Textatelier
BLOG vom: 07.04.2006

Vorbildliche Schweizer Städte entdecken die GATS-Freiheit

Autor: Walter Hess
 
Nach Basel-Stadt, Genf und Zürich hat sich am 16. März 2006 auch die Stadt Luzern zur „GATS-freien Gemeinde“ erklärt und damit ein Signal gegen den Ausverkauf der Lebensgrundlagen und fundamentalen Dienstleistungen nach Bern gesandt. 87 GATS-freie Gemeinden gibt es nun in der Schweiz. Das ist ein wichtiges Signal an Bundes-Bern, „den Service public nicht auch noch den Spielregeln des internationalen Wettbewerbs zu unterwerfen und damit die Autonomie der Stadt (Luzern) bei der Sicherstellung der Basisdienstleistungen zu untergraben“, wie Viktor Rüegg (Grossstadtrat, Vertreter von CHance21) bei der Begründung seines Postulats ausführte. Der Vorstoss wurde gegen den Willen des Stadtrats (Exekutive) grossmehrheitlich überwiesen und gilt nun für den Luzerner Stadtbereich, hat aber kaum Einfluss auf übergeordnete Kantons- und Bundesbeschlüsse. Doch es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl.
 
Globalismus hinter verschlossenen Türen
Über das GATS (General Agreement on Trade in Services) wird kaum gesprochen und geschrieben. Die meisten und selbst die gut informierten Menschen wissen nicht, was das ist und dass damit der Verkauf öffentlicher Einrichtungen an private Anbieter gemeint ist: Der Verkauf der Wasserversorgungen, der Post, der Bahnen und aller anderen Transportbereiche zu Wasser und in der Luft, der Krankenhäuser, der Bildungsinstitutionen (Schulen), der Kommunikationseinrichtungen oder sogar der Museen usw. Im Moment wird gerade die Verscherbelung der Swisscom politisch vorbereitet; bei Cablecom ist der US-Deal bereits gemacht. Die öffentliche Kontrolle über die Infrastruktur, welche der Grundversorgung der Bevölkerung dient, geht zunehmend verloren. So bringt man die Menschen in wirtschaftliche Abhängigkeiten; sie müssen sich ausbeuten lassen, wenn sie ihre Kinder schulen, Wasser trinkend überleben oder auch nur kommunizieren wollen.
 
Diesem Ziel „neoliberale Einheitswelt“ dienen auch die zurzeit wieder vorangetriebenen Gemeindefusionen (parallel zu den Konzentrationsbewegungen in der Wirtschaft). Die dadurch erreichte Anonymisierung und die erzielten vereinfachten politischen Abläufe bei erschwerten Einflussnahmemöglichkeiten durch die Stimmbürger liegt ganz auf der Linie der Abschaffung von Unabhängigkeit und Mitverantwortung durch das Volk. Die Schwächung der Gemeindeautonomie steht im Dienste globalwirtschaftlicher Interessen. Das kritisch denkende Volk stört ja nur.
 
Unter dem Begriff Handel wird heutzutage nicht mehr einfach der Güteraustausch verstanden, sondern dazu gehören auch der Kapitalverkehr, Dienstleistungen aller Art und auch die Arbeit. Diese Zwangsliberalisierungen passieren im Rahmen des Welthandelsabkommens (WTO = World Trade Organization; die Schweiz gehört als Mitglied leider dazu). Die WTO ist die von den USA beherrschte Wirtschafts-Supermacht, die eigentliche Weltregierung, die keine Gnade kennt und der sich alles zu unterwerfen hat, ansonsten Strafaktionen wie Boykotte, Millionenbussen und gegebenenfalls auch militärische Angriffe zu erwarten sind. So viel Totalitarismus gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie..
 
Die Totschweiger
Die GATS-Verhandlungen laufen bezeichnenderweise meistens hinter verschlossenen Türen ab. Die EU hat alle Mitgliedstaaten schon vor Jahren angehalten, die Öffentlichkeit nicht zu informieren (laut der Österreichischen Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, www.gdg.at ). Die Massen werden einfach zur Flexibilität, Gutgläubigkeit und damit zur Globalisierungstauglichkeit erzogen, damit die Weltherrschaft der USA und der damit kompatiblen Unternehmen möglichst ohne Widerstand hinterrücks ausgebaut werden kann. Das gehört in den Rahmen des Globalismus, dieser irrsinnigen neoliberalen Idee der Weltmarktherrschaft nach US-Vorgaben mit ihrem destruktiven Materialismus. Natur und das soziale Gefüge werden zerstört. Der Globalismus entzieht den Nationalstaaten die ökonomische Grundlage; demokratische Einflussmöglichkeiten verschwinden. Die Staaten zerfallen, ähnlich den Familien. Das ist die Folge des grössten Ausverkaufs in der Geschichte der Menschheit – zu Schleuderpreisen.
 
Die Schweiz ist dabei, sich der dekretierten Geheimniskrämerei aus der Globalisierungsvorstufe EU zu unterwerfen. Denn die nationalrätliche Kommission für auswärtige Angelegenheiten, die in Fragen der Vertuschung Massstäbe setzt, hat Mitte Februar 2006 beschlossen, das GATS-Abkommen, über das weiterhin verhandelt wird, dem Schweizervolk und den Ständen (Kantonen) nicht zur Abstimmung zu unterbreiten, das heisst mit 12 : 7 Stimmen und 2 Enthaltungen hat sie entschieden, dem Plenum die Ablehnung einer Parlamentarischen Initiative von PdA-Nationalrat Josef Zisyadis zu beantragen. Der Vorstoss verlangt, dass ein GATS-Abkommen Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden muss, angesichts der Tragweite dieser Ausverkaufsverordnung zweifellos eine Selbstverständlichkeit. Rüegg dazu: „Das Demokratiedefizit, welches das oberste Kennzeichen internationaler Verbändelungen wie der WTO, der EU und auch des GATS und ausserdem eine Folge der Machtausweitung der globalen Konzerne ist, wirft also seine Schatten auf Bern.“
 
Auch die meisten Medien unterziehen sich in kompletter, sträflicher Missachtung ihrer grundlegenden demokratischen Aufgabe dem Vertuschungsgebot und lenken mit Allotria und der Überbetonung des Sportgeschehens vom Wesentlichen ab. So hat zum Beispiel die Neue Luzerner Zeitung NLZ in ihrer Ratsberichterstattung vom 17. März 2006 den wegweisenden Beschluss des Luzerner Stadtparlaments zur GATS-Freiheit mit keinem einzigen Wort erwähnt und sich erst auf Druck vonseiten der Bewegung CHance21 bequemt, nachträglich noch eine kurze Meldung zu veröffentlichen; es ging einfach nicht mehr anders.
 
Das ist bezeichnend für die grassierende Politik des Totschweigens durch die Medien, die sich kritiklos in die Globalisierungs-Vorgänge einbinden liessen und darauf abzielen, die Menschen unaufgeklärt zu halten, um Diskussionen zu unterbinden, welche die folgenschweren Vorgänge im Interesse der amerikanischen Vorherrschaft und der Grosskonzerne stören könnten. So machen sich die herkömmlichen Medien überflüssig und mitschuldig.
 
Einige Freihandelsfolgen
Dabei geht es wahrhaftig um Einschneidendes. Viktor Rüegg hat einige „Folgen von 10 Jahren Freihandel à la WTO“ im Grossstadtrat von Luzern aufgelistet:
 
„– Die Arbeitslosigkeit ist seit 1994 überall auf der Welt massiv angestiegen. Das Problem des Hungers ist mindestens so gross und ungelöst wie zuvor.
– Der Anteil der Einkommen aus Arbeit am gesamten Brutto-Sozialprodukt ist überall gesunken, die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weltweit geöffnet.
– Die Qualität der Beschäftigung ist vorwiegend gesunken; schmutzige, gefährliche, unsichere, schlecht bezahlte und entwürdigende Arbeiten sind häufiger geworden.
– Gewinner des WTO-Freihandels sind die globalen Konzerne, deren Manager und Anteilseigner.
– Die Möglichkeiten der Politik, unökologische oder unsoziale Produktionsbedingungen zu kontrollieren bzw. zu verhindern, sind wegen tatsächlicher oder drohender Abwanderung der Unternehmen am Schwinden. Die Konzerne machen mit der Politik, was sie wollen. Das jüngste regionale Beispiel – kurz nach Schliessung der Lego-Werke in Willisau und Steinhausen – ist der Abzug der „Winterthur“ aus Kriens: Wirtschaftsdirektor Max Pfister, selber eifriger Befürworter und Förderer von Handels-Liberalisierungen aller Art, reagierte verärgert und bedauerte, dass die Politik ohnmächtig zusehen müsse, wenn Grosskonzerne ihre Entscheide treffen.

Diese insgesamt katastrophalen Folgen des WTO-Freihandels, die weltweit zunehmend für soziale Unruhen und ökologische Kollapse sorgen, sollen nun durch das so genannte GATS auch noch auf den Dienstleistungsbereich übertragen werden, der permanent liberalisiert werden soll.“
 
Die offizielle Schweiz fällt mit fliegenden Fahnen und vorauseilendem Gehorsam auf diesen neoliberalen Unfug herein. Rüegg fasste die Lage treffend wie folgt zusammen: Die Schweiz hat gegenüber dem GATS die Post-, Bildungs-, Transport-, Ingenieur- und Rechtsdienstleistungen – neben andern – ausdrücklich als verhandelbar vorgeschlagen, wie der Seco-Homepage entnommen werden kann. Bei einem positiven Abschluss dieser Verhandlungen müssen also Gemeinden und Städte mit dem Marktauftritt von ausländischen Privatschulen, Postanbietern, Verkehrsunternehmen, Ingenieur- oder Anwaltsbüros rechnen. Diese globalisierte Konkurrenz wird die bereits bekannten Folgen haben: Preis- und Lohndumping bei gleichzeitigem Verlust politischer Einflussnahme.“
 
Soweit das Zitat, dem ich vollkommen zustimmen kann. Das Mitmachen bei diesem zweifellos perfidesten Globalisierungsunfug hat weniger mit Weltoffenheit als vielmehr mit Dummheit zu tun; der Stadt Luzern kann man trotz des Wunsches nach GATS-Freiheit zweifellos keinen Mangel an Weltbürgertum vorwerfen!
 
Zum grossen Glück gibt es weitsichtige Menschen, die sich zu wegweisenden Organisationen zusammengeschlossen haben. Eine davon nennt sich CHance21; sie ist im Raume Luzern erfolgreich tätig und setzt sich aus klugen, kritisch denkenden Köpfen zusammen, wie ich selber erfahren konnte. Ich durfte bei dieser aufgeklärten und aufklärenden Vereinigung am 1. Dezember 2005 einen Vortrag über die Globalisierung als soziale Demontage halten; dieser Vortrag ist im Wortlaut unter „Kontrapunkte“ wiedergegeben. Insbesondere bei der anschliessenden lebhaften Diskussion habe ich selber neue Erkenntnisse, auch über die Hintergründe der forcierten unseligen Gemeindezusammenschlüsse im Rahmen des demokratischen Grossreinemachens, gewonnen.
 
Für die bewehrte Aufforderung „Wehret den Anfängen!“ ist es bereits zu spät. Aber noch ist Zeit für einen Aufstand gegen die GATS- und Globalisierungsvorgänge. Jeder verantwortungsbewusste Bürger, dem es an persönlicher Freiheit und an demokratischen Einflussmöglichkeiten gelegen ist, müsste sich daran beteiligen. Vernünftigerweise.
 
Dokumentationen
Die Liste der 87 GATS-freien Gemeinden (Quelle: http://www.hors-agcs.ch/ ):
 
Genève – Romainmôtier-Envy (VD) – Delémont (JU) – L'Abergement (VD) – Cuarnens (VD) – Renens (VD) – Saint-Cierges (VD) – Morges (VD) – Lignerolle (VD) – Corsier-sur-Vevey (VD) – Le Locle (NE) – Bière (VD) – Ballens (VD) – Romanel-sur-Lausanne (VD) – Donneloye (VD) – Corcelle-près-Payerne (VD) – Essertines-sur-Yverdon (VD) – Mollens (VD) – Vaux-sur-Morges (VD) – Saint-Saphorin-sur-Morges (VD) – Bussy-Chardonney (VD) – Chigny (VD) – Vuiteboeuf (VD) – Yverdon-les-Bains (VD) – Denens (VD) – Vevey (VD) – Berolle (VD) – Saint-Légier-La Chiésaz (VD) – Echandens (VD) – Ecublens (VD) – Lens (VS) – Yvonand (VD) – Cossonay (VD) – Moiry (VD) – Croy (VD) - Vugelles-La Mothe (VD) – Meyrin (GE) – Vellerat (JU) – Kesswil (TG) – Hölstein (BL) – Seftigen (BE) – Birr (AG) – Alle (JU) – Fontanezier (VD) – Cronay (VD) – Bex (VD) – Baulmes (VD) – Epiquerez (JU) – Neuenegg (BE) – Dotzigen (BE) – Worb (BE) – Linden (BE) – Bargen (BE) – Madiswil (BE) – Iseltwald (BE) – Pailly (VD) – Courroux (JU) – Châtillon (FR) – Plaffeien (FR) – Stein am Rhein (SH) – Wagenhausen (TG) – La Chaux-de-Fonds (NE) – Leimiswil (BE) – Fribourg (FR) – Sainte-Croix (VD) – Echichens (VD) – Lonay (VD) – Martherenges (VD) – Vaulion (VD) – Laupen (BE) – Winkel bei Bülach (ZH) – Rafz (ZH) – Glattfelden (ZH) – Courtételle (JU) – Vernier (GE) – Basel (BS) – Zürich (ZH) – Corcelles-sur-Chavornay (VD) – Wasterkingen (ZH) – Biel/Bienne (BE) – Vicques (JU) – Steffisburg (BE) – Bretonnières (VD) – Ormalingen (BL) – Almens (GR) – Lajoux (JU) – Luzern.
 
In Europa haben sich inzwischen über 1000 Gemeinden zu GATS-freien Zonen erklärt.
 
Hinweis auf ein globalisierungskritisches Buch
Hess, Walter (Text), und Rausser, Fernand (Cartoons): „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. Portofreie Zustellung.
 
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Links
 
Adressen
CHance21
Postfach 4801
CH-6002 Luzern
 
Rüegg, Viktor
Grossstadtrat
Sälihügel 5
CH-6005 Luzern
Tel.: 042 240 24 62
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