Textatelier
BLOG vom: 06.06.2007

Meine Zuflucht beim Igel: Der Welt den Rücken gekehrt

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Ich kann hier in London die Tageszeitung kaum mehr lesen: Wiederum wurde eine junge Frau in einem Wäldchen bei Watford ermordet aufgefunden. Kleinkinder müssen im Garten eingezäunt bleiben, sonst werden sie geraubt, missbraucht und ermordet.
 
Ein City-Millionär wurde aufgegriffen und beschuldigt, sein 2-jähriges Töchterchen brutal zusammengeschlagen zu haben. Genug ist genug. Ich muss Abstand nehmen und ganz banal und über etwas anderes schreiben.
 
Der Hausigel
Dieser Igel hat sich in unserem Garten eingenistet und fühlt sich dort wohl zwischen Baumstrünken, Büschen und Hecken. Sie sind sein Jagdrevier, wozu auch der Gemüsegarten gehört. Seitdem er bei uns wohnt, befreit er den Salat von Schnecken, genau nachtsüber, wenn viel Schneckenbetrieb ist. Trage ich spätabends den Kehrichtsack zur Gartentüre, begegne ich ihm öfters auf dem Gartenweg. Ganz am Anfang dachte ich – es war dunkel – er sei ein Fussball. Ich stupfte gegen ihn mit dem Fuss. Ich trug Sandalen und merkte sofort, dass dieser vermeintliche Fussball Stacheln trug. Wo schläft er tagsüber? Ich habe meine Suche nach ihm aufgegeben. Soll er schlafen, so lange und wo immer er will, solange er seine Nachtschicht antritt und mit den Schnecken aufräumt.
 
Bleibe er in unserem Garten, denn auf der Strasse würde er sogleich überfahren. Der Igel ist eher ein Einzelgänger, wie ich (manchmal) auch. Er tut niemand etwas zuleide und sollte schon deswegen respektiert werden.
 
Er wird uns nicht davonlaufen, denn die Nachbargärten sind alle manikürt. Dort gibt es wenig zum Fressen. Jetzt, da unser Rasenmäher kaputt ist, erweitert sich sein Jagdrevier, weil das Gras hochschiesst. Nach dem Regen kommen die Würmer an die Oberfläche: Der Igel kriegt seinen Festschmaus. Auch der Komposthaufen ist nach dem Regen ein gefundenes Fressen für ihn.
 
Die Hauskatze
Eine Hausekatze tummelt sich ebenfalls in unserem Garten. Sie ist nicht unsere Hauskatze und tut nur so, als ob sie unsere sei. Wenn sie hungrig ist, kriegt sie ihr Katzenfutter anderswo. Tagsüber bezieht sie gerne ihren Schlafplatz unter den  ausgebreiteten Zweigen einer niedrigen Tanne. Darunter ist es trocken und an sonnigen Tagen erst noch warm. Hoffentlich begegnet sie dort nicht dem Igel. Ihre Samtpfoten sind empfindlich. Die vernünftige Katze geht dieser Begegnung aus dem Weg und sucht sich eine andere Schlafstätte.
 
Die Vögel
Eben, kurz vor 2 Uhr, meldet jubilierend die Amsel, dass ihre Mittagspause vorbei sei. Ich weiss: meine auch. Unser Garten hat viele Vögel angelockt. Mitsamt den Marienkäferlein räumen sie mit den Blattläusen auf. Ich brauche sie nicht länger mit den Fingern abzustreifen. Die Rosen blühen, am schönsten die Wilden, wenn sie sich durch die Hecken hochranken. Dort in den Hecken sind viele Vogelnester versteckt. Für Nachwuchs ist gesorgt.
 
Das Eichhörnchen
Ich mag die grauen „Baumratten“, Einwanderer aus Kanada, keineswegs. Sie haben die putzigen roten Eichhörnchen verdrängt. Meine Einstellung jedoch änderte sich gestern. Im grossen Keramikkübel aus Thailand entdeckte ich eine ertrunkene Baumratte und fühle mich an ihrem grausamen Tod schuldig. Ich hätte diesen Kübel bis zum Rand mit Wasser auffüllen sollen. Sie war über den Rand in den Tod gerutscht. Die vielen Kratzspuren zwischen der mit Algen überzogenen Innenwand des Gefässes verrieten mir, dass sie lange und umsonst um ihr Leben gekämpft haben musste. Ich schirme jetzt diese Todesfalle mit einem Drahtgeflecht ab.
 
Der Hirschkäfer
Es gibt ein anderes Drama, an dem ich nicht schuldig bin. Und es steht mir nicht an, dafür die Natur anzuklagen. Wir haben viel altes Holz im Garten gestapelt: Die Wiege der Hirschkäfer. Nach langer Verpuppungszeit verlassen sie jetzt an lauen Abenden ihr Nest und fliegen ungelenk herum. Die Vögel haben es auf diesen Happen abgesehen. Der ungeschütze Bauch dieser Käfer wird aufgepickt. Übrig bleibt zuletzt bloss das „Fahrgestell“, das sinn- und zwecklos weiterzappelt.
 
An diesem Punkt angelangt, muss ich jetzt auch meinem geliebten Garten den Rücken kehren. Für heute wenigstens – und einen Dichterband aus meiner Bibliothek zum Verweil pflücken.
 
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