Textatelier
BLOG vom: 21.12.2008

CH-Bundesrat Moritz Leuenberger: Er liest, spricht und bloggt

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Unser Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger (geb. 1946, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ist ein guter und fleissiger Kommunikator. Immer, wenn er etwas gesagt hat, lässt er seine Zuhörer im bestimmten Gefühl zurück, es sei etwas Gescheites gewesen. Das rührt davon her, dass er die Worte richtig aus sich heraus wringt, zusammensetzt und mit dem Ausdruck höchster Konzentration begleitet. Und wenn man dann analysiert, was er gesagt hat, erhält man meistens den Eindruck, es sei wirklich ganz einleuchtend und vernünftig gewesen.
 
Leuenberger spricht aber nicht nur als Bundesrat, nein, seine Kommunikation ist unlimitiert. So hat er die Einladung zur SF-DRS-Sendung Literaturclub unter der bewährten Leitung der quirligen Iris Radisch vom 16.12.2008 angenommen. Ich schaue mir diese Sendung gelegentlich an, weil ich dann weiss, welche Bücher ich sicher nicht lesen werde.
 
Das Club-Prozedere ist meistens ähnlich: Aus der Runde wird ein Buch begeistert vorgestellt, von einem weiteren Gesprächsteilnehmer ebenfalls mit Lob überschüttet, worauf sich dann die Kritiker zum Verriss aufgerufen fühlen und all den Glanz zum Erlöschen bringen, wie es der energieverschwenderischen Weihnachtsbeleuchtung Ende Jahr ergeht. Was dem einen gefällt, spricht den anderen überhaupt nicht an. Ich geniesse die intelligenten Formulierungen und manchmal druckreifen Bilder, die sich die Rezensenten ausgedacht haben, und auch ihr Talent, über literarische Banalitäten und unbeholfene Aufarbeitungen persönlicher Schreiber-Schicksale geistreich und kontrovers zu palavern. Es gab schon immer Bücher, an denen die Rezensionen, die sie ausgelöst haben, das einzig Wertvolle waren. Und weil das SF DRS vor allem Quiz- und Lottosendungen verbreitet, ist es eine Wohltat, wenn belesene Menschen wie die unerbittliche Gabriele von Arnim, die eigenständige, aufmüpfige Denkerin Corina Caduff, der ernst-tiefsinnige Urs Schaub, der heftig gestikulierende und philosophierende Stefan Zweifel und Peter Hamm, der manchmal von seinen eigenen, wohlgesetzten Worten ergriffen wird, die Geisteswüste beleben.
 
Was Moritz Leuenberger einleitend ausführte, war für mich eine Sensation: Er liest Bücher! Ein Politiker, der Bücher liest! Das ist für mich ein ganz neuer, bisher unentdeckter Menschentypus. Dass sie jetzt dann Bücher lesen würden, habe ich bisher ausschliesslich von zurücktretenden Politikern gehört. Und dabei habe ich immer gedacht, das hätten sie viel früher machen müssen, dann hätten sie vielleicht gelegentlich vom Geist früherer oder vielleicht sogar moderner Schriftsteller im richtigen Moment noch rechtzeitig profitieren und etwas breiter abgestützte Entscheide treffen oder sogar Fehlentscheide verhindern können. Es hat nicht sollen sein.
 
Doch Moritz Leuenberger ist wohl zusammen mit dem jetzt ausserhalb des Bundesrats politisierenden Christoph Blocher, der politische Leitbilder mit Tiefgang entwarf, einer der wenigen Politiker, der sich rechtzeitig, sozusagen amtszeitig, über Bücher hermachte oder produzierte. „Haben Sie denn Zeit zum Lesen?“ fragte Iris Radisch. Zeit habe jedermann, antwortete Leuenberger, gewissermassen man müsse dem Lesen halt Zeit einräumen, dieses prioritär behandeln.
 
Bei Bundesrat Leuenberger spürt man die Belesenheit, und man hört ihm gern und manchmal mit Gewinn zu, ob man mit seinen dem Sozialdemokratischen nahe stehenden Ansichten nun einig geht oder nicht. Selbst eine gewisse Logik und Stringenz (einleuchtende Folgerichtigkeit) ist seinem Denken eigen.
 
Mit den Medien und deren Verhalten ist er unzufrieden, wofür ich nur Verständnis aufbringen kann. So schrieb er im Blog vom 10.12.1008 („Im mainstream der Raserdebatte“): „… Darauf meldete sich die Schweizer Tagesschau und wollte ein Interview zu meiner Forderung nach höheren Strafen und zu der Justizkritik. Ich handelte die Bedingung aus, dass auch meine grundsätzlichen Gedanken zum Zuge kämen. Obwohl das garantiert wurde, wurden die Aufnahmen dann doch wieder sehr justizkritiklastig zurechtgeschnitten, so dass am nächsten Tag in den Zeitungen zu lesen war, ich unterstütze die Initiative von roadcross (was ich nie gesagt habe) und ich hätte die Verwahrung von Rasern gefordert.“
 
Oder am 03.11.2008 („Funken und Frequenzen“): „Die Sonntagszeitung bat mich letztes Wochenende um ein Interview dazu, stellte am Freitag die Fragen und ich beantwortete sie am Samstag schriftlich. Kaum war die Arbeit gemacht, teilte die Zeitung mit, sie verzichte auf das Interview.“ Leuenberger publizierte das im Rahmen eines Blogs.
 
Vielleicht waren es solche Erlebnisse, die ihn zum unzensurierten Bloggen veranlassten. Eine NZZ-Feststellung, wonach Leuenberger die Medien nicht liebe und sich daher lieber ohne Umweg über Journalisten direkt „im Blog an das Publikum“ richte, mag der bundesrätliche Blogger so nicht bestätigen, aber seine Erfahrungen mit den Medien und seine Praxis der Internet-Nutzung sprechen eine andere Sprache, die ich sehr wohl verstehe: „Da bleibt mir ja wahrhaftig nur noch der Blog und ich mache also aus dem Vorwurf des direkten Publikumkontakts eine Tugend und publiziere hier das von der Zeitung unterdrückte Interview.“
 
Diese Praxis zeigt auch die wachsende Beachtung und Bedeutung des unabhängigen Publizierens im Internet. Die gedruckten Medien sind zu schwerfällig, zu verfilzt, zu teuer und zu eingeschüchtert. Die nach allen den bisherigen und angekündigten Sparbemühungen noch hinterbliebenen Journalisten und Redaktoren sehen sich gezwungen, sich mehr und mehr der zeitgenössischen Sklaverei namens Mainstream zu beugen, was die Zeitungen zu Auslaufmodellen stempelt. Das wiederum beschleunigt das Ableben der Druckmedien. Auch die Werbegelder fliessen zunehmend ins Internet ab. Die Migros will laut Claude Hauser, Präsident des Migros-Genossenschaftsbunds, die Werbeausgaben von rund 350 auf rund 300 Mio. CHF pro Jahr reduzieren und zum „grossen Teil“ im Internet einsetzen.
 
Wenn die Qualität der Druckmedien im Schlepptau des Fernsehens so weit sinkt, dass es schade ums Papier und die Druckfarbe ist, dann mögen sie sich die Folgen bitte selber zuschreiben. Sie haben zum Ärger des Publikums ständig an ihrer Aufmachung herumgedoktert und dabei ganz vergessen, dass man sich ja auch einmal um den Inhalt kümmern könnte – und zwar nicht einfach im Sinne einer Verkürzung, einer Buchstabenabschaffung.
 
Mögen sie weiterhin dem Abgrund zusteuern! Die neuen Wanderbewegungen in Richtung Internet zeigen auf, wohin die Reise geht. Und auch wenn gelegentlich ein Buch mehr als bisher gelesen würde, wäre das nicht übel. Es gibt zum Glück verschiedene Aggregatzustände von geistiger Materie.
 
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