Textatelier
BLOG vom: 19.12.2005

Der „unmögliche“ Migros-Konzern: Einmal etwas anderes

Autor: Heinz Scholz
 
Bevor ich im Zeichen des vorweihnachtlichen Einkaufsrummels auf das vielseitige und in manchen Beziehungen beispielhafte Engagement der Migros aus meiner persönlichen, süddeutschen Sicht näher eingehe, stelle ich einige Zahlen und Fakten zu diesem grössten Schweizer Detailhandelskonzern zusammen: Das dynamische Unternehmen Migros hat über 2 Millionen Genossenschafter, die quasi die Besitzer von Migros sind. Der Gruppenumsatz betrug 2004 knapp über 20 Milliarden CHF. Der Personalbestand beträgt zurzeit etwa 80 000. Zur Migros gehört neben dem Detailhandel der übrige Detailhandel (Migros-Shop, Ex Libris AG, Globus-Gruppe) und die Migros-Industrie (u. a. Bischofszell Nahrungsmittel AG, Chocolat Frey AG, Jowa AG).
 
„Migros ist anders“, sagte einst der Gründer Gottlieb Duttweiler. Andere bezeichneten die Migros als „unmöglichen“ Konzern. Damit war wohl gemeint, dass so etwas unmöglich, nicht durchführbar oder nicht denkbar sei. Die Migros ist also ein Konzern, der bisher völlig aus dem Rahmen fiel. Und das war gut so, wie wir sehen werden. Hoffentlich kann die ursprüngliche Philosophie auch im härter gewordenen Marktumfeld beibehalten werden.
 
Beim Stöbern in diversen Migros-Geschäften in Stein AG bei Bad Säckingen, Basel und auch in deutschen Niederlassungen wie in Lörrach oder Bad Säckingen entdeckte ich erfreulicherweise schon viele Bio-Produkte. Inzwischen sind über 1000 Bio-Produkte im Sortiment. Einige der auch von mir getesteten Produkte (lichtundurchlässige Milch-Verpackung, Schinken, Olivenöl) erwähnte ich in meinem Buch „Richtig gut einkaufen“.
 
Interessant war für mich auch die Tatsache, dass Gottlieb Duttweiler bereits 1953 Versuche mit Bio-Gemüse in den Migros-Filialen machte. Und noch etwas, was mir bisher entgangen war: Migros sponsert jeweils im Juni in der Altstadt von Zofingen den grössten Bio-Markt der Schweiz.
 
Der Konzern bietet nicht nur Produkte aus biologischer Landwirtschaft an, sondern auch Fleisch aus kontrollierter, artgerechter Haltung und Fütterung. Die Produkte aus naturnaher Landwirtschaft werden nach den Richtlinien der IP-Suisse angebaut (früher: Migros Sano). Es wird auch darauf geschaut, dass die Produktion auf allen Verarbeitungsstufen umweltfreundlich erfolgt.
 
Engagement im eigenen Land
Migros unterstützt pro Jahr mit über 100 Millionen CHF kulturelle und soziale Projekte, fördert Talente und gibt vergünstigte Eintrittskarten heraus. Auch für die Fortbildung tut die Migros einiges. Der daran Interessierte kann aus über 600 verschiedenen Kursen und Lehrgängen wählen. Jährlich nutzen dies etwa ½ Million Lernwillige. In den Klubschulen werden Deutsch-Intensivkurse angeboten. Diese wichtigen Sprachkurse dienen der Integration.
 
Auch die Mitarbeiter profitieren vom sozialen Engagement. So haben Mitarbeiterinnen 16 Wochen Mutterschaftsurlaub, Frauen und Männer werden mit 63 pensioniert. Die Pensionäre erhalten eine AHV-Ersatzrente. Es gibt Familienförderprogramme, Verhaltenstraining für übergewichtige Kinder, Kinderkrippen und eine Elternunterstützung („Geburtsvorbereitungskurse für Paare“, „Freude am Elternsein“, „Vater und Kind kochen“, „Mit Jugendlichen im Gespräch sein und bleiben“).
 
Für Jugendliche rief die Migros „Thinkquest“, den grössten Schweizer Internet-Wettbewerb, ins Leben. Hier können kreative Teams spezielle Websites kreieren. 2004 machten mehr als 250 Jugendliche und über 100 erwachsene Coaches mit. Bei diesem Wettbewerb entstanden 100 neue Projekte.
 
In aller Welt tätig
Migros ist an einzigartigen Projekten in aller Welt beteiligt. Hier einige Beispiele: Migros fördert die nachhaltige Produktion von Palmöl, führt eine Aids-Prophylaxe in Südindien durch, fördert das Tropenwald-Reservat Nogal im Nordosten von Costa Rica und achtet darauf, dass Holz aus umwelt- und sozialverträglich bewirtschafteten Wäldern stammt. Das zur Migros gehörende Reiseunternehmen Hotelplan verpflichtete sich, die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Tourismus aktiv zu bekämpfen.
 
Migros unterstützt den Anbau von Bio-Baumwolle im Rahmen der Aktivitäten der Entwicklungsorganisation Helvetas in Mali. Die Bauern erhalten auch eine Abnahmegarantie und bekommen gerechte Preise für ihre pestizidfreie Ware. Dieselbe Organisation hat mit Unterstützung der Migros eine geniale Methode entwickelt, um Wasser zu entkeimen. Das oft verschmutzte Wasser wird in PET-Getränkeflaschen gefüllt und 6 Stunden dem Sonnenlicht ausgesetzt. Durch dieses SODIS-Verfahren (= solare Wasserdesinfektion) wird das Wasser entkeimt und ist anschliessend frei von Durchfallerregern. In den Entwicklungsländern haben 1 Drittel aller Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Kinder, die verkeimtes Wasser aufnehmen, sind besonders anfällig auf Durchfallerkrankungen. Schockierend ist die Tatsache, dass alle 15 Sekunden ein Kind an den Folgen eines Durchfalls stirbt. Infos über SODIS finden sich unter www.sodis.ch und www.helvetas.ch. Erschreckende Zustände.
 
Ich liess mir sagen, dass die Migros 5 alte Kartoffelsorten aus Bolivien in der Schweiz anbauen lässt. Die Bauern in Bolivien freuen sich darüber, werden sie doch mit dieser Aktion unterstützt. Auch beim Thunfischfang engagiert sich der Konzern, Begleitschäden minimierend: Bei den Fängen werden Delphinbestände geschont.
 
Bildung statt Kinderarbeit
Die Migros kennt kein Pardon bei Fabrikanten, die Kinderarbeit zulassen. Alle Lieferanten müssen sich auf einen Verhaltenskodex verpflichten. Bei der Kaffeeplantage in Rio Negro (Costa Rica) hat sich das Unternehmen finanziell am Aufbau eines Restaurants, einer Krankenstation und 2 Gemeinschaftszentren (tagsüber dienen diese als Kinderhort) beteiligt. Dies finde ich grossartig, da in dortigen Regionen die ärztliche und zahnärztliche Versorgung der armen Bevölkerung im Argen liegt.
 
Auch ein weiteres Projekt finde ich vorbildlich. In der südindischen Textilhauptstadt Tirupur wurde die „Migros-Kids“-Schule in Zusammenarbeit mit der deutsch-indischen „KIDS-Foundation“ aufgebaut. Zurzeit wird die Schule von 750 Schülern besucht. Dies ist eine wichtige Offensive gegen die Kinderarbeit. Ohne solche Schulen hätten die Kinder kaum eine Ausbildungsmöglichkeit. Unweigerlich landen unausgebildete Kinder in Fabriken und müssen dort unter unsäglichen Bedingungen arbeiten. Ausgebildete Kinder und Jugendliche haben später die Chance bei der Post, als Bus- und Taxifahrer oder bei der Bahn zu arbeiten.
 
Transporte mit Bahn und Schiff
Gentechnologie und Flugtransporte sind für alle Produkte – Ausnahmen sind verderbliche Frischprodukte aus Übersee – strikt verboten. Hauptsächlich transportiert Migros ihre Produkte mit dem Schiff und der Bahn (jährliche Strecke: 16 Mal von der Erde zum Mond und zurück). Wie im „M-Magazin 2005“ nachzulesen ist, verursachen Hochseeschiffe pro Tonne Güter etwa 80 Mal weniger Klimagase als Transportflugzeuge. Beim Transport mit der Bahn werden pro Tonne etwa 3 Mal weniger Klimagase ausgestossen.
 
Wenn wir schon bei der Umwelt sind, dann möchte ich eine Besonderheit der Migrol-Tankstellen (Migrol gehört auch zu Migros) erwähnen: Hier gibt es den Dieseltreibstoff Greenlife-Plus, der 5 % Raps-Methyl-Ester (RME) enthält. RME wird aus Raps hergestellt. Dieser Treibstoff reduziert nicht nur den Kohlendioxid-Ausstoss, sondern erhöht den Wirkungsgrad von Dieselmotoren.
 
Konkurrenz durch Aldi und Lidl
„Lidl kommt in die Schweiz“ oder „Einzug des Billiganbieters Aldi in die Schweiz“ waren Schlagzeilen der letzten Monate. Etliche Händler in der Schweiz sehen darin eine lästige Konkurrenz, andere wiederum finden die kommende Präsenz von den deutschen Discountern gut. Besonders angetan war der Volkswirtschaftsminister, Bundesrat Joseph Deiss. Er sagte, Aldi bringe Schwung in den Schweizer Detailhandel, und er sehe gute Möglichkeiten von Teilzeitarbeit für die Bauern. Wie „NZZ Online“ am 13. November 2005 berichtete, erwartet Deiss eine Absenkung der Margen im Detailhandel. „Bravo, Wettbewerb ist gesund!“, so Deiss.
 
Und was sagen die Verantwortlichen bei Migros? Im Migros „Geschäftsbericht 2004“ ist Erstaunliches zu lesen: „2005 ist das Jahr des Eintritts von 2 grossen Hard-Discountern in die Schweiz. Konkurrenz belebt. Wir sind gut vorbereitet. Wir werden mit unseren Dienstleistungen, unserer guten und frischen Qualität zu günstigen Preisen, den Produkten, die in Respekt zu Mensch, Tier und Umwelt hergestellt werden, dafür sorgen, dass uns unsere Kundinnen und Kunden auch in Zukunft treu bleiben.“
 
Ich bin überzeugt: Der Migros wird dies gelingen. Es ist wohl das einzige Unternehmen im Lebensmittelhandel, das sich so für die Umwelt und für seine Mitarbeiter engagiert. Es sind einzigartige Projekte, die auch in Zukunft für Furore sorgen werden. In diesem Punkt ist Migros konkurrenzlos.
 
Quellen
„Migros, 2004 Zahlen und Fakten“, 2005.
„N-Magazin“ (Migros Nachhaltigkeitsbericht), 2005.
„Migros, 2004 Geschäftsbericht“, 2005.
„Unser Beitrag zu einer Nachhaltigen Entwicklung“, Migros-Genossenschafts-Bund, 2003.
„Chronik der Migros“, Portrait eines dynamischen Unternehmens (1925–2002), 2003.
„Gottlieb Duttweiler: Eine Idee mit Zukunft“, Verein für wirtschaftshistorische Studien Meilen, 2000.
„Richtig gut einkaufen. Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag“ von Heinz Scholz, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005.
 
Links
 
Hinweis auf weitere Blogs zum Thema Migros
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst