Textatelier
BLOG vom: 01.08.2006

Biberstein: Wo die Weltgeschichte gerade beendet worden ist

Autor: Walter Hess
 
Ende Juni 2006 ist die Weltgeschichte zu Ende gegangen. Der Bibersteiner Historiker Dr. Rudolf Schläpfer hat das dubiose Treiben „von der Aufklärung bis zur Gegenwart“ (Buch-Untertitel) festgehalten und als abgeschlossen erklärt. Sein 476 Seiten starkes Werk „Weltgeschichte 2“ ist vollendet und kann gekauft werden. Wenn ich darauf hinweise, bin ich nicht ganz unbefangen, denn ich kenne den Ruedi seit langem, und wir haben einmal zusammen Amazonien bereist (Tapajós-Gebiet, einer der grössten Nebenflüsse des Amazonas, der bei Santarém in den Hauptfluss einmündet und im Unterlauf 12 km breit ist, also eher wie ein See aussieht). Stundenlang haben Ruedi und ich auf dem heckseitigen Oberdeck eines Motorboots, als wir an einem vom Urwald überquellenden Ufer vorbeifuhren, über die Natur, die Einflüsse der Forstwirtschaft und den Weltenlauf diskutiert und das eine oder andere Glas Caipirinha getrunken (Saft aus zerstampften Früchten, Rohrzucker und Cachaça, ein Zuckerrohrschnaps). Dabei habe ich festgestellt, dass sich dieser Historiker nicht nur über die Historie, sondern über alle Facetten des Weltenlaufs interessiert. Das kommt auch in seinem Buch zum Ausdruck. Er trägt nie Scheuklappen, strahlt eine stoische Gelassenheit aus, hat einen langen Atem und einen Blick fürs Ganze.
 
Beim Verfassen eines Geschichtswerks muss das so sein. Denn solch eine aufs Wesentliche heruntergebrochene Darstellung ist ein gewaltiges Unterfangen; die prägenden Geschehnisse aus aller Welt, die sich während Jahrhunderten abgespielt haben, müssen in den richtigen Proportionen dargestellt werden. Tut man es chronologisch, verzettelt man sich geografisch. Behandelt man die Ereignisse aber nach geografischen Gesichtspunkten, wird es schwer, einen Überblick über die Gleichzeitigkeit der Ereignisse in anderen Teilen der Erde zu behalten, und überall sind gewisse internationale Vernetzungen festzustellen. Das vorliegende Buch, ein Lehrmittel und Nachschlagewerk für die Gymnasialstufe, Fachhochschulen und historisch Interessierte wie mich, ist thematisch gegliedert und mit Querverweisen sozusagen verlinkt und bietet dadurch einen bestmöglichen Überblick über die Ereignisse zu einer bestimmten Zeit.
 
Die Geschichtsschreibung listet und reiht in der Regel historische Fakten auf. Sie sagt also, was geschehen ist. Doch mindestens so interessant ist es zu erfahren, warum sich etwas ereignet hat. Auch diesem Bedürfnis kommt diese intensiv überarbeitete und ergänzte „Rentsch-Weltgeschichte“, an der früher auch Karl Schib und Joseph Boesch mitgewirkt haben, weitgehend nach. Dazu möge das Beispiel 2. Golfkrieg 2003 dienen: Um ihren Erdöldurst zu stillen, haben die USA die Welt mit erfundenen „Beweisen“ (wie der angeblichen Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak) getäuscht, dann in den Krieg hinein gelogen und neben Bomben auch Propaganda und Medienzensur als Kriegswaffen eingesetzt – das ist meine persönliche Formulierung, wie unsere Nutzer leicht erkennen. Ein derart engagiertes Schreiben ist den Historikern selbstverständlich fremd, weil sie sich dadurch dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit aussetzen würden. Ich aber darf es tun, weil ich nachgewiesenermassen kein Geschichtsstudium über mich ergehen liess, sondern aufgrund von Dutzenden von Reisen in entfernte Winkel diese Geschichte mit Praxisbezug (Einbezug eigener Anschauungen) aufgearbeitet und zu erklären versucht habe. Doch in Schläpfers Buch sind die Motive, die bestimmte Ereignisse auslösten, immer inbegriffen, wenn auch in nobel distanzierter Art; er bietet sozusagen eine mit Hintergründen garnierte Geschichte.
 
Die bevorzugte Behandlung der Schweizergeschichte in dieser „Weltgeschichte 2“ ist legitim und wird von mir sogar positiv gewertet. Denn schliesslich ist die Schweiz mit dem zentralen Ereignis Biberstein (siehe unten, Schlussabschnitt) der Nabel der Welt, der Solarplexus, damit auch die Esoteriker verstehen, was ich meine. Daneben wendet sich Schläpfers Buch dem weltweiten Geschehen mit Inbrunst zu, und ein Übergewicht der deutschen bzw. europäischen Geschichte ist vermieden, was es mir besonders angetan hat. Ich hätte sogar noch mehr „Aus aller Welt“ gehabt.
 
Natürlich spielt auch Brasilien in Rudolf Schläpfers Buch eine gebührende Rolle, die ich mit besonderer Sorgfalt analysiert habe. Es beschreibt, wie Militärregierungen unter dem Vorwand äusserer Bedrohungen (wie er noch heute in der westlichen Welt Massenmorde rechtfertigt, wie ich beifügen möchte) illegale Todesschwadronen Menschenrechte verletzten und zum Beispiel Massenmorde an der indianischen Bevölkerung verübten. Ich habe gerade an die Zustände im Irak gedacht, wo ähnliche Todesschwadronen im Auftrag der US-gesteuerten Regierung die Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufwiegeln. So berichtete Faik Bakir, der Direktor des Leichenhauses von Bagdad, nachdem er aus Angst um sein Leben aus dem Irak geflohen war, dass während der vorangegangenen Monate mehr als 7000 Menschen von Todesschwadronen des irakischen Innenministeriums getötet worden seien; das meldete zumindest John Pace, der scheidende Direktor des Uno-Menschenrechtsbüros im Irak, am 2. März 2006 dem britischen „Guardian“ (weitere Quelle: www.zeit-fragen.ch vom 16. April 2006.). So haben sich die Strickmuster bei der Unterwerfung der übrigen Welt durch westliche Mächte kaum verändert.
 
Viele geschichtsrelevante Fakten spielen sich im Hintergrund ab, werden von Medien kaum registriert. Zudem bestimmen auch kulturelle, gesellschaftliche, ökologische und technische Begebenheiten die geschichtlichen Abläufe, und dass der Autor auch diese berücksichtigt, scheint mir besonders verdienstvoll, weil sie immer auch eine Wechselbeziehung zur Geschichte haben. Besonders erfreulich ist die gut verständliche, klare Sprache; unumgängliche Fachausdrücke sind erklärt. So ist ein Geschichtsbuch entstanden, das den Rahmen üblicher Werke sprengt und auch durch eine saubere, übersichtliche Gestaltung anspricht. Die Seitengestaltung ist der Bibersteiner Ortsgeschichte ähnlich, an der ich im Rahmen einer Begleitkommission marginal mitwirken durfte; das Buch „Weltgeschichte 2“ ist zwar umfangreicher in der Thematik, aber etwas kleiner im Format.
 
So hat sich Biberstein zufällig als ergiebige Quelle für Literatur zu historischen Vorgängen oder solchen mit historischer Bedeutung etabliert. In seinem Odysseus Verlag befasst sich der Altphilologe Hans Widmer, Lehrer für Latein und Griechisch an der Alten Kantonsschule Aarau mit verlegerischen Ambitionen, bevorzugt mit der griechischen Geschichte, und von meinem eigenen Verlag Textatelier.com werden globalisierungskritische Werke herausgegeben: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, „Bözberg West. Landleben zwischen Zürich und Basel“ (ein Beitrag zur Regionalisierung von Heiner Keller). Und wenn sich das Rad der Geschichte trotz der nunmehr abgeschlossenen „Weltgeschichte 2“ weiterdrehen sollte, dann geschieht dies unter genauer Beobachtung durch das Geschichts-Mekka Biberstein. Regenten und Politiker mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen und sich darnach richten ... Wir möchten nicht, wie gerade jetzt, auch in Zukunft lauter Verrisse schreiben müssen.
 
Bibliographische Angaben
Schläpfer, Rudolf, und Boesch, Joseph: „Weltgeschichte 2. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart“, Orell Füssli Verlag, Zürich 2006, ISBN 3-7249-0605-6. CHF 44.80.
 
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