Textatelier
BLOG vom: 11.05.2006

Ahmadinedschads Brief an Bush: Leviten bei Kriegsgetöse

Autor: Walter Hess
 
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat einen Brief an seinen Berufskollegen George W. Bush geschrieben und darin dem Vorsteher der globalisierten Welt die Leviten gelesen. Die FAZ und Le Monde haben die englische Übersetzung des Briefs veröffentlicht. Nach meiner persönlichen Beurteilung als unangepasster und unorganisierter Freidenker muss ich sagen, dass in dem Brief sehr viel Wahres steht. Auch wenn Ahmadinedschad die westlichen Staaten der Heuchelei beschuldigt, kann man ihm nicht widersprechen: Sie wollen dem Iran verbieten, was anderen Staaten hintenherum bewilligt worden ist, der Bau der Atombombe. Israel, Indien, Pakistan wurden für ihr Tun nicht bombardiert, nicht bestraft und merkwürdigerweise kaum kritisiert. Sogar Nordkorea schaffte es. Und da schweigt sich der Westen (inkl. dessen Mediengemeinschaft) aus. Heucheln heisst, nicht seine wirklichen Gedanken äussern. Bei der westlichen Unterwerfung unter die US-Hegemonialmacht ist das an der Tagesordnung.
 
„Ich sage Ihnen, sie (die Amerikaner) sind nicht wegen des Atomprogramms besorgt ... Sie betreiben selbst Atomprogramme und bauen sie Tag um Tag aus. Sie testen jeden Tag neue Arten von Massenvernichtungswaffen", sagte Ahmadinedschad an einer Pressekonferenz in Jakarta. Es ist gut und nötig, dass einer das in Erinnerung ruft.
 
Zum Irak-Krieg rief Ahmadinedschad Bekanntes in Erinnerung: „Natürlich war Saddam (Hussein) ein mörderischer Diktator. Aber der Krieg wurde nicht geführt, um ihn zu stürzen, das erklärte Ziel des Krieges war, Massenvernichtungswaffen aufzuspüren und zu zerstören. Er wurde nebenbei gestürzt, auf dem Weg zu einem anderen Ziel; trotzdem sind die Menschen in der Region glücklich darüber. Ich weise darauf hin, dass Saddam während der vielen Jahre des Krieges, der dem Iran aufgezwungen wurde, vom Westen unterstützt wurde.“
 
Das „andere Ziel“ war wahrscheinlich das Erdöl (wie im Iran auch). Auch darüber heucheln sich die USA hinweg.
 
Und weiter im Brief (nach inoffizieller AP-Übersetzung): „Warum wird jeder technologische und wissenschaftliche Fortschritt im Nahen Osten als Bedrohung des Zionistischen Regimes dargestellt? Sind nicht Forschung und Entwicklung eines der grundlegenden Rechte von Nationen?“ − „Ist die Möglichkeit, dass wissenschaftliche Errungenschaften für militärische Zwecke genutzt werden, Grund genug, Wissenschaft und Technologie insgesamt abzulehnen?“
 
Frage: Wieso dürfen die USA weiter aufrüsten; sie könnten die Erde bereits mehrfach zerstören. Warum wird dieser Aspekt, der einen weltweiten Rüstungswettlauf initiiert, nicht diskutiert? Wer Atombomben-frei ist, hat das Nachsehen. Rüsten heisst die Devise für alle.
 
Der Brief ruft dann Allgemeinplätze in Erinnerung: „In der Irak-Frage wurden Lügen verbreitet. Was war das Ergebnis? Ich zweifle nicht daran, dass lügen in jeder Kultur verwerflich ist, und Sie wollen auch nicht angelogen werden.“ − „Wie lange noch werden das Blut unschuldiger Männer, Frauen und Kinder auf den Strassen vergossen und ihre Häuser über ihren Köpfen zerstört werden? Sind Sie erfreut über die derzeitige Weltlage? Glauben Sie, dass die gegenwärtige Politik fortgesetzt werden kann?“
 
Das alles habe ich mich auch schon gefragt. Ahmadinedschad im Weiteren: „Die Geschichte lehrt uns, dass repressive und grausame Regierungen nicht überleben. Gott hat ihnen das Schicksal der Menschen anvertraut.“ − „Kann jemand die Zeichen des Wandels in der Welt abstreiten? Ist die Weltlage noch vergleichbar mit der vor 10 Jahren? Veränderungen gehen schnell vor sich.
 
Hoffentlich überleben solche Regierungen nicht. Sie gehören vor den internationalen Gerichtshof.
 
Und endlich holt Ahmadinedschad zum vernichtenden Schluss-Kommentar aus: „Liberalismus und Demokratie nach westlichem Muster waren nicht in der Lage, die Ideale der Menschheit zu verwirklichen. Heute sind diese beiden Konzepte gescheitert. Die Einsichtigen können schon hören, wie die Ideologie und das Gedankengut des liberalen demokratischen Systems zerbrechen und untergehen.“
 
Soweit einige Passagen aus dem 18-seitigen Brief. Ich weiss nicht, ob Bush und seine Gang lesen können. Jedenfalls ist von dieser Seite keine Diskussion über Gleichheit, Ehrlichkeit, ethisches Verhalten zu erwarten. Ich hätte auf diesen Brief wenigstens einige überzeugende Antworten erwartet. Doch solche hat Washington nicht auf Lager. In geradezu einfältiger Art hat die US-Regierung den Brief als „Ablenkungsmanöver im Atomstreit“ zurückgewiesen. Der Brief sei „nutzlos“, sagte die Kriegstreiberin Condoleezza Rice. Ja, bei ihr ist sicher Hopfen und Malz verloren. Nicht Diskussionen, sondern Kriege sind gefragt. Sogar der stellvertretende israelische Ministerpräsident Schimon Peres drohte dem Iran mit Vernichtung – und das kann nur einen Atombombeneinsatz bedeuten (obschon Israel noch immer nicht zu seinen Atomwaffen steht): Peres sagte soeben vor Journalisten, auch der Iran könne zerstört werden. Er hatte seinen Friedensnobelpreis gerade vergessen. Das sind scheussliche, disqualifizierende Drohungen, ob sie nun aus Teheran oder Jerusalem kommen; daraus wird deutlich, dass Morde an Tausenden, ja Hunderttausenden von Zivilisten in Kauf genommen würden. Aus Israel hätte ich solche Töne zuletzt erwartet.
 
Die westliche Hilflosigkeit und Ungeschicklichkeit ist, sobald die politischen Machenschaften kritisiert werden, geradezu peinlich. Sie ist nicht von intellektueller Grösse und moralischen Werten getragen, sondern reif für ein Tribunal. Sie  strotzt vor Widersprüchen und Peinlichkeiten. Als der chinesische Präsident Hu vor wenigen Tagen in Washington war, wurde die chinesische Hymne als Hymne der „Republik China“ angekündigt. Doch die Republik China – das wäre halt Taiwan, das nichts von der „Volksrepublik China“ wissen will ...
 
Aber vor lauter Atombombenbauen und weiterem Aufrüsten ist in den USA offenbar das Fach politische Geografie etwas vernachlässigt worden. Doch auch die grenzenlose Dummheit kann zu einer Bedrohung für die Welt werden.
 
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