Textatelier
BLOG vom: 09.08.2008

Der Maulwurf, der in meinem Garten sein Erdhaus errichtete

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Vor unserem Haus haben wir unter einem kraftstrotzenden Nussbaum ein kleines Sitzplätzchen mit einem Kalksplittbelag. Dort waren plötzlich 3 runde Hügel aus feinkrümeligem Humus. Ich dachte, da habe meine Frau die Erde aus Pflanzentöpfen am denkbar dümmsten Ort platziert. Dasselbe dachte sie von mir.
 
Da wir beide unsere Unschuld beteuerten, fanden wir des Rätsels Lösung schnell: Ich habe vor wenigen Tagen einen Maulwurf, aus einem etwas vertieften Seiteneingang mit Treppe gerettet – ein gesundes, vollgefressenes Exemplar von etwa 15 cm Länge mit dunkelgrauem Pelz und merkwürdigem, stromlinienförmigem Kopf, der zu einem Rüssel mit einem unterständigen Maul ausgezogen ist. Die Treppenstufen waren ihm zu hoch.
 
Was für eine Rarität! Aber eine besondere Schönheit ist der Maulwurf nicht, eher ein Pelzknäuel. Von aussen erkennbare Ohren sind nicht vorhanden, wohl aber kleine Augen, die im Fell verborgen sind und die hervorgedrückt und zurückgezogen werden können. So betrachtet der Maulwurf also hauptsächlich sein Fell, wie ich daraus schloss. Erstmals in meinem Leben habe ich einen Maulwurf aus nächster Nähe beobachten können. Vom walzenförmigen Leib stehen die Beine ziemlich waagrecht ab.
 
Mit einem Holzbrett baute ich ihm eine Rampe, die er sofort nützte und hinter einem Stein im Kräutergarten verschwand. Also hat er trotz seiner versteckten Augen eine gute Beobachtungsgabe. Aber Einzelheiten kann er nicht erkennen; ihm genügt die Unterscheidung von Hell und Dunkel. Er würde also eher die „NZZ“ oder die „FAZ“ als die „Bunte“ abonnieren.
 
Kaum 2 Tage nach meiner Befreiungsaktion baute das Tier, das sich in der lateinischen Sprache Talpa europea Linnaeus nennt, seine eingangs erwähnten 3 Hügel, eine Miniaturausgabe der Tuma im Rheintal in Domat/Ems GR. Er hat dafür einen der wenigen Bereiche unseres Grundstücks gewählt, das nicht aus Kalksteinen und schwerem Lehm besteht, sondern aus gut zu verarbeitender, humoser Erde, die ich selber dort eingebracht habe.
 
Eva, die ihn beim Bauen in flagranti erwischte, hat mich mit Gesten und dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Lippen – also zur vollkommenen Ruhe ermahnend – zur Baustelle des Erdarbeiters gelockt, in der Annahme, ein Gehör müsse doch vorhanden sein, selbst wenn äussere Ohrmuscheln fehlen. Sie liegt richtig: Die Ohren sind wie die Augen ins Fell eingebettet, da sie ja sonst beim Fortbewegen in der Erde aufgeschürft würden. Der Maulwurf kann die Ohrlöcher verschliessen und soll hervorragend hören. Auch sein Geruchssinn ist vortrefflich ausgebildet.
 
Infolgedessen ist seine Konstruktion auf seine Kernkompetenz des Erdwerfens ausgerichtet. Und dabei konnten wir von aussen zusehen: Der 3. Maulwurfshügel wuchs von unten an, ohne dass wir unser neues Haustier sahen. Laut der zoologischen Literatur bohrt der Maulwurf seine Schnauze ins Erdreich ein und schaufelt die beim Graben mit den zu Grabhänden ausgebildeten Vorderpfoten angefallene überflüssige Erde auf sich und drückt sie durch ein Hochrucken von Kopf und Nacken ins Freie, und so entsteht dann ein Maulwurfshügel.
 
Als sich unser Hügel von unten anhob – man spürte die wirkenden Kräfte förmlich –, brachte sich in etwa 10 cm Distanz ein Prachtsexemplar von einem Regenwurm in Sicherheit. Es fluchtschte in Panik förmlich aus der Erde heraus und kroch eilig davon. Die Erklärung dafür besteht darin, dass sich die sehr gefrässigen Maulwürfe zu etwa 90 % aus Regenwürmern ernähren, und das wissen die Würmer natürlich ganz genau. Sie sind ja nicht blöd. Sie wissen selbstredend auch, dass er ihnen gegebenenfalls den Kopf abbeisst und sie frisch in seinen Höhlen speichert, bis sich sein Appetit wieder meldet – und der ist gross, sozusagen ein Dauerzustand. Der Rest seines Tisches deckt sich der Erdwerfer mit Insektenlarven, Drahtwürmern, Asseln, Schnecken und dergleichen Leckerbissen. Auch meine Zauneidechsen scheinen gefährdet zu sein.
 
Alfred Brehm hat den Maulwurf als „ein im Verhältnis zu seiner Grösse wahrhaft furchtbares Raubthier“ verunglimpft; ich staune oft, wie despektierlich einzelne Zoologen mit Tieren umgehen. Aus Brehms Maulwurfstudie: „Er ist wild, ausserordentlich wüthend, blutdürstig, grausam und rachsüchtig, und lebt eigentlich mit keinem einzigen Geschöpfe im Frieden, ausser mit seinem Weibchen, mit diesem aber auch bloss während der Paarungszeit, und so lange die Jungen klein sind. Während des übrigen Jahres duldet er kein anderes lebendes Wesen in seiner Nähe, am allerwenigsten einen Mitbewohner in seinem Baue, ganz gleichgültig, welcher Art dieser sein möge. Falls überlegene Feinde, wie Wiesel oder Kreuzotter, seine Gänge befahren, und zwar in der Absicht, auf ihn Jagd zu machen, muss er freilich unterliegen, wenn er auf diese ungebetenen Gäste trifft; mit ihm gleich kräftigen oder schwächeren Thieren aber kämpft er auf Leben und Tod.
 
Nicht einmal mit anderen seiner Art, seien sie nun von demselben Geschlecht wie er oder nicht, lebt er in Freundschaft. Zwei Maulwürfe, die sich ausser der Paarungszeit treffen, beginnen augenblicklich einen Zweikampf miteinander, welcher in den meisten Fällen den Tod des einen, in sehr vielen anderen Fällen aber auch den Tod beider herbeiführt. Am eifersüchtigsten und wüthendsten kämpfen erklärlicherweise zwei Maulwürfe desselben Geschlechts miteinander, und der Ausgang solcher Gefechte ist dann auch sehr zweifelhaft. Der eine unterliegt, verendet und wird von dem anderen sofort aufgefressen. So ist es sehr begreiflich, dass jeder Maulwurf für sich allein einen Bau bewohnt und sich hier auf eigne Faust beschäftigt und vergnügt, entweder mit Graben und Fressen oder mit Schlafen und Ausruhen. Fast alle Landleute, welche ihre Betrachtungen über das Thier angestellt haben, sind darin einig, dass der Maulwurf drei Stunden ,wie ein Pferd’ arbeite und dann drei Stunden schlafe, hierauf wieder dieselbe Zeit zur Jagd verwende und die nächstfolgenden drei Stunden wieder dem Schlafe widme.“
 
Brehm hielt offenbar auch auf Regenwürmer keine grossen Stücke: „Es lässt sich nicht leugnen, dass der Maulwurf durch Wegfangen der Regenwürmer, Maulwurfsgrillen, Engerlinge und anderer verderblicher Kerbthiere grossen Nutzen stiftet, und er wird deshalb an allen Orten, wo man seine aufgeworfenen Haufen leicht wegschaffen kann, immer eines der wohlthätigsten Säugethiere bleiben. Allein ebenso gewiss ist, dass er in Gärten nicht geduldet werden darf, weil er hier durch das Durchwühlen der Erde, aus welcher theure Pflanzen ihre Nahrung ziehen, oder durch das Herauswerfen der letzteren den geordneten Pflanzenstaat wesentlich gefährden kann.“
 
Mich aber stört der massenhafte Verzehr von Regenwürmern; denn es sind ja meine wichtigsten Helfer im Garten, was ich bisher von Maulwürfen nicht behaupten kann.
 
Der Maulwurf ist ans Leben im Erdinnern ausgezeichnet angepasst. Dort baut er seine Tunnels, seine Quergänge und seinen Wohnkessel, den er mit Gras, Moos und Laub gemütlich auspolstert und wo das Weibchen nach einer vierwöchigen Tragzeit seine 2 bis 7 Jungen zur Welt bringt. Das spielt sich 10 bis 30 cm unter der Erdoberfläche ab. Der Frühling, das heisst die Zeit zwischen Februar und Mai, ist die Zeit der Paarung – und so nehme ich an, dass sich unter meinen Hügeln nun das Geburtshaus befindet. Selbstverständlich werde ich das Idyll nicht stören. Nach etwa 5 Wochen werden die Jungen das Nest verlassen und dann eigene Grabarbeiten erledigen.
 
Das „Maul“ im Wort „Maulwurf“ hat nichts mit dem Maul zu tun, sondern mit Molte, was Erde bedeutet, in der Schweizer Mundart auch durchnässter Dreck. Dieses Säugetier wirft also Erde, und ich hoffe, dass ich auf seine aktive Mitarbeit zählen darf, wenn ich wieder einmal Grabarbeiten zu verrichten habe. Mit dem Paaren und Würmerfressen ist es nicht getan.
 
Falls er mich zu sehr ärgern und als nicht hilfsbereit erweisen sollte, werden ich mich neben die Maulwurfshügel setzen und ihm das Maulwurf-Kapitel aus Brehms Tierleben vorlesen, worin es heisst: Man kennt viele Mittel, um ihn zu vertreiben, thut aber jedenfalls am besten, wenn man letzteres einem alten, erfahrenen Maulwurfsfänger überträgt, da dieser bekanntlich auf jedem Dorfe zu finden ist, und die Kunst, ihn auszurotten, weit besser versteht, als Beschreibungen sie lehren können.“
 
Er wird die Warnung verstehen und sich dann wohl anständig benehmen. Dass es in Biberstein keinen Maulwurfsjäger mehr gibt, werde ich ihm nicht sagen.
 
Hinweis auf einen Gartenartikel mit Maulwurf-Bezug im Textatelier.com
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