Textatelier
BLOG vom: 12.09.2005

Belebende Töne in Dur: Regionalorganisation dreiklang.ch

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)

... sieh, das Gute liegt so nah! Das ist das Lebensprinzip der Regionalorganisation „dreiklang.ch“ – die Dreieinigkeit von Aare, Jura und Rhein, das heisst die 70 Gemeinden in den bezeichneten 3 Landschaftsräumen im Aargau umfasst – von Kaiseraugst bis Koblenz AG und von Laufenburg bis Oberhof. Diese Organisation stellt keinen Kunststoff-Plunder in die Landschaft, will keine verkitschte Disney-Atmosphäre schaffen, „sondern in Wert setzen, was bei uns ohnehin vorhanden ist.“ Der Geschäftsführer und Organisator-Wirbelwind, Peter Bircher (Jahrgang 1939) aus Wölflinswil im Bezirk Laufenburg, sagte das bei einem Gespräch, das ich mit ihm am 8. September 2005 im Garten des Gasthauses Ochsen neben einem grossen Weiher führte. In dem Gewässer schwammen Karpfen herum, daneben blühten Arnikabüsche, Vogelbeeren reiften und verschiedene Bäume ohne Berührungsängste zum Exotischen wie eine Zeder belebten das Bild. Von einem nahen Hügel grüsste die gedrungen, kompakt wirkende Wölflinswiler Kirchenanlage, und im Hintergrund war eine strahlende Mobilfunkantenne auszumachen. Auch die Sonne strahlte auf ihre Art auf die Sonnenschirme im „Ochsen“-Garten.

„Man sollte vor die Haustüre schauen und erkennen, was dort an Erbaulichem vorhanden ist. Es geht nicht darum, ‚ums Verrode’ in der Welt herumzujetten und etwas zu suchen, das man auch daheim hat. Wir wollen nicht etwas anderes entwickeln, sondern auf das aufmerksam machen, was wir schon haben.“ Also sprach Peter Bircher, ein Regionalpolitiker aus Leib und Seele – grosse Worte. Bircher lebte schon immer in Wölflinswil und war dort von 1962 bis 1982 Gemeindeschreiber. Er wirkte 17 Jahre im Aargauer Grossen Rat (Legislative) mit – ich protokollierte damals fürs „Aargauer Tagblatt“ (AT) seine wohlgesetzten und wohlüberlegten Voten. Bei ihm brauchte ich nicht zu stenografieren – er spricht so wohlüberlegt und präzise, dass man seinen Worten mit Aufschreiben folgen kann. Und dann war er noch von 1990 bis 1999 im CVP-Nationalrat in Bern. Landes- und Regionalplanung waren ihm besondere Anliegen. Seine Intentionen liefen darauf hinaus, dass die Bauern auch etwas für die Natur tun sollten, wenn man ihnen schon Direktzahlungen aus der Bundeskasse zukommen liess. Er hat die eidgenössischen Gesetze diesbezüglich beeinflusst. Fleiss und Aktivität gehören zu seinen herausragenden Eigenschaften.

Im Verbund Aufmerksamkeit erzielen

An einer intakten Landschaft und intakten Dörfern liegt ihm und allen, die am „dreiklang.ch“ mitwirken, viel. Einige Aufgaben können in kleinen Einheiten gelöst werden, andere aber sind nur im Verbund zu bewältigen; die Gemeinde-, Bezirks-, Kantons- und Landesgrenzen sind immer willkürlich; die Natur nimmt keine Rücksicht darauf. Bei ökologischen und touristischen Aktionen erzielt man grenzübergreifend mehr Wirkung als im Alleingang. Zwar kann jede Gemeinde ihren eigenen Prospekt machen, aber im Verbund wird mehr Aufmerksamkeit erzielt. Das ist regionales, nicht globales Denken.

Der überschaubare Lebensraum mit dem Guten unmittelbar vor der Haustüre muss erkannt werden, und dann ist es nur noch nötig, Impulse im Hinblick auf attraktive Veranstaltungen zu geben, damit möglichst viele Leute davon erfahren. Diesbezüglich sind die dreiklang.ch-Verantwortlichen alles andere als verlegen. So haben sie beispielsweise einen „Tag der offenen Stalltüren“ bei 11 Mandacher Bauern veranstaltet; auch bei Obstbauern werden Besuchstage durchgeführt, und in Frick gibt es jährlich eine Gewerbeausstellung. Neben Dorfläden stellen sie an Samstagvormittagen gelegentlich das „Spielmobil Libelle“, damit die Kinder und Erwachsenen im Dorf bleiben, sich dort treffen und regionale Produkte im Dorf einkaufen. Die Gastrobetriebe, die auf dem Land auch wichtige Arbeitgeber sind, erhalten vom „dreiklang.ch“ ein Dreieck-Logo, wenn sie einheimische Getränke und Speisen ebenfalls berücksichtigen und möglichst zuoberst auf der Getränke- und Speisekarte aufführen – 24 sind es bereits. Was Bircher mit dem Begriff „Kulinarium“ bezeichnete, wird auch zum Treffpunkt. Und es wird ein Überblick über die Produkte geschaffen, die von etwa 100 Bauernbetrieben bezogen werden können (Obst, Gemüse, Wein Fleisch usf.).

Zahlreiche Aktivitäten verlocken zu Entdeckungen in der freien Natur. Besonders im Frühjahr werden jeweils geführte Wanderungen organisiert. Im Sommer gibt es Velo-Erlebnistage dem Rhein entlang von Laufenburg bis Stein (Säckingen) über 32 km, die von jedermann zu bewältigen sind (3 deutsche und 6 schweizerische Gemeinden sind daran beteiligt). Im Herbst werden die Weintäler besucht (Mönthal, Remigen, Villigen / Schenkenbergertal / Effingen, Elfingen, Bözen, Hornussen) – etwa unter dem Motto „Landschaft, Ässe, Wy“ (Landschaft, Essen, Wein). Eine Schulprojektwoche in Kirchspiel-Leuggern befasst sich mit Nahrung, Energie, Wasser und Natur mit besonderer Beachtung des Klingnauer Stausees und des Gippinger Griens (ein Altarm des Aarelaufs). Die dafür zur Verfügung stehenden Lehrmaterialien sind für eine Tournée gedacht.

Wegenstetten und Möhlin mit den zahlreichen Kirchen und Kapellen soll zum „klingenden Tal“ werden; man braucht dort nur die Glocken harmonisch läuten zu lassen, ähnlich wie das Samstagabendgeläut in Zürich. Die Gegend von Stilli bis Laufenburg eignet sich für einen Flösserweg, und im Raume Wölflinswil – Herznach – Zeihen könnte ein Eisenweg bezeichnet werden – alles ohne strassenbauliche Aktivitäten; denn die Wege gibt es ja schon lang. Dort wurde früher Eisenerz (auch Bohnerz in Zeihen) abgebaut. Das wäre alles dem sanften Tourismus zuzuordnen. Bei Wittnau drängt sich ein Kulturweg durch die künstlerische Modernisierung des Kreuzwegs auf. Und leere Schulzimmer zum Einrichten von Ausstellungen gibt es genug.

Die dreiklang.ch-Geschichte

Die Regionalorganisation „dreiklang.ch“ (www.dreiklang.ch) gibt es seit 2003. Doch Anstrengungen, die Lebensräume zu vernetzen, reichen in der Region tiefer in die Vergangenheit zurück, so etwa zum Projekt „Naturgemässe Kulturlandschaft Fricktal“ (NKK). Die hier gewonnenen Erfahrungen führten im Kanton Aargau anschliessend zum Programm „Natur 2001; Bewirtschaftungsverträge / ökologischer Ausgleich im Kulturland“. So gibt es bei aller Betonung des Regionalen doch auch immer wieder weiträumige Ausstrahlungen, die durchaus erwünscht sind. Denn bei der rasant voranschreitenden Globalisierung müssen kultur- und selbstbewusste Regionen überall glokalisierend (das Lokale betonend) aktiv werden, damit die banalisierende Walze der Fusionen und Vereinheitlichungen und die Übermacht des Kulturschunds aus den USA nicht noch weitere Zerstörungen anrichtet und lokale Werte verdrängt.

In meinem Buch „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ habe ich genau diese Aspekte erwähnt und auch auf die Bedeutung der Regionalorganisationen hingewiesen. Der obige Text mag zur Präzisierung dessen dienen, was ich meine. Die Lösung besteht im persönlichen Einsatz des Einzelnen für seinen überschaubaren Raum, seinen Lebensraum. Wenn er auf dessen Werte und Eigenheiten aufmerksam gemacht wird, wird er ihn lieben, bewahren, schützen und verteidigen. Die Organisation „dreiklang.ch“ tut dies auf vorbildliche Weise – ein farbiger Dreiklang in Dur mit dem Akzent des Individuellen innerhalb einer auf Moll gestimmten zentralistisch orientierten, beunruhigten Welt.

Adresse der Agentur für Natur und Kultur
Oberdorf 419
CH-5063 Wölflinswil

Der Vorstand von „dreiklang.ch“

Hilde Bans, Gemeindeammann, Zeiningen; Pius Beck, Holzbau und Architektur, Schupfart; Geri Hirt, Redaktor, Linn; Rudolf Lüscher, Stadtammann, Laufenburg; Hanspeter Meier, Gemüsebauer, Full; Robert Wernli, Ingenieur/Gemeinderat, Asp-Densbüren; Franz Wülser, Gemeindeschreiber, Zeihen.

 

Hinweis auf Blogs zum Thema Regionalisierung

06. 09. 2005: „Die tödliche Gefahr der zentralistischen Globalisierung“

13. 08. 2005: „Die Glokalisierung als Reaktion auf die Globalisierung“

06. 05. 2005: „Globalisierung, OECD, G10 und die Beruhiger vom Dienst“

02. 04. 2005: „Der Neoliberalismus, ausrangierte Alte und der Papst“

01. 02. 2005: „WEF 2005: Schminke über Globalisierungspleiten“

28. 01. 2005: „Wachstum und Leben im Fricktal: Der geniale Mix“

 

Hinweis auf ein Blog zum Thema Kirchengeläute

23. 07. 2005: „Ins Samstagabend-Läuten in Zürich eingetaucht“

Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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