Textatelier
BLOG vom: 30.09.2005

Schweiz-Ausverkauf: Cablecom an Big Brother verscherbelt

Autor: Walter Hess

Darf man einem das Mittagessen so gründlich vermiesen? Meine Frau hatte gerade Dorschfilets und einen Bio-Risotto mit einem harten Kern im Innern der weich gekochten Körner aufgetragen, als Radio DRS1 heute um 12:30 Uhr die Mittagsnachrichten zum Besten gab. Da wurde im Ton, als ob es über die Hotelübernachtungen im Augst 2005 im Kanton Uri zu berichten gälte, erwähnt, der US-Konzern Liberty Global aus Denver (Colorado) wolle Cablecom kaufen. Der seit 3 Wochen und noch am Vortag für den 13. Oktober 2005 angekündigte Börsengang finde doch nicht statt! So wird die Öffentlichkeit im Zickzack desinformiert.

„Lass alle Warnlampen aufblinken!“ sagte meine Frau, die sich gerade eine Gabel voll gemischten Salat aus dem Hausgarten in den Mund geschoben hatte, nachdem mitgeteilt hatte, das müsse ich verbloggen. Das Tomatenrot blinkte etwas auf. Mir blieb ein Reiskorn in der Speiseröhre stecken. „Das ist Neoliberalismus. Das ist Globalisierung in Vollendung! Wer merkt das schon? Zum Teufel mit den Guten!“ Ich träufelte etwas Zitronensaft über den traurigen Fisch.

Die Neoliberalisierung hat mehr mit einem weltweiten Finanzskandal zulasten der Völker weit über die Manager-Abzockereien hinaus gemeinsam als mit einer vernünftigen Entwicklung, selbst wenn sogar die Linksparteien noch darauf hereingefallen und eingeschwenkt sind. Die Arbeiterschicksale sind ihnen vollkommen wurscht.

Der US-Konzern Liberty Global wolle Cablecom für 2,8 Milliarden Franken (1,8 Mrd. Euro) übernehmen, erfuhren wir. Mit den Cablecom-Aktionären sei bereits eine entsprechende Einigung erzielt worden. Vollendete Tatsachen. Damit verlieren wir Schweizer unseren Nervenstrang. Und das ist nicht einmal ein gutes Geschäft: Bei einem Bookbuilding-Preis von 57 bis 70 CHF pro Aktie hätte der Börsengang den Altaktionären ebenfalls 2,0 bis 2,8 Milliarden Franken eingebracht. Die Cablecom wurde regelrecht verscherbelt.

Der grösste Schweizer Kabelnetzbetreiber befindet sich bereits mehrheitlich in den Händen der 3 Beteiligungsgesellschaften Apollo Management (eine Risikokapitalgesellschaft, die bereits wegen Ausplünderungsversuchen im Zusammenhang mit dem Mainzer Kabelunternehmens Primacom ins Gerede gekommen war), Goldman Sachs Capital Partners und TowerBrook Capital Partners; die beiden letzteren sind eine Finanz-Investoren-Allianz, die bereits 53 % der Cablecom-Aktien aufgekauft hatte. Die Hedge Fonds lassen aus dem Hintergrund grüssen. Die Anteile sind etwa gleich gross – man hatte ja eigentlich ahnen können, wie es weitergehen würde. Das restliche Kapital ist im Besitz von mehreren Banken. Die Banken und Beteiligungsgesellschaften hatten Cablecom im November 2003 vom britisch-amerikanischen Telekomkonzern NTL gekauft, der angeblich in Geldnot geraten war. Und damit wurde er vor dem Untergang gerettet. Schade, man hätte ihn gescheiter untergehen lassen.

Der mehrheitliche anglo-amerikanische Einfluss blieb jedenfalls gesichert; es brauchte nur noch Institutionen, die über den Tisch (den Kabelstrang) gezogen werden konnten. Als Minderheitsaktionäre haben sie nichts zu sagen.

Selbstverständlich ist es aus der Sicht der Amerikaner geschickt, wenn sie die Totalkontrolle über die Informationsnetze anstreben und übernehmen. Soweit etwas Klartext. Im vernebelten, beschönigten Medientext lautet das so (laut SDA): „Der gemäss eigenen Angaben grösste Kabelnetzkonzern ausserhalb der USA sucht Wachstumsmöglichkeiten in Europa und hatte bereits mehrfach versucht, Cablecom zu übernehmen. Liberty hatte laut Claude bereits mehrfach einen vertieften Blick in die Geschäftsbücher von Cablecom erhalten (‚Due Diligence’). Cablecom mit seinen 1,5 Mio. Kunden passe perfekt zu Liberty, hiess es weiter. Der US-Konzern sei in 11 von 14 europäischen Märkten der grösste Breitband-Kabelanbieter und habe insgesamt 14,9 Mio. Kunden. Der Verkauf an Liberty sei im besten Interesse von Cablecom, den Aktionären, den Kunden und Angestellten des Schweizer Konzerns, teilte Cablecom mit.“

Das ist natürlich purer Nonsens, der nicht besser wird, wenn ihn alle globalisierten Medien unisono weiterverbreiten. Es geht um die Informationsnetz-Kontrolle und damit um die Kontrolle der Information der Menschheit. Europa ist schon beinahe erobert.

Die Medien müssten aufheulen! Tut es, um Gottes willen! Eine DRS-Kommentatorin aus der Wirtschaftsredaktion palaverte unbeholfen davon, dass Cablecom auf der Suche eben nach guten Inhalten sei.

Aber solche Inhalte findet das Unternehmen nicht in den USA. Jedes Land dieser Erde (inklusive Nordkorea und Kuba) hätte mehr Kultur, mehr und einen besseren Inhalt zu bieten. Der Gewalt-verherrlichende US-Sondermüll hat uns bereits zugedeckt; und wir brauchen über ein Einheitskabel wahrhaftig nicht noch mehr davon!

Wer bewahrt uns vor diesem Bocksmist auf infantilem Niveau? Wer stoppt den Ausverkauf der Schweiz? Wer untersagt die Verscherbelung von Informationsnetze Nahrungsproduktion, Wasser, Bildungsinstitutionen und alle anderen, grundlegenden Lebensbereiche (via GATS) an die grössenwahnsinnige USA, welche die Weltherrschaft anstrebt?

Die meisten der heute aktiven Politiker sind in diese Entwicklung eingebunden. Statt einer Breitband-Vereinheitlichung unter US-Führung würden wir ein Breitband-Denken dringend brauchen. Aber unter dem globalistischen Einfluss ist dieses wohl bereits grösstenteils zunichte gemacht.

Und die Globalisierung funktioniert. Radio DRS serviert unverdrossen und nichts ahnend den US-Musikschund. Heute Morgen um 8 Uhr waren schon Kalifornien und Colorado besungen worden – und nicht etwa Appenzell-Innerrhoden oder der Kanton Jura.

So, und nun habe ich mir meinen Ärger vom Halse geschrieben! Wenn Sie das auch tun wollen, klicken Sie unten auf den Link „Ihre Meinung dazu?“ Wir werden Ihre Zeilen in den nächsten Blog-Reaktionen (21) veröffentlichen.

Literatur zum Thema

„Kontrapunkte zur Einheitswelt“ (ISBN 3-9523015-0-7), Verlag Textatelier.com 2005.

 

Hinweise auf Blogs zum Thema Globalisierung

26. 09. 2005: „D und CH: Wahlen, Abstimmungen und Kosmopolitismus“

22. 09. 2005: „Röpke: Das masslos überdehnte ‚Mass des Menschlichen’“

16. 09. 2005: „Diese Uno (60): Zwischen Nullereignis und Weltärgernis“

11. 09. 2005: „Reflexionen über religiöse Dimensionen der US-Kriegswut“

12. 09. 2005: „Belebende Töne in Dur: Regionalorganisation dreiklang.ch“

09. 09. 2005: „Henry David Thoreau und die Pflicht zur Ungehorsamkeit“

06. 09. 2005: „Die tödliche Gefahr der zentralistischen Globalisierung“

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