Textatelier
BLOG vom: 07.12.2006

Zwang und Druck, Ach und Krach sowie Schlaglöcher

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Folgende Begebenheiten, teils aus 1., teils aus 2. Hand aus dem Leben gegriffen, möchte ich in dieses Blog aufnehmen:
 
Der untaugliche Tänzer
Diese Geschichte verdanke ich einem französischen Bekannten:
 
„Es gibt Leute, die am besten unter Zwang und Druck handeln. Das wirkt bei mir ganz und gar nicht. Damals nicht und heute noch viel weniger.“
 
„Genau so empfinde ich auch“, bemerkte ich.
 
„Als wir uns damals Weihnachten näherten, erinnerte ich mich an die Einladung, als Mittänzer in einem kleinen Theaterspiel aufzutreten“, fuhr er fort. „Das ist doch eine Ehre“, ermunterten mich meine Eltern.
 
„Also ging ich die 3 Stockwerke hinauf zur Dame, die unseren Auftritt vorbereitete. Der Teppich war aus dem Raum entfernt, die Dielen gebohnert. Sie setzte den Tonarm auf und machte uns die Tanzschritte vor, die wir als ,Zwerge’ einüben mussten. ,Den linken Fuss einen Schritt voraus, den 2. rechten Fuss nachziehen, dann diesmal den rechten vorsetzen und den linken nachziehen, immer im Takt zur Musik’, leierte sie. Dabei mussten wir beide Arme auf die Schultern des vorderen Zwergs legen und den Tanz im Kreis vollziehen.
 
Ich fand diese Gangart blöd und fiel immer wieder aus Schritt und Tritt. ‚Kannst du denn nicht Schritt halten?’ rügte mich die gute Frau und schritt neben mir. ‚Schau mir zu und mach’s nach!’ Nach einer Stunde entliess sie die Schar und forderte mich auf, diese Schrittart zuhause zu üben. Nun aber hatte ich einen Widerwillen und wollte meine Zeit nicht mehr mit solchen blödsinnigen Schritten vertrotteln.
 
‚Noch immer nicht kapiert?’ wandte sich die gute Frau bei der 2. Probe ungehalten an mich. Ohne ein Wort zu sagen, ging ich zum Korridor und verschwand mit meiner Jacke in den winterkalten Nachmittag. Niemand war zu Hause. So blieb mir nichts anderes übrig als unter der Hochterrasse Unterschlupf vor der Bise zu finden. Dort sass ich, kauernd, und schlotterte wie ein Schlosshund. Dabei entdeckte ich in einer Ecke ein Heftchen. Ich glaube, es hiess ,Ein Tag im Leben des kleinen Tom’. Ich begann es zu lesen und wurde wieder heiter und fidel. Meine Eltern sahen ein, dass weder sie noch sonst jemand mich zu diesem Auftritt zwingen konnten. So hatte ich wieder meine Ruhe.“
 
Der glanzvolle Vortrag
Es gibt Redner, die mit viel „aplomb“, also selbstsicher auftretend, ihre Rede über die Bühne bringen und deswegen viel Applaus ernten. Für mich sind solche Auftritte meistens mühsam und peinigend. Aber steht man einmal hinter dem Rednerpult, gibt es kein Entrinnen. Man kann halt dem äusseren Druck und Zwang nicht immer entrinnen.
 
Erste Voraussetzung zum Gelingen ist das themabezogene Wissen. Das hat mir ein Naturgenie der freien Rede verraten und beigefügt: „Und nur ein Thema wählen, an dem man Freude hat und innerlich mitschwingt. Auch macht es sich schlecht, vom Blatt zu lesen.“ Das stimmt, und das konnte ich selbst immer wieder bei anderen Leuten feststellen, besonders bei Politikern.
 
Kurzum, meine Redekünste schwanken zwischen lausig und glänzend (erstere wiegen vor) – je nach Thema. Einmal hatte ich Glück mit einem verzwickten Thema, das ich erst noch auf Französisch abliefern musste – lang ist es her – zu einem Thema, das mich keineswegs begeisterte. Ich trichterte mir den Text in den Kopf bis dieser brummte. Die Generalprobe fand vor dem Spiegel im Badezimmer statt.
 
Der Tag und die Stunde meines Vortrags kamen. Kein Blatt Papier begleitete mich. Ich fühlte mich wie ein Seiltänzer ohne Fallnetz. Aber mein Selbsterhaltungstrieb siegte. Mein Vortrag dauerte über eine Stunde. So viel Applaus hatte ich noch nie zuvor geerntet. Ich wurde gebeten, meine Rede in gedruckter Form zu verteilen. Aber ich stand mit leeren Händen da und versprach, es mit der Post an die Zuhörer zu schicken.
 
Anderntags erhielt ich von einem mir höchst unsympathischen Vorstandsmitglied einen langen Text voller Fangfragen, wohl darauf bedacht, meine Wissenslücken zu orten. Zum Glück hatte ich den Rat des Naturgenies befolgt. Seitenlang tippte ich die Antworten in die Tasten. Zwar verdankte er meine Antwort nicht, doch liess er mich fortan in Ruhe.
 
Geschwächtes Selbstvertrauen
Es gibt übel gesinnte Leute, die ihre hämische Freude daran haben, das Selbstvertrauen ihrer Mitmenschen bei jeder Gelegenheit zu untergraben. Leider begegnet man solchen Typen auch unter Lehrern, die auf diese Unart versuchen, ihre angeschlagene Autorität aufzumöbeln. Keiner von uns ist mit einer Elefantenhaut geboren worden. Das macht uns anfällig, wie wir unter solchen zersetzenden Einfluss geraten – und verhindert, unser Bestes zu leisten. Diese Flegelei äussert sich bald satirisch, bald grobschlächtig. Wir fühlen uns arg gedemütigt.
 
Selbst ohne solche Anpöbeleien haben wir in jungen Jahren oft Mühe genug, unser geschwächtes Selbstvertrauen zu stärken, wenn wir vom Selbstzweifel heimgesucht werden.
 
Ich erinnere mich, wie mir ein bedauernswerter Klassenkamerad klagte, dass ihn allnächtlich der gleiche Traum heimsuchte. Er, der fürs Leben gerne Rollschuhe lief, hatte keine freie Bahn mehr. Ein Schlagloch ums andere tat sich vor ihm auf.
 
Viele Jahre später begegnete ich ihm wieder. Sein Leben blieb weiterhin von Schlaglöchern bespickt. Er arbeitete als Hilfsarbeiter und wurde von seinen Vorgesetzten laufend angeschnauzt – genauso schlimm wie damals von seinem Primarlehrer. Stockend nur konnte er sich noch ausdrücken, durch und durch verunsichert. Dabei konnte er als Bube wunderbar mit Farbstiften malen. Ich sehe ihn noch, wie er die Farbstifte mit der Zunge anfeuchtete, damit sie kräftig auf dem Blatt aufleuchteten. Er hatte die Gabe, fantastische Fische zu malen. Sie schwammen im tiefblauen Meer. Ich fand sie toll, und sein Gesicht hellte sich auf, als ich sie – und damit ihn – lobte.
 
Wie angenehm überrascht ich war, als ich eines Tages in der Lokalzeitung las, dass er den Auftrag erhalten hatte, als Steinmetz 3 Tierskulpturen aus Granit zu schaffen. Mehr noch: Diese wurden ausgerechnet im Vorhof seiner einstigen Primarschule aufgestellt!
 
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