Textatelier
BLOG vom: 28.02.2008

UBS: Gang via Canossa in eine hoffentlich bessere Zukunft

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das war der Tag der grossen Dimensionen, die mich gebührend beeindruckt haben: Bereits etwas gewöhnt hatte ich mich an die rund 21 Milliarden CHF (13 Mia. Euro), um welche die einstige Bankperle UBS von den Amerikanern betrogen worden ist. Ihr wurden faule Finanzpakete, die von den hinterlistigen US-Ratingagenturen als Helfershelferinnen mit dem berühmten AAA-Siegel veredelt worden waren, angedreht. Auch andere Banken in aller Welt krochen dem verfluchten Schwindel auf den Leim, obschon es frühzeitig warnende Stimmen gegeben hatte. Beides, der US-Raubzug, der zur grössten Finanzkrise seit dem Börsencrash von 1929 führte, und der Hereinfall darauf, ist unverzeihlich.
 
Der Gang in die Arena
Die Abrechnung für das inkompetente UBS-Verhalten fand am Mittwoch ab 10.15 Uhr in der St. Jakobshalle in Basel statt. Auch diese Jakobshalle hat nach meinem Empfinden Riesen-Dimensionen: Es ist eine architektonische Weiterentwicklung der Arenen, wie sie die Römer für ihre Gladiatorenspiele in allen ihren Herrschaftsbereichen bauten. Als ich um 9.40 Uhr, den UBS-Wegweisern folgend, dem Eingang zustrebte, war ich Teil einer ganzen Völkerwanderung.
 
Die Registrierung der eintreffenden Aktionäre ging zügig über die Bühne; das Vorweisen der Einladung genügte, weitere Kontrollen gab es nicht. Ich steuerte auf ein Fläschchen Mineralwasser und ein Gipfeli zu, wagte mich sodann in die dicht mit roten Plastikstühlen ausstaffierte Arena vor und fand zwischen einem impulsiven Mann mit slawischem Akzent und einer älteren einheimischen Aktionärin Platz, die gerade in einem Krimi las. Auf den Sitzplätzen stand je eine weisse Papiertasche mit einem süssen Ramseier Apfelsaft, Wasser, Sandwiches, Apfel, Banane, Marmorcake – ein Überlebenspaket, zusammengestellt in der Vorahnung einer längeren Versammlungsdauer.
 
Auf der grossen Schautafel über dem Podest der Hauptakteure tanzten als Vorprogramm ausgemergelte Balletttänzer, gelegentlich durch einen Schriftzug unterbrochen: „Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon aus und rauchen Sie nicht im Saal.“ Die Steilwände des Stadions füllten sich von unten nach oben mit Aktionären, eine lebende Tapete. Von unten sah es aus, als ob ein Abseilen nötig wäre.
 
In der Reihe direkt vor mir raffelte eine Aktionärin mit breitem Goldhalsband, wie man es in den Arabischen Emiraten kaufen kann, an einem Apfel; vergewisserte sich nach jedem Bissen, dass sie sich dem Kerngehäuse nicht allzu sehr genähert hatte. Der Sound, wie er von Apfelessern ausgeht, ruft bei mir jeweils eine Gänsehaut auf den Plan, und das Fürchterliche daran ist, dass man überhaupt nicht genau abschätzen kann, wann und ob dieses Raspeln je zu Ende sein würde; wer da gewisse Parallelen zur aktuellen Kreditkrise (Subprime-Krise = Kredite an Schuldner mit geringer oder fehlender Bonität) erkennt, liegt nicht schlecht. Doch ich hielt durch. Ich beobachtete die freundlichen uniformierten Platzanweiserinnen, die dafür sorgten, dass jede Lücke in den Stuhlreihen gefüllt wurde, genehmigte einen Schluck naturreinen Süssmosts aus der Plastikflasche. Eine sonore Stimme verkündete aus den Lautsprechern, dass die GV eine Viertelstunde später einsetzen würde, weil der Menschenstrom noch immer anhielt und inzwischen in eine Nebenhalle umgeleitet wurde. Inzwischen nahmen die UBS-Gewaltigen auf der Bühne an einem langen Tisch Platz.
 
Um 10.15 Uhr erschien der berühmte Marcel Ospel in mehrfacher Überlebensgrösse auf dem Schaubild; auch bei ihm ist alles etwas grösser, hat besondere Dimensionen: Die Erträge, der Verlust, der Lohn, die Kompetenzen, die Verantwortung. So blieben die Proportionen einigermassen augenscheinlich, so weit es die Ausmasse des Innenraums erlaubten. Der berühmte UBS-Manager und aktive, eingefleischte Basler Fasnächtler machte einen gefassten Eindruck. Ihn kann nichts, aber auch gar nichts mehr erschüttern, und für alle die Erschütterten in seiner Umgebung und aus der Anlegerwelt verspürt er ein abgrundtiefes Mitgefühl.
 
Marcel Ospel schaute vorerst einmal kritisch in die Runde; die Augenlider schienen etwas tiefer als sonst zu hängen. Er ist ein gewinnender Mensch, der auch verlieren und einstecken kann. Er begrüsste die Menschenmasse und stellte zur Begeisterung der um 10.20 Uhr anwesenden 6454 Personen, die 7,1 Mio. Aktien vertraten, fest, er werde die Redezeit der Diskussionsteilnehmer auf 5 Minuten beschränken; dann werde das Mikrophon abgestellt. Die Stimmung schien gerettet zu sein.
 
Gang nach Canossa
Dann hielt Ospel seine halbstündige, wohlgesetzte, langsam und deutlich vorgetragene Rede, ein psychologisches PR-Meisterstück mit dem Einbezug eines Gangs nach Canossa mit der damit verbundenen Portion Selbsterniedrigung. Er räumte die offensichtlichen Fehler der UBS-Führung bei der Behandlung bei der Hypothekarkrise in den USA (Ospel-Jargon: „Verwerfungen im US-Hypothekenmarkt“) ein, seine Kritiker entwaffnend: „Wir sind zutiefst enttäuscht, dass es uns nicht gelungen ist, die Marktsignale im amerikanischen Immobilienmarkt frühzeitig zu erkennen“, bedauerte Ospel und fand sich unter lauten Seinesgleichen. Dass sich in dem Amphitheater kein kollektives Wehklagen einstellte, ist beim heutigen Stand der exzessiven Betroffenheitskultur als ein Naturwunder zu betrachten. Und dabei habe die UBS den Ruf einer besonders vorsichtigen, ja risiko-aversen Bank gehabt, fuhr der Vorsitzende weiter. Er sagte auch noch, es stehe ausser Frage, „dass wir gewisse Entwicklungen falsch beurteilten“, und selbstverständlich war dies die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, mindestens auf der Ebene des reinen Ramseier Apfelsafts.
 
Selbst den im Raume umherschwirrenden Forderungen nach seinem Rücktritt ging Ospel nicht aus dem Wege. Verantwortung heisse auch Verpflichtung, Loyalität, Ausdauer und Mut, auch wenn man im medialen Gegenwind stehe, sagte er. Dabei vergass er nicht, auf seine früheren Erfolge hinzuweisen: Innert 10 Jahren habe die UBS 66 Mia. CHF erarbeitet. Und jetzt das!
 
Keine Sonderprüfung, aber Geld aus Singapur
Nach dieser Einstimmung wurde das Traktandum 1 in Angriff genommen: Auskunftsbegehren und Antrag auf Sonderprüfung, welcher von der Schweizerischen Stiftung für nachhaltige Entwicklung („Ethos“) eingereicht worden war. Die Antwort auf die entsprechenden Fragen lag als 37 Seiten umfassende Broschüre, obzwar mit viel Weissraum, vor, deren Verlesung etwa 2 Stunden in Anspruch genommen hätte. Wenn immer ein Aktionär dies verlangt hätte, wäre der Tag gewesen, was er ohnehin war: gelaufen. Um Haaresbreite ging dieser Kelch an uns ohnehin genügend malträtierten Aktionären vorbei. Und somit konnte die nachfolgende Zeit zum Diskutieren über Sinn und Unsinn einer Sonderprüfung genützt werden.
 
Rund 50 Referenten hatten sich eingeschrieben; ich rechnete hoch, dass das inkl. Antworten vom Podest mindestens 4 Stunden dauern würde (die Rechnung ging auf) und hörte mir ein Votum nach dem anderen an. Ein Referent fragte, ob der UBS-Verwaltungsrat die Prüfung aus der eigenen Tasche berappe. Und immer wieder kamen die hohen Boni zur Sprache: Das Geld aus Singapur werfe man ja in einer ähnlichen Grössenordnung gleich für Boni auch an die Versager gleich wieder hinaus. Ein Bonus-Malus-System wäre sinnvoller. So gehe es doch nicht. Auch der Hinweis auf den Verlust der besten Leute, wenn man die Boni kürzt, ist bei der grossen Anzahl arbeitsloser Bankmanager längst obsolet.
 
Besonders eindrücklich war das Referat von Brigitta Moser, das solche Feststellungen enthielt, die Krisenmechanismen aufzeigte und belegte, dass man die Hypokrise durchaus hätte voraussehen können – sie hatte bereits im März 2007 darauf hingewiesen, doch der „atomare Abfall“, Resultat der Lockvogelangebote vonseiten der US-Banken, wurde weiterhin gekauft (der UBS-Verwaltungsrat kam erst im Spätsommer 2007 dahinter). Ich selber habe am 27.03.2007 ein Blog zur Hypothekenkrise publiziert: Dubioser US-Immobilienmarkt: Alles Faule kommt von drüben. Das Drama dauert an: Möglicherweise verlieren 2008/09 etwa 2 Mio. Amerikaner ihr Eigenheim.
 
Es gab Beiträge mit kabarettistischem Charakter, wie es sich für Basel gehört, andere mit vernichtenden Urteilen. Marcel Ospel hörte sich die Kritiken mit stoischer Ruhe an, dankte jedem Referenten besonders, auch wenn dieser seinen umgehenden Rücktritt gefordert hatte. Er mochte niemandem böse sein. Und schliesslich, nach 3 Stunden Gebrauch, waren, die Batterien der handyartigen Empfänger des Verwaltungsrats leer. Die Versammlung musste um etwa 13.10 h zum Aufladen der Batterien unterbrochen werden. Alle Ausgänge waren sogleich von langen Menschenschlangen belegt, und ich hatte von dieser trostlosen Sporthallen-Atmosphäre genug. Ich packte meine Unterlagen, den Apfel und das Kuchenstück zusammen und kämpfte mich zum Ausgang vor.
 
Aus dem Radio erfuhr ich dann, dass ich einen kleinen Tumult um Thomas Minder, dem Initianten der am Vortag eingereichten Abzocker-Initiative, verpasst hatte. Er soll nach einer wüsten Beschimpfung Ospels als „Versager des Jahrhunderts“, der UBS-Spitze als „Club der Abzocker“ und des UBS-Geschäftsgangs als „ein Riesenskandal“ aufs Podest gegangen sein, um dem Vorsitzenden Ospel ein Buch (das „Obligationenrecht“ mit den Angaben über die Verwaltungsratspflichten) zu schenken. Sicherheitsleute griffen ein, führten ihn ab, und Marcel Ospel schritt besänftigend und entschuldigend ein. Immerhin war jetzt endlich der Beweis erbracht, dass das UBS-Sicherheitsdispositiv funktioniert.
 
Nachdem daran kein Zweifel mehr bestand, lehnten die Aktionäre die Sonderprüfung der Vorgänge im Rahmen der Hypokrise mit 363:314 Mio. Stimmen relativ knapp ab. Der Bank dürfte dies gut tun, zumal die Untersuchung auf Jahre hinaus immer wieder am UBS-Image gekratzt und alte Wunden aufgerissen hätte. Auch der Entgegennahme der 13 Mia. CHF aus Singapur und Umgebung wurde angenommen – mit einer Zweidrittelsmehrheit. Sie ermöglicht der Bank, sich wieder aufzufangen und Ertragsboden gutzumachen.
 
Im US-Würgegriff
Vielleicht kommt es zu einer verstärkten Zuwendung nach Asien statt nach den USA. Wenn das Bush-Kriegsregime zusammen mit der Hypo- und Kreditkartenkrise wenigstens dazu geführt hätten, die US-Gaunereien endlich, endlich kritischer zu beobachten, wäre das schon etwas wert. Die UBS ist von US-Leid geplagt genug: Sie ist nach der Hereinlegung durch die Amerikaner mit ihrem Subprime-Schrott gleich noch in deren Würgegriff geraten. Laut „Wall Street Journal“ hat die US-Börsenaufsicht SEC eine Strafuntersuchung gestartet, die feststellen soll, ob die UBS ihre Kunden übervorteilt habe. Und ein Anwalt namens David Rosenfeld bereitet in den USA eine der weltberühmten Sammelklagen vor und hofft auf Hunderte von Millionen, wie gehabt. Und auch Swiss Re soll wieder via Sammelklage geplündert werden.
 
Wie wir laufend von den USA übervorteilt und bestohlen werden, untersucht kein Mensch, schon gar kein US-Anwalt. Wir nehmen all die Schwindel, all die Betrügereien hin und üben uns dafür in Selbstzerfleischung. Mir ist die UBS sympathischer als die US-Diebe: Man kann ihr zwar Naivität, Gutgläubigkeit vorwerfen, aber sicher kein kriminelles Verhalten. Die Verteufelung findet in der Amerika-hörigen Schweiz eindeutig auf der falschen Seite statt.
 
Das Marmorkuchenstück, das ich aus Basel heimgebracht habe und das ich zu einer Tasse Beruhigungstee geniessen wollte, blieb mir im Halse stecken, als ich mir solche grösseren, globalen Zusammenhänge noch einmal in Erinnerung rief. Und ich nahm ebenfalls bei einer Verwerfung Zuflucht – der Verwerfung der Gedanken an die amerikanischen Falschspielertricks, aus Gründen des Selbstschutzes.
 
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