Textatelier
BLOG vom: 14.10.2006

Zürcher Multikulti-Stadtkreis 4: Die Madonna in der Barke

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
 
Velofahrt zum Helvetiaplatz. Der Morgen feucht, frisch. Nebel verhangen. Doch je näher ich dem Escher-Wyss-Platz komme, durchdringt die Sonne die Nebeldecke. Nur ein dünner Schleier bleibt zurück und verzaubert das Licht, das uns erreichen will. In feinste Partikel gebrochen, glitzert es jetzt rund um den Feuerball. Der Morgen beschert mir schon ein Schauspiel. Gratis. Ich frage mich, ob solche Lichtspiele zur Fata Morgana gehören. Und weiter gehts.
 
Der Markt auf dem Helvetiaplatz ist bereits belebt. Ich stelle mein Velo hier ab und gehe zu Fuss weiter. Da begegne ich einem jungen Mann, der aus einem Hof heraus kommt. Seine Kleider sind etwas schmuddelig, sein Gesicht umso heiterer. Vor einem parkierten Auto stoppt er, schaut sich im Fenster an, stellt die Mappe ab, zieht den Kamm aus der Hosentasche, kämmt sich, grüsst mich freundlich und geht beschwingt weiter. Ein Lebenskünstler? Vielleicht.
 
Auf dem Weg in unsere Werkstatt, die sich in diesem Umfeld befindet, entdecke ich an der Müllerstrasse die „Madonna in der Barke“. So nenne ich jetzt die Figur, die an der Hauswand des bei jungen Leuten beliebten Szene-Lokals „Daniel H“ angebracht ist. Die Hälfte einer hölzernen Barke simuliert ein gotisches Fenster. Auf einem Tablar im Bug-Bereich steht die blau und weiss gekleidete Madonna mit ihren offenen, schenkenden Händen. Frisch und unberührt erscheint sie im Kontrast zur Oberfläche des Schiffs. Dieses ist lindengrün gestrichen, aber vom Gebrauch arg zerschunden. An den abgewetzten Kanten schaut die darunter liegende Farbe, ein kräftiges Rot, hervor. Die Hausmauer ist in Rosa gehalten. Es wachsen hier auch kleinere Büsche. Eine Idylle. Es ist auch Licht installiert. Ich muss einmal an einem Abend hier vorbeikommen.
 
Wo hat dieses kleine Schiff seinen Dienst getan? Auf dem Mittelmeer? Einem Fischer gedient, der mit vielen Gefahren umgehen und in der Not auf die Madonna vertrauen gelernt hat. Ist es vielleicht ein Nachfahre, der dieses Gefährt vom Grossvater übernommen und in ein Land entführt hat, das keinen Meeranstoss kennt? Wie dem auch sei: Die Installation hat etwas Unaufdringliches, aber Authentisches an sich, ist nicht kitschig. Ein Wurf. Sie berührt mich und ich vermute, nicht nur mich.
 
Der Stadtkreis 4 ist einfach immer wieder für eine Überraschung gut.
 
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