Textatelier
BLOG vom: 12.10.2005

Wo ein Bach Wiese heisst und das Lokale betont wird

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)

Eigentlich wollten wir bei Paula und Heinz Scholz in Schopfheim D einfach die Vernissage des Buchs „Richtig gut einkaufen. Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag“, das genau hier entstanden war, besprechen. Vernissagedatum: 4. November 2005. Ort: Grünkernladen von Jürgen Blaas an der Torstrasse 2 in der Schopfheimer Altstadt. Programm: Kleine Begrüssung von Verlagsseite (Textatelier.com) und Vortrag von Herrn Blaas; „Einführung in die Bio-Kost.“ Musikalische Umrahmung: Hans Frey aus Steinen, Zither. Anschliessend Degustation von schmackhafter Biokost.

Die gastfreundliche, liebenswürdige Paula stellte am Sonntagmittag einige Biokost-Kostproben auf, auch delikate vegetarische Brotaufstriche – wir waren uns sofort einig: Das würde auch allen Vernissage-Gästen schmecken – Lebensmittelkunde live! Obst- und Gemüsesäfte, Mineralwasser und Bioweine werden ebenfalls ausgeschenkt werden.

Es war ein herrlicher Herbstsonntag, zu schön fürs Stubenhocken. Das Sonnenlicht schien in Richtung eines herbstlichen Gelbs abgetönt zu sein, ebenso wie die Natur auch, die gerade ihr Grün zugunsten von Gelb-, Braun- und Orangetönen abgibt. Heinz Scholz chauffierte uns ins Kleine Wiesental, nordwärts Richtung Tegernau im Landkreis Lörrach, vorbei an stattlichen Gehöften und Wohnhäusern mit Blumen, die aus den Fenstern zu quellen scheinen, und Holzbeigen, Wärme-Versicherungen für einen kalten Winter. Wir passierten die Dorflinde in Niedertegernau und hatten die Rückseite des Belchens (und damit ist nicht etwa jener mit Autobahntunnel im Schweizer Jura oder gar jener im Elsass gemeint) vor Augen, reisten dem Bächlein „Kleine Wiese“ entlang. Die Gegend ist ein Stück aufgelichteten Schwarzwalds, in dem nicht die dunklen Fichten, sondern Laubbäume und eben Wiesen (in flüssiger Form und auch als Ansammlung von Gräsern, Kräutern und Blumen) das Bild der stark hügeligen Landschaft prägen. Die Dörfer sind jeweils dort entstanden, wo sich das Tal vorübergehend weitet.

Auf der kurvenreichen Strecke steuerte uns Heinz Scholz ziemlich genau nordwärts, über Elbenschwand nach Bürchau zum Berggasthof Sonnenhalde, der seinem Namen alle Ehre machte, was die Sonne und die Halde anbelangt. Glücklicherweise war ein Tisch auf den Namen „Scholz“ reserviert; sonst hätten wir hier keine Chance gehabt, einen Platz zu finden. In dem Gasthaus und im Freien wurde lustvoll getafelt, geschmatzt. Wir gönnten uns einen Kastanien-Cocktail und wählten dann aus der Speisekarte Gerichte nach eigenen Vorlieben, etwa den herbstlichen Hirtentopf. Heinz entschied sich für eine „Forelle im Heu“. Sein Kommentar: „Sie hat einen eigenartigen Geschmack nach Heu – aber nicht schlecht.“ Ich kaprizierte mich auf ein Gericht aus erdig schmeckenden Pilzen wie Pfifferlingen, Waldchampignons, Totentrompeten usf. zu delikaten Spätzle – die Verkleinerungsform von Spatzen, wie ich mich belehren liess.

Dazu tranken wir einen aromatischen weissen Gutedel (2004), dem Auggener Schäf, der auf dem weissen Kalkschiefer, vermischt mit Lehm oder Löss, eine in der Eiszeit vom Wind zusammengetragene porige Ablagerung, auf den begrünten Hängen um Auggen im Markgräflerland herangewachsen war. Er rechtfertigte den Preis von 16,50 EUR (7-dl-Flasche). Auf der Flaschenetikette stellte ich ein blaues Auge in einem Dreieck fest, das Logo der Winzergenossenschaft Auggen (www.auggener-wein.de), die einfach ein G weggelassen hatte, um das Symbol zu rechtfertigen. Ich hatte das Gefühl, die richtige Wahl getroffen zu haben, zumal auch das Logo des Textatelier-com-Verlags aus einem stilisierten Auge (diesmal aus einem Federkiel und einem offenen Buch) besteht und der Wein zudem umweltschonend produziert wird. Das alles hatte Stil.

Abschliessend musste ein Bergkräuterschnäpsli als Magenaufräumer eingesetzt werden, und auch diese Aktion gelang. Mir fiel auf, wie phantasiereich die Besitzer-Familien Roser-Schneider ihre Speise- und Getränkekarten gestalten – und dies immer mit Bezug zu dem, was ganz in der Nähe aktuell wächst, auch im grossen Kräutergarten unterhalb des Gasthauses, in dem beschriftete und lackierte Steine die Kräuter mit ihrem Namen benennen. Aus dem Getränke- und Spirituosen-Sektor gibt es zum Beispiel den Bergheu-Sekt, Holunderblütenschnäpsli, Tannenspitzenschnäpsli und sogar Pfifferlings- und Steinpilzschnäpsli. Und für Autofahrer steht ein Bergkräuter-Cocktail bereit. Die Bedienung (in unserem Falle Monika Munig) in festlicher Tracht war freundlich und einem Spässchen zugetan, auch wenn es alle Hände voll zu tun gibt.

Bei Reisen in Deutschland fällt mir immer wieder auf, wie ausgeprägt das Lokalbewusstsein und die Wertschätzung des Vorhandenen sind. Da werden alte, typische, schön proportionierte Häuser, auch wenn sie nicht von einer überragenden Baukultur künden, sondern den Normalfall repräsentieren, erhalten, einfühlsam restauriert und den Ansprüchen der heutigen Nutzer dienlich gemacht. Alles, was vorhanden ist, wird in Wert gesetzt und in schöpferischer Art für moderne Ansprüche hergerichtet. Die Denkmalschutzbehörden scheinen auch im Freiburgischen mit Einfühlungsvermögen ans Werk zu gehen.

Die vielen landschaftlichen und kulturhistorischen Schönheiten sind eine gute Grundlage für einen sanften Regionaltourismus, der nicht auf Spektakel, sondern auf echte, bodenständige Elemente ausgerichtet ist. Alte Gegenstände wie Kutschen, Pferdeschlitten, Weinfässer und Möbel wie Kinderbetten mit den Namen des darin grösser gewordenen Nachwuchses werden ausserhalb und innerhalb der Häuser dekorativ einbezogen und verbreiten eine nostalgische Stimmung, ermöglichen einen Ausbruch aus der gleichförmigen Moderne.

Heinz Scholz chauffierte uns dann über Neuenweg am Belchen-Fuss und durchs Dorf der starken Männer (Meister im Seilziehen), Böllen, ins Gebiet Wembach und Fröhnd, südlich von Schönau. Im Gasthof Hirtenbrunnen in Hof waren keine Stühle mehr frei, und so kamen wir vorerst nicht zum erhofften Kaffee. Dafür genossen wir in 600 bis 700 m Höhe die Aussicht bis hin zur Hohen Möhr (983 m ü. M.). Gegen Abend führte die Autofahrt südwärts zum Ausgangspunkt Schopfheim zurück – und vorerst noch zum Landgasthof Krone im Ortsteil Wiechs. Dort wurden wir von einer hübschen, molligen jungen Dame in der frühlingshaften Tracht in Grün-Blau-Gelb freundlich bedient. Und auf die Produkte des traditionellen Kuchenbackens, auf das sich die Deutschen so hervorragend verstehen, mochten wir nicht verzichten. Wo sonst auf der Welt findet man solche etagenweise aufgebauten Kuchen-Hochhäuser aus der eigenen Backstube, bei denen jedes Stockwerk zum Fest wird?

Gegen Abend reisten wir nach einem schönen, ergiebigen Tag in die Schweiz zurück, die ja auch ihre Vorzüge hat, über den kleineren Benzinpreis hinaus. Einer der Vorteile für uns Nordwestschweizer ist die Nähe des Schwarzwalds mit seiner guten Luft, den liebenswürdigen Menschen und seinen regionstypischen Lustbarkeiten.

Weitere Blogs zum Reisen in Deutschland (Schwarzwald)

28. 09. 2005: „Von Köln Richtung Aachen: Lebensräume, grüne Auen“

07. 10. 2005: „Über Aachen-Eupen in den Naturpark Hohes Venn“

Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
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