürzbeutel-Zutat ist für den Glühwein bestimmt und auch für Vegetarier geeignet … Gebrauchsanweisung: „Man nehme eine Pfanne, füge 1 Liter Rotwein hinzu und einen Löffel Braunzucker, erhitze das Ganze und lasse das Getränk während einer halben Stunde abkühlen.“ Nachher nochmals erhitzen und den Beutel entfernen. Fix und fertig – aber Vorsicht: Das Gesöff muss in bruchsichere Gläser gefüllt werden.
 
„Pudding Lane“
Der Pudding-Liebhaber braucht nicht auf Weihnachten zu warten, um diesen Pudding zu geniessen. Dieser von Hand geformte Mocken von 100 Gramm ist von weissem Stoff umwickelt. Der australische Hersteller beruft sich auf ein altes Familienrezept. Soyamehl ist diesem Pudding beigegeben und „emulsifiers“ (Emulgator 471, 481) und erst noch ein Sprutz australischer Brandy, nebst australischen Macadamia-Nüssen.
 
„Airspuma“
Dieses Produkt ist ein kulinarischer Schaum aus der Sprühtube, von der „Imaginative Cuisine Ltd“ in Reading (Berkshire) entwickelt. Der Hersteller erwähnt nicht, welche Speisen für diesen Schaum geeignet sind, etwa Süssspeisen oder Curry. Er empfiehlt jedoch, die Tube vor Gebrauch kräftig zu schütteln. „There is no limit to your imagination“, vermerkt treffend der Produzent.
 
“African Orange”
Im Presse-Zentrum lagen Karton-Tütchen auf. Nur die Visitenkarte des Herstellers aus Cape Town war angeheftet. Ich schüttelte das Päckchen, und der Inhalt raschelte. Also eine Trockensubstanz. Die Neugier zwickte mich jetzt. Ich öffnete die Wundertüte und schüttelte den Inhalt auf ein Blatt Papier. Die körnige Substanz glich grob-gemahlenem Kandis-Zucker, mit Samenkörnern vermengt. Mag das vielleicht Vogelfutter sein? Meine Zungenspitze schmeckte Salz. Nein, das darf ich den Spatzen nicht antun! Mein Verdikt: ein schlechtes Marketing-Beispiel und ein dubioses Produkt.
 
„Before & After Mints“
Ich öffnete das ovale Blechschächtelchen und staunte: Es enthielt weisse und fahlbraune Pillen. Da hatte sich der Lebensmittel-Chemiker etwas einfallen lassen! Folgende Ingredienzien sind in Kleinstschrift erwähnt: „Sweetener (Sorbitol, Aspartame, Acesulfame K), Cocoa, Natural Peppermint Flavour, Anti-Caking Agents (Stearic Acid, Silicon Dioxide), Contains a source of phenylalanine.“ Ausserdem sind die Pillen „kosher“ und „glutenfree“.
 
„Übertriebener Gebrauch kann ‚laxative effects’“, also Durchfall, auslösen. Danke für die Warnung! Diese Gifttabletten werden von der „Interesting Imports Ltd.“ (Liverpool) vertrieben, das Produkt selbst wird in den USA fabriziert, die Blechschachteln in China. Wieder ein Schmarren aus Amerika – rasch damit in den Abfalleimer!
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Es wäre unanständig von mir, wenn ich zuletzt nicht etwas Positives aufgreifen würde, wie:
 
„Yumberry – Yang-mei-Beeren aus China
Diese subtropischen Beeren wachsen in China, südlich von Shanghai, und die Chinesen kennen schon die gesundheitsfördernde Kraft dieser Wunderbeeren seit 5000 Jahren. Ich kostete den Wundersaft und genoss den erfrischenden Geschmack. Der Saft strotzt von Vitaminen (A, B1, B2, B6, C, E und Folacin = Folsäure). Yang-mei wird nachgesagt, dass es den Blutdruck und das Cholesterin senkt, die Zellen und die Sehkraft stärkt und Entzündungen (worunter Arthritis) hemmt. Ich habe inzwischen einige Muster angefordert. Vielleicht werde ich diesen Saft ins Portfolio aufnehmen und nach Abnehmern in der Schweiz fahnden. Der Hersteller ist Yumberry UK Ltd.
 
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