Textatelier
BLOG vom: 24.10.2008

Antiglobalismus: Aus dem neoliberalen System ausbrechen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die US-Hypothekenkrise, die zur globalen Finanzkrise und zur Weltwirtschaftskrise ausgewachsen ist, steht in einer frühlingshaften Blüte, Herbst hin oder her. Täglich öffnen sich neue Knospen. Mit allerhand Pflästerli-politischen Massnahmen und Milliarden aus Staatsmitteln werden Löcher gestopft, bis neben den Banken auch ganze Staaten Konkurs machen werden. Island ist ein kleines Staatsbankrott-Beispiel. Die USA ihrerseits häufen einfach Schulden auf, ohne das Wort Staatsbankrott in den Mund zu nehmen. Der Bankrott wird in Form fauler, wertloser Schuldbriefe auf die Welt verteilt, globalisiert. Die US-Amerikaner führen ihren angeberischen, energieverschwenderischen Lebensstil auf Pump weiter. Im 1. Semester 2008 haben sie weitere 723 Milliarden USD an Hypotheken aufgenommen, welche wiederum die Welt wird verkraften müssen. Da hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Und wohl auch die Kreditkartenkrise, von der die Medien nicht einmal zu sprechen wagen, wird ständig weiter vergrössert.
 
Die Deregulierung
Genau wie die ständige Anzettelung von mörderischen Kriegen mit ihrem Elend, mit ihren Flüchtlingsströmen und den Verwüstungen passiert all das unter dem Dach der Globalisierung, die das Adjektiv „neoliberal“ verdient. Das heisst, sie steht im Rahmen einer neuen Freiheit, der man auch Deregulierung sagt. Wo nichts reguliert ist, kann jeder machen, was er will, und dazu gehört auch das Ausleben krimineller Triebe, basierend auf der Bereicherung mit unfairen Mitteln, auf der Habgier.
 
Selbst dort, wo es um natürliche Monopole geht, wurde dereguliert (dem Gewinnstreben unterworfen). Was das heisst, erfahren wir Schweizer, die wir uns verpflichtet fühlen, jeden US-Schwachsinn nachzuahmen, soeben bei der Liberalisierung (Deregulierung) des Elektrizitätsmarkts, wo wir die bereits abgeschriebenen Übertragungsnetze nochmals bezahlen sollen … nachher werden sie dann wohl im Unterhalt vernachlässigt. Noch bevor diese Strommarktliberalisierung richtig Fuss fassen konnte, wurden Strompreiserhöhungen um die 30 % bekannt gegeben, weil ja für Abzockereien Tür und Tor offen stehen. Die liberalisierten Unternehmen konnten es kaum erwarten, bis neue Quellen zu sprudeln begannen. Es braucht viele Gespräche, um die Diebe zu etwas Einsicht zu bringen.
 
Miserable Liberalisierungserfahrungen haben wir unter anderem bereits mit dem Kabelnetzunternehmer Cablecom gesammelt, die ebenfalls ein einträgliches Monopolgeschäft betreibt, Programme nach Lust und Laune abschaltet und für das abgespeckte Angebot übersetzte Gebühren eintreibt. Das Unternehmen wurde an den US-Konzern Liberty Global (Hauptsitz: Denver) verschleudert, der in über einem Dutzend europäischen Ländern die Netze aufgekauft hat, die ein wichtiges Machtmittel sind. Dass man wichtige Basis-Infrastruktur in ausländische Hände geben kann, verstehe ich in meinem Alter nicht mehr. Am Schluss werden uns wahrscheinlich nur noch US-Programme und tolerierte US-amerikanisierte nationale Programme verbleiben, wie wir sie bereits haben: Keine verblödende DRS-TV-Show ohne Beteiligung von US-Stars; auch Thomas Gottschalk hält sich konsequent daran.
 
Von der Zerstörung von hochwertigen Traditionsunternehmen von Bally bis zur Swissair im Zeichen der Globalisierung brauche ich hier nicht zu berichten; sie sind bekannt, und ich möchte keine alten Wunden aufreissen. Im Moment wird gerade versucht, die UBS kaputt zu machen; die USA und die EU lassen in dieser Beziehung nicht nur keine Gelegenheit aus, sondern sie werden in ihrer Destruktivität unwahrscheinlich innovativ.
 
Von Deutschland aus wurden der Schweiz von Finanzminister Peer Steinbrück bereits Peitschenhiebe angedroht, wenn wir das bereits gelockerte Bankgeheimnis nicht vollends aufgeben. Auf solche Weise wollen die OECD (zu der die Schweiz seit 1961 gehört), dieses US-beherrschte Globalisierungswerkzeug, und die Europäische Union die günstige Gelegenheit der weltweiten Finanzkrise nutzen, um Steuerparadiese auszutrocknen. Bis zum Sommer 2009 will die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einem geradezu biblischen Sinne eine neue schwarze Liste der „Sünderstaaten (Steueroasen)“, sozusagen eine „Achse der Bösen“, erarbeiten. Länder, die eine Zusammenarbeit verweigern, sollen höllisch bestraft werden. Und zu diesen gehört die Schweiz. … und bist du nicht willig, so brauchen die Herrscher halt Gewalt. Die Guten setzen die Grenzen nach ihrem Ermessen. Wer brav mitmacht, wird mit Zuckerbrot belohnt wie kleine Kinder.
 
Diskussionen am Kernproblem vorbei
Ich höre mir gelegentlich eine Diskussion über die desolate Lage der globalisierten Welt an, bei der es den Moderatoren jeweils vor allem darum geht, dafür zu sorgen, dass alles auf tiefstem Niveau bleibt, weil sie das Gefühl haben, das Volk der Mediennutzer sei ebenfalls dumm und würde vor jedem Fachausdruck kapitulieren. Und weil für Zusammenhänge ohnehin kein Spielraum bleibt, werden dann einfache Detailaspekte wie nach US-Vorbild abzockende Manager herausgegriffen, die ihre Millionenbezüge damit rechtfertigen, dass nur Millionen-Boni die besten Leute bei der Stange zu halten vermöchten. Dabei hält man auf diese Weise nur irritierte Geier zurück, die vor allem Unheil anrichten, wie gehabt. Jedenfalls sind mir unter den Millionenbezügern im Bankgewerbe bisher praktisch nur Versager aufgefallen, die man am besten in die USA exportieren würde, zum Beispiel nach New York.
 
Statt sich die Zeit mit globalisierungs-immanenten Auswüchsen zu vertreiben und auf Kosten des Steuern zahlenden Fussvolks (dem in der Schweiz auch noch die Pensionsleistung reduziert wird) den angerichteten, exorbitanten Schaden etwas erträglicher zu machen, würde man sich gescheiter einmal mit Grundsätzlichem befassen: mit dem System namens Globalisierung, mit der weltweiten Vereinheitlichung, der Einheitswelt, der Welt der Einfalt.
 
Diese fundamentale Diskussion, die ich schon mit meinem 2005 erschienenen Buch „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ anzuzetteln versuchte, findet nach wie vor überhaupt nicht statt. Fast jedermann scheint davon auszugehen, die Einheitswelt sei ein unverrückbarer Tatbestand, also nicht zu ändern. Darin liegt gerade für die Schweiz der folgenschwerste Irrtum.
 
Die Globalisierung – eine schleichende Katastrophe
Wir haben es bis heute – Christoph Blocher und seiner SVP sei diesbezüglich ewig Dank – verstanden, uns aus dem europäischen Globalisierungsinstrument EU mit ihrer Machtkonzentration in Brüssel und ihrer Anbindung an die USA herauszuhalten (unsere Anbindungen finden auf freiwillige Weise statt). Deshalb sind wir nicht untergegangen, im Gegenteil: Wir leben besser als die blutenden EU-Staaten mit ihrem offenkundigen Demokratie-Defizit, und auch unsere einheimische Wirtschaft hat vergleichsweise die besseren Voraussetzungen. Auf den internationalen Märkten treten wir nicht nur als Verkäufer, sondern auch als Käufer auf. Wenn wir Waren für 197 CHF ausführen, kaufen wir solche statistisch für 183 CHF zurück; das für uns Positive an der Handelsbilanz hält sich also in bescheidenem Rahmen.
 
Es kann doch nicht sein, dass man sich als Bestandteil eines von den USA beherrschten Riesengebildes fühlt, dessen eifersüchtiger Einheitsgott, der alle Rechte (aber keine Pflichten) für sich in Anspruch nimmt und die Welt ständig in Kriege, finanzielle Desaster und Armut führt, das Zepter führt. Da bleiben wirklich nur noch das Fernbleiben vom globalen Gottesdienst und der Kirchenaustritt. Die damit verbundenen Höllenstrafen können in ihren Auswirkungen nicht so gross wie beim Verharren in der Wertegemeinschaft mit ihren im Zerfall begriffenen Werten sein. Und so plädiere ich denn im Anklang an den Atheismus für einen neuen Aglobalismus (Antiglobalismus), für eine Befreiung vom Glauben an einen falschen, allmächtigen Gott in New York oder Washington, der nur in seine eigene Tasche wirtschaftet, das heisst von einer Abkehr von der schleichenden Katastrophe Globalisierung, die nicht funktioniert und nur Trümmer auf ihren Schlachtfeldern liegen lässt. Es wäre gleichzeitig eine Abkehr von der Unterwerfung unter die Ideologie, wonach das politische Handeln nur als Anpassung an die Gesetze des Weltmarkts und der USA stattfinden kann.
 
Die neoliberale Globalisierung, wie sie von Think-Tanks propagiert und von den unbedarften Medien nachgebetet wurden, erleidet ohnehin gerade den totalen Schiffbruch. Die grossen, verherrlichten und als besonders gescheit empfundenen Vordenker, die einfach Globalisierungsturbos waren, schauen gerade etwas belämmert aus ihrer Wäsche. Sie sind in die Schandecke verwiesen, so dass man von ihnen im Moment kaum noch belästigt wird. So wäre die Gelegenheit jetzt also günstig, mit den schweren Lecks im Schiffsrumpf zu neuen, rettenden Ufern aufzubrechen – zum Beispiel zum Offshore-Paradies Cayman Islands.
 
Lob auf die Kaimaninseln
Es erscheint auf den ersten Blick als Treppenwitz der Schweizer Wirtschaftsgeschichte, dass ausgerechnet die seriöse Schweizerische Nationalbank SNB wegen der faulen UBS-Kredite, die sie horten muss, bis sie total verfault sind, ausgerechnet auf den Cayman Islands eine Auffanggesellschaft einrichten wollen. Das trug ihr schwere Kritik ein, und die Sache ist wieder in Frage gestellt.
 
Der Nationalbank-Plan bedeutet mit anderen Worten, dass diese 3 kleinen, sympathischen Kaimaninseln, südlich von Kuba in der Karibik gelegen, für Anleger bessere Bedingungen noch als die Schweiz haben. Sie haben von den englischen Besatzern 1962 den Status einer Kronkolonie erhalten, werden vom kriegerischen England aus zwar noch immer militärisch beherrscht, dürfen sich aber im Inneren selber verwalten und gestalten, also Selbstverwirklichung betreiben.
 
Sie sind offshore, das heisst abgelegen, gewissermassen verlassen und vergessen, nicht in die Globalisierung eingebunden, also Paradiese, um es mit einem Wort auszudrücken. Solche Offshore-Oasen sind etwa Andorra, die Bahamas, Panama, Luxemburg, die Bermudas, die Seychellen, Vanuatu, Bahrain, Costa Rica und viele, viele andere. Sie haben niedrige und im Idealfall keine Steuern, dafür ein intaktes Bankgeheimnis, das den Namen verdient, kennen die Korruption praktisch nicht und bieten eine hohe Rechtssicherheit, eine politische Stabilität, und der Bildungsstand ist meistens hoch, weil das Geld in Schulen statt auf Schlachtfelder fliesst. Offshore-Zentren sind also ziemlich das Gegenteil der USA, in der sich die Korruption bis in die Wahlpolitik hinein zieht, ein Heer von Geschäftemacher-Juristen das Recht nach allen Seiten verbiegen und die Bildung zunehmend abgeschafft wird.
 
Selbstverständlich wird es nicht ausbleiben, dass Offshore-Paradiese von Geschäftemachern aus der neoliberalen Welt für ihre Zwecke missbraucht werden, über die Steuerminimierung hinaus bis zur Verschleierung krimineller Machenschaften, wodurch sie in einen schlechten Ruf geraten. Und so kommen auch sie um gewisse Regulationen nicht herum. Doch die hinter ihnen stehende Idee erinnert an die in der Südsee herrschenden Zustände, bevor europäische raffgierige Mörder, Ausbeuter und Kolonisatoren dort aufkreuzten, denen Missionare den Weg bereitet hatten.
 
Die Deregulierung
Die Geschichte mit dem Regulierungsbedarf ist ebenfalls einer Betrachtung wert. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs um die 1990er-Jahre wurde das Allheil in der konsequenten Deregulierung geortet: Wirtschaftsprimat. Der Staat, der wenig Talent für ein vernünftiges Wirtschaften hat, durfte noch günstige Rahmenbedingungen bereitstellen, hat also noch eine gewisse untergeordnete Hilfsfunktion für die Geschäftemacher. Und die Wirtschaft würde sich schon selber regeln, war der Grundtenor. Die Gewinnscheffler erfanden immer neue Tricks, zum Beispiel Konkurse, die absolut salonfähig wurden und ermöglichten, das Scheffeln und die Misswirtschaft auf Geldgeber und Lieferanten aller Art abzuwälzen. Dann konnte man, vorerst schuldenfrei, neu beginnen und das Spiel von vorne beginnen.
 
Nicht nur Geschäftsinhaber, sondern auch Private konnten sich an diesem Spiel des Lebens auf Krediten, die man nicht zurückzahlen konnte und wollte, beteiligen. In den USA wurde das Schuldenmachen zum vorherrschenden Bestandteil des Way of Life bewusst gefördert, was zu einem neuen Wirtschaftswunder führte. Selbst mit den zu Paketen gebündelten und von Ratingagenturen ausgezeichneten Schuldbriefen konnte man noch Geschäfte machen. Die neoliberal erzogenen Kinder in der westlichen Welt (einer auf materielle Werte ausgerichteten Wertegemeinschaft), welche die Grossunternehmen auf ihre pubertäre Art führten, fielen darauf herein, hofften, wie beim Schneeballeffekt, selber Geschäfte zu machen und andere hereinlegen zu können.
 
Ein Teil des von der UBS ergatterten Schuldensondermülls soll nun auf den Cayman Islands entsorgt werden. Aber die Kosten bezahlen nicht die weisen Caymanesen, sondern die Völker, deren Banken auf den USA-Schrott hereingefallen sind. Genau dieser Skandal führt nun dazu, dass sich ein Ende der liberalisierten Wirtschaftsweise, vorerst im Bankensektor, abzeichnet: Wer wegen seiner Dummheit mit Milliardenbeträgen unterstützt werden muss, darf sich nicht wundern, wenn er sich an Verhaltensvorschriften der Geldgeber halten muss, damit er keinen weiteren gravierenden Schaden mehr anrichten kann. Es muss wieder reguliert werden. Das bedeutet, wenigstens in einem Teilbereich, das Ende der freien Marktwirtschaft nach US-Muster. Man nähert sich offensichtlich dem Kommunismus an: Wenn schon alle gemeinsam für Schäden bezahlen müssen, so sollen auch alle gemeinsam an allfälligen Gewinnen beteiligt sein, sofern solche in einem kommunistischen System überhaupt noch denkbar sind.
 
Die traurige Geschichte läuft in dieser Richtung weiter, zumal die Ursachen des neoliberalen Desasters noch immer nicht erkannt sind und nicht diskutiert werden. Die Lösung könnte nur in einem Zurück zu regionalen, überschaubaren Einheiten ohne Einbindung in ein globales System bedeuten. Die Verblendung aber scheint jede Klarsicht zu verhindern. Noch immer. Nach alledem, was passiert ist und soeben passiert.
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. CHF 37.20, EUR 24,10.
 
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