Textatelier
BLOG vom: 10.02.2007

Eine Augenweide: Kinderbücher aus der guten alten Zeit

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Am Donnerstag, 8. Februar 2007, schneit es tüchtig: einer der stärksten Schneefälle seit Jahren in London. Wie still und friedlich sich die weiss bewipfelten Sträucher und Äste meinen Augen darbieten! Immer wieder schüttelt sich ein vom Schnee überlastetes Zweiglein und schnellt von der Last befreit hoch.
 
Auch mein Gemüt ist heute entlastet. Wahllos zupfte ich einige alte bebilderte Kinderbücher aus meinen Büchergestellen und trage die Beige hoch in meine Schreibbude. Diese haben sich über die Jahre bei mir angesammelt. Viele sind im argen Zustand, von Kinderhänden durchpflügt. Das freut mich und beweist, dass einst Kinder daran ihre Freude gehabt haben.
 
Eltern und Grosseltern legten solche Kinderbücher mit Widmungen unter den Weihnachtsbaum. Kriegten die Kleinen obendrein eine Schachtel mit Farbstiften, sind die Folgen auf vielen Seiten nachverfolgbar. Kinderhände bleiben nicht lange müssig. Solche Kinderbücher sorgten für Spass und Unterhaltung während der langen Wintertage.
 
„Bettzeit“, ermahnt die Mutter. Der Protest der Kleinen lässt erst mit dem Versprechen einer Bettgeschichte nach. Heute bringt man die Kinder kaum mehr vom Fernseher weg. Nein, ich will heute mein Gemüt nicht mit Hinweisen auf schlechte und für Kinder ungeeignete Programme belasten, die ihre Vorstellungsgabe untergraben.
 
Ich glaube, dass besonders englische Kinderbücher aus der viktorianischen Zeit unübertrefflich sind. Farbdrucke von bekannten Illustratoren bereichern und ergänzen die Texte dieser vortrefflich gestalteten Kinderbücher.
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Ich beginne mit meinem letzten – stark zerschlissenen – Fund, erst am letzten Samstag von mir aufgestöbert, achtlos in einer Schachtel unter einem Verkaufstisch auf dem Flohmarkt verbannt. Alle 56 Seiten klebte ich am frühen Sonntag wieder in den Buchrücken – jede ist toll illustriert. „At Home“ heisst dieser Titel, und das Buch zeigt, wie Mädchen und Buben die Rollen von Erwachsenen spielen.
 
Geoffrey steht mit der Zeitung „The Standard“ vor dem Kamin, während Rose den Frühstückstee in die blauen Tassen giesst. Sie sitzt am Platz ihrer Mutter und fragt Geoffrey, wie es ihre Mutter tut: „Well what have you there, dear? What news, love, to-day?“ Pussy, die Katze, rekelt sich dabei vor dem Kaminfeuer. Geoffrey blättert und findet den Artikel: Ah! Good, here I have it – Debate on Home Rule.“ Wie zeitgemäss, denn genau diese politische Debatte dauert bis heute an. Den Buchschmuck besorgten J.G. Sowerby und Thomas Crane (der Bruder des berühmten Kinderbuchillustrators Walter Crane). Dieses anmutige Werklein wurde von Marcus Ward & Co. anno 1881 gedruckt. Davon gibt es heute wieder viele Nachdrucke.
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Kate Greenaway gilt wohl als die bekannteste Kinderbuch-Illustratorin. Diesmal blättere ich in meinem tadellos erhaltenen Exemplar einer frühen Ausgabe (um 1885). „Mother Goose“ heisst es und wurde von Frederick Warne veröffentlicht. Auf dem Rasen vor dem Haus spielt Tom auf seiner Flöte zum Maitanz junger Mädchen auf, und ist von diesem Vers begleitet: 
Tom, Tom, the piper’s son,
He learnt to play when he was young,
He with his pipe made such a noise,
That he pleased all the girls and boys.
Mit dem Aufdruck „untearable” (unzerreissbar) heisst dieser Leinenband, von Dean & Son Ltd. herausgegeben, „Happy Times“. Dennoch ist es einem Bingis gelungen, eine halbe Seite herauszureissen. Der mir unbekannte Illustrator hat die ganzseitigen Farbillustrationen mit den Initialen N.W. unterzeichnet. Heute habe ich seinen Namen entdeckt: N. Westrup. Jedem Farbdruck ist eine Seite zum Bemalen beigegeben. Die Illustrationen sind betitelt: Oranges and Lemons, Ring a ring of roses, Kiss in the ring. Ein einziges Blatt nur – Hide and seek – war von Kinderhand sehr sorgfältig bemalt.
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Der „Cinderella“ haben sich viele Illustratoren angenommen. Eines davon hat der Plakatkünstler Hassall geschmückt, vom Kinderbuchverlag Blackieand Son Limited herausgegeben. Buchgeschenke wurden damals an gute Schüler vergeben. In diesem Exemplar war ein mit Goldschrift bereichertes Exlibris eingeklebt mit der Aufschrift:
„Awarded to Clifford Mackay for Conduct & Progress, Belmont Road Infts (Kindergarten), March 1910“ – als Preis für gutes Betragen und Fortschritt. (Mein eigenes Betragen hätte sich mit einer solchen Auszeichnung gewiss beachtlich verbessert …)
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Die Erstklässler hatten es damals gut. Sie erhielten etwa ein bunt illustriertes Lesebuch betitelt „Our Darling’s First Book“. Die Zeichnungen stammen von Sybil Scott und das „Lehrbuch“ wurde wohl um 1900 publiziert.
Heute werden den armen Kleinen immer wieder neue Techniken aufgetischt, wie sie den Buchstaben beikommen sollten. Warum die altbewährten und amüsanten Methoden über Bord werfen? Unsere Söhne sind nach der alten Art zu Lesern geworden, und beide haben ihr Literaturstudium erfolgreich bestanden. 2 Beispiele aus diesen Werk mögen veranschaulichen, was ich meine:
 
Please to find a little a in the middle of a tray.
 
Put a to m, and it is..............am (bin)
And add a j, and it is............jam (Konfitüre)
 
Dazu kann ich bloss sagen „Happy Little Scholars!”
 
Jetzt schneit es nicht mehr – und meine Blog-Pause ist vorbei. Diese Kinderbücher werden jetzt wieder in ihre Gestelle eingereiht.
 
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